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Politik

100 Tage Andrea Nahles: SPD-Comeback nicht in Sicht....

Jefferson Chase
31. Juli 2018

Nach ihren ersten Monaten an der Spitze bekommt die erste Vorsitzende in der Geschichte der SPD für ihre Arbeit überraschend gute Noten. Aber trotzdem bleiben die SPD-Umfragewerte historisch schlecht.

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Deutschland Asylstreit Koalitionsausschuss Nahles
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Die erste Vorsitzende in der Geschichte der deutschen Sozialdemokraten verbringt ihren 100. Tag  im Amt in Bayern, wo im Oktober gewählt wird. Glamourös sind die Termine von Andrea Nahles am Dienstag nicht: Ein Treffen mit der Oberbürgermeisterin von Dietfurt (6100 Einwohner), anschließend ein Besuch bei einer regionalen Brauerei. Solche Auftritte muss die SPD-Vorsitzende aber absolvieren, wenn sie einem alarmierenden Trend für ihre Partei entgegentreten will: Die SPD war nie eine Macht in Bayern, dennoch deuten jüngste Umfragen mit gerade noch einmal 13 Prozent auf eine weitere historische Blamage hin. Die Genossen könnten bei der Landtagswahl im Herbst sogar hinter den Grünen und der AfD auf dem vierten Platz zurückfallen.

Lob von ehemaligen Gegnern

Nichtsdestotrotz loben sogar ihre parteiinternen Gegner den bisherigen Einsatz von Nahles. "Sie hält den Laden zusammen. Sie führt", sagt Johannes Kahrs vom konservativen "Seeheimer Kreis" der SPD.  "Ich bin ja kein Mitglied des Nahles-Fanclubs, aber ehrlicherweise macht sie es großartig". Der Bundesvorsitzende der Jusos, Kevin Kühnert, teilt diese Einschätzung. "Andrea Nahles zeigt einen irrsinnigen Einsatz", meint auch Kühnert. "Sie nimmt sich wahnsinnig viel Zeit für persönliche Rücksprachen, ruft auch früh morgens oder spät abends noch einmal an". Solche Worte hört die 48-Jährige sicher gerne. Ob das Lob über die miserablen Umfragewerte hinweghilft, ist aber zweifelhaft.

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Eigentlich kein Freund von Nahles, aber er zollt ihr Respekt für den Start: Johannes Kahrs vom konservativen Parteiflügel. Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber

Aus der 20,5-Prozent-Partei der Bundestagswahl im November letzten Jahres ist laut den jüngsten Erhebungen ein noch kümmerlicherer 18-Prozent-Haufen geworden. Dennoch finden auch die meisten SPD-Aktivisten an der Basis, es sei zu früh, um über Nahles zu urteilen. Zum Beispiel der 28-jährige Maximilian Janetzki, Vorsitzender der SPD in Oberhausen-Ost und Mitautor einer "Anamnese" (Diagnose) der Partei. "Andrea Nahles weiß, dass nicht in Umfragen zwischen den Wahlen abgerechnet wird", sagte Janetzki der Deutschen Welle. "Aber sie muss aufpassen, dass die SPD sich auch in dieser Regierungszeit profiliert. Ihr muss daran gelegen sein, wieder Diskurshoheit zu erlangen". Nahles müsse die "Regierungssprache in eine SPD-Sprache umwandeln", was auch eine parteiinterne Analyse nach der Wahlschlappe 2017 empfahl. Keine leichte Aufgabe, wie Nahles jetzt am eigenen Leib erfährt.

Ein ganz großer Stolperstein

Ironischerweise gelten die Hauptsorgen der Deutschen im Moment gerade den sozialen Themen, welche die SPD einst so erfolgreich besetzte: Altersarmut, Bildungsgleichheit und bezahlbare Mieten etwa. Janetzki hofft, dass die Partei sich darauf besinnt. "Die SPD und Andrea Nahles müssen jetzt sehen, dass wir wieder rauskommen aus diesem Flüchtlingsdiskurs. Wir müssen uns um die gestiegenen Lebenskosten, um den Niedriglohnsektor und um soziale Schieflagen in unserem Land kümmern."

Nur wie? Denn die Flüchtlingsthematik bleibt ein Stolperstein. In der jüngsten Auseinandersetzung mit der Union aus CDU und CSU rang die SPD ihren Koalitionspartnern das Versprechen ab, dieses Jahr ein Einwanderungsgesetz zu verabschieden. Ein Erfolg in schwierigen Zeiten. Genutzt hat es den Genossen aber nicht viel. Die Grünen, welche die von der SPD mitunterstützte Neuklassifizierung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer scharf kritisierten, erleben gerade einen Höhenflug, während die SPD weiter an Boden verliert. "Die Imitation der Grünen hilft uns nicht weiter", musste Nahles im "Münchner Merkur" am Samstag klarstellen. "Unser Kurs ist differenzierter, aber dafür realistisch".

Neuanfang ohne neue Gesichter

Seit der Einigung auf eine Neuauflage der Großen Koalition im Frühjahr hat die SPD knapp 14.000 Mitglieder verloren. Das Durchschnittsalter der Partei beträgt heute 60 Jahre. Die Strukturen innerhalb der 155-jährigen Partei sind beschwerlich und ineffizient. Kein Wunder, dass die Genossen Schwierigkeiten haben, bei jüngeren Wählern zu punkten. Dennoch sagt Janetzki: "Mit Verjüngung allein ist es nicht getan und auch nicht mit Strukturdebatten. Es geht vor allem darum, dass die SPD sich inhaltlich verjüngt, sich also Probleme wie der Digitalisierung und der sozialen Sicherheit stellt."

Außerordentlicher Bundesparteitag der SPD
Trat im April beim Wahlparteitag in Wiesbaden gegen Nahles an: Simone Lange, Oberbürgermeisterin aus Flensburg. Sie verlor, holte aber überraschend viele Stimmen. Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Simone Lange sieht die Situation natürlich anders. Die Flensburger Oberbürgermeisterin und Nahles-Herausforderin auf dem letzten Parteitag ist unzufrieden mit der neuen SPD-Führung. "Die SPD lässt hier Chancen verstreichen. Ich wüsste nicht, dass wir irgendwo in der Struktur etwas grundlegend verändert haben", sagte sie der Deutschen Presseagentur (dpa). Einen Seitenhieb hatte sie auch für Nahles selbst parat. "Interessanterweise verbinden die Menschen Erneuerung oft nur mit neuen Gesichtern".

"Bätschi", würde Nahles wohl selbst dazu sagen: Die SPD-Vorsitzende ist vielleicht ganz froh darüber, dass ihre Termine am Dienstag mit einem Brauerei-Besuch enden. Angesichts der momentanen Lage ihrer Partei und der Größe ihrer künftigen Aufgabe würde man es der ersten SPD-Vorsitzenden kaum übel nehmen, wenn sie sich das eine oder andere Glas gönnen würde.