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Zähe Ermittlungen in Schweden

12. Dezember 2010

Noch tappen die Behörden im Dunkeln: Wer war der Attentäter und welche Motive hatte er für die Sprengstoffexplosionen in der schwedischen Hauptstadt? Die Polizei hat Anhaltspunkte, dass er ein Einzeltäter war.

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Einsatzkräfte nach dem Anschlag in Stockholm (Foto: dpa)
Einsatzkräfte untersuchen den TatortBild: picture-alliance/dpa

Bisher deute alles auf einen Einzeltäter hin. Dass der Mann allein gehandelt habe, sei die wahrscheinlichste Erklärung, sagte Carolina Ekéus vom Sicherheitsdienst Säpo am Sonntagabend (12.12.2010). "Das kann sich aber noch ändern." Die genauen Motive und Hintergründe für die Sprengstoffexplosionen im Zentrum Stockholms sind noch immer unklar. Mitten im Weihnachtstrubel ist Schweden am Samstag von einem Anschlag erschüttert worden. Die Behörden teilten mit, sie hätten Ermittlungen wegen eines mutmaßlichen Selbstmordattentats mit terroristischem Hintergrund aufgenommen.

Explosionen erfolgten kurz hintereinander

Der mutmaßliche Selbstmordattentäter hatte am Samstagnachmittag zunächst ein Auto an der stark frequentierten Drottninggatan in der Innenstadt von Stockholm zur Explosion gebracht. Die Drottninggatan ist vor allem an den Wochenenden in der Vorweihnachtszeit die meistbesuchte Einkaufsstraße Stockholms. Viele Menschen flüchteten nach der Explosion in wilder Panik.

Wenig später sprengte sich der Attentäter rund 200 Meter von dem Auto entfernt mit Sprengstoff an seinem Körper selbst in die Luft. Zwei Passanten wurden verletzt. Einer der beiden musste im Krankenhaus behandelt werden. Wie es hieß, besteht jedoch keine Lebensgefahr. Augenzeugen berichteten, der Attentäter habe ein Palästinser-Tuch getragen und kurz vor der Explosion offenbar Worte auf Arabisch geschrien.

Feuerwehrleute versuchen, das explodierte Auto zu löschen (Foto: AP)
Anschlag erschüttert die schwedische Hauptsdtadt StockholmBild: AP

Die Explosion des Autos hätte wahrscheinlich weitaus verheerendere Auswirkungen gehabt, wenn die Benzinkanister, die von Einsatzkräften gefunden wurden, ebenfalls detoniert wären. Auch die zweite Explosion hätte noch schlimmere Folgen haben können, denn laut der Zeitung "Aftonbladet" hatte der Mann sechs Rohrbomben bei sich, von denen sei aber nur eine explodiert. Sein Rucksack sei mit Nägeln und mutmaßlich explosivem Material gefüllt gewesen.

Keine Neueinschätzung der Sicherheitslage

Die schwedische Justiz sprach von einem "sehr ernsten Terroranschlag". Wie der Einsatzleiter der Sicherheitspolizei Säpo, Anders Thornberg, am Sonntag mitteilte, gehen die Behörden aber nicht von zusätzlichen akuten Bedrohungen für Schweden aus. Man werde deshalb die geltende Einstufung beim Terroralarm unverändert lassen. In der Stockholmer Innenstadt soll dennoch ab sofort zusätzlich Polizei sichtbar patrouillieren.

Zuletzt war die Alarmstufe in Schweden im Oktober erhöht worden. Der Grund war damals eine "Verlagerung von Aktivitäten" von Gruppierungen im Land, die möglicherweise Terroranschläge planen - so die Behörden.

Es "hätte katastrophal enden können"

Der schwedische Außenminister Carl Bildt spricht vor den Medien (Foto: AP)
Carl Bildt ist erleichtert, dass der Anschlag nicht noch mehr Menschen verletzt und getötet hatBild: AP

Schwedens Außenminister Carl Bildt hatte bereits kurz nach den Explosionen von einem versuchten Terroranschlag gesprochen. "Ein höchst besorgniserregender Versuch eines Terroranschlags in einem stark belebten Teil des Zentrums von Stockholm", schrieb Bildt in der Nacht zum Sonntag in einer Mitteilung auf dem Internet-Dienst Twitter. "Gescheitert - hätte aber wirklich katastrophal enden können."

Der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt verurteilte den Anschlag scharf. Seine Regierung werde sich aber dadurch nicht davon abhalten lassen, weiter für eine "offene Gesellschaft" einzutreten, sagte Reinfeldt am Sonntag.

Sorge bei europäischen Nachbarn

Angesichts des Terroranschlags in Schweden zeigten sich auch die europäischen Nachbarn besorgt. Die britische Innenministerin Theresa May rief die Menschen in Großbritannien auf, "wachsam" zu bleiben. Die Terrorwarnstufe bleibe weiterhin bei "ernsthaft", was bedeute, dass ein Anschlag im Königreich "sehr wahrscheinlich" sei, sagte May.

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle sagte, Angriffe wie in Stockholm zeigten, wie wichtig es sei, den Terrorismus weiter konsequent zu bekämpfen.

Islamistische Webseite nennt angeblichen Namen

Eine islamistische Webseite veröffentlichte den angeblichen Namen des Attentäters. Dazu wurde auch ein Foto gestellt. Ob der Mann einer exremistischen Gruppe angehörte und welche Staatsangehörigkeit er hatte, wurde nicht gesagt.

Schwedens Polizei- und Justizbehörden wollten noch keine Angaben zur Identität des toten Attentäters machen. Bestätigt wurde dagegen ein Zusammenhang mit einer kurz vor dem Anschlag an die Polizei und die Nachrichenagentur TT versandten Droh-E-Mail.

"Unsere Taten werden für sich sprechen"

Darin wird Schweden wegen seiner Unterstützung des NATO-Einsatzes in Afghanistan angegriffen, Stockholm führe einen Krieg gegen den Islam, heißt es in der Mail. Schweden hat etwa 500 Soldaten in Afghanistan im Einsatz, vor allem in dem großenteils von der Bundeswehr kontrollierten Norden des Landes. Zudem wird das Land für Mohammed-Karikaturen des heimischen Zeichners Lars Vilks kritisiert. In einer zusammen mit der Droh-Mail verschickten Ton-Aufnahme sagt ein Mann laut TT: "Unsere Taten werden für sich sprechen, so lange Ihr Euren Krieg gegen den Islam sowie die Demütigung des Propheten nicht beendet und Eure dumme Unterstützung für das Schwein Vilks." Die Aufnahme war den Angaben zufolge in schwedischer und arabischer Sprache verfasst worden.

Der schwedische Karikaturist Lars Vilks (Foto: AP)
Auch der schwedische Karikaturist Lars Vilks ist im Visier von IslamistenBild: AP

Wie der dänische Karikaturist Kurt Westergaard ist auch Vilks wiederholt wegen seiner Zeichnungen bedroht worden. Im Mai wurde ein Brandanschlag auf sein Haus verübt, im März ein Amerikaner wegen der Planung eines Attentats auf ihn angeklagt. Vilks hat den Propheten im Jahr 2007 mit dem Körper eines Hundes dargestellt. Der Islam lehnt Bilder seines Religionsstifters ab.

Die Drohung per E-Mail vor der Explosion spricht nach Expertenansicht allerdings gegen eine Verbindung des Attentäters zum Terrornetzwerk El-Kaida. Denn die Terroristen, die auf den Befehl der Führung um Osama bin Laden hören, hatten sich bisher nur nachträglich zu ihren Taten geäußert, etwa durch die Veröffentlichung von "Märtyrer-Botschaften".

In dem gesprochenen Text berichtete der Mann, dass er sich bei einem Aufenthalt im Nahen Osten für den Jihad habe ausbilden lassen. Seine Familie bat er um Vergebung, weil er sie über die Gründe für die Reise getäuscht habe. Zuletzt bat er seine Ehefrau, die Kinder von ihm zu küssen.

Autor: Nicole Scherschun/Stephan Stickelmann (dpa, dapd, afp, rtr)
Redaktion: Ursula Kissel