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Abhängigkeit von Erdgas aus Russland wächst

Steffen Leidel3. November 2004

Deutschland bezieht fast 40 Prozent seines Erdgasbedarfes aus Russland. Die Abhängigkeit wird noch weiter wachsen, warnen Experten. Die vielversprechenden Energieressourcen in Zentralasien dagegen werden vernachlässigt.

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Sibirien-Deutschland: die 5000 Kilometer lange Erdgaspipeline JAGALBild: dpa

Die BASF-Tochter Wintershall wird bald mit dem weltgrößten Gasproduzent Gazprom in Sibirien nach Gas bohren. Die Meldung verdient Beachtung, ist es doch das erste Mal, dass sich eine ausländische Firma direkt an der Erdgasförderung in Russland beteiligt. Erste Bohrungen sind für 2005 geplant. Noch in diesem Jahr sollen die Bohrplätze in der Gegend um Urengoj errichtet werden. In der westsibirischen Region, 2500 Kilometer nordöstlich von Moskau, liegen die größten Gasfelder der Welt.

Gazprom Hauptsitz in Moskau
Hauptsitz des weltgrößten Gasproduzenten Gasprom in MoskauBild: AP

Die Entscheidung, ein ausländisches Unternehmen direkt an die Quelle seines Gasschatzes zu lassen, ist eine Ausnahme von der Regel im energiepolitischen Kurs Moskaus. Statt auf eine Öffnung des Energiesektors setze die russische Führung vielmehr auf eine "schleichende Renationalisierung", sagt Klaus Umbach von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Dieser "beunruhigende Trend" sei jüngst in der Yukos-Affäre deutlich geworden.

Erdgas aus Russland ist Chefsache

Nach Ansicht von Friedemann Müller, Energie-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), ist die deutsch-russische Zusammenarbeit vor allem eine Folge der Not im russischen Energiesektor. "Hier werden dringend ausländische Investoren gebraucht", sagt Müller im Gespräch mit DW-WORLD. Mehr als 600 Milliarden US-Dollar müssen nach Schätzung von Experten investiert werden, um den russischen Energiesektor auf Vordermann zu bringen. Marode Pipelinenetze müssen erneuert und ausgebaut, veraltete Liefertechnik ausgetauscht werden.

Gas aus Russland Anlage in Vuktyl
Blick auf die Erdgas-Anlage in Vuktyl in der Republik Komi (Taiga)Bild: dpa

Kosten werden aber nicht gescheut. Es geht schließlich um die Zukunft der Energieversorgung Europas. Mittelfristig ist Erdgas aus Russland angesagt, Kohle und Öl verlieren mehr und mehr an Bedeutung. Bundeskanzler Gerhard Schröder persönlich forciert die energiepolitische Zusammenarbeit mit Russland. Bereits heute bezieht Deutschland etwa 40 Prozent seines Erdgasbedarfs aus Russland. In der Europäischen Union (EU) werden momentan zwar noch etwa zwei Drittel des benötigten Erdgases selbst produziert, vor allem in Großbritannien und den Niederlanden. Von dem einen Drittel, das importiert wird, stammen laut Müller aber bereits über 60 Prozent aus Russland.

Lange Liste von Risiken

"Die zunehmende Abhängigkeit von Russland ist gefährlich", mahnt nicht nur SWP-Experte Müller. Bereits im November 2000 hatte die EU-Kommission im Grünbuch "Hin zu einer europäischen Strategie der Energieversorgungssicherheit" davor gewarnt. "Die Argumente wurden von den EU-Staaten einfach so weggewischt", kritisiert Müller. Dabei gibt es durchaus stichhaltige Argumente:

Bei einer politischen Krise könnte Russland seine führende Rolle auf dem europäischen Energiemarkt ausnutzen und eine Pipelineunterbrechung als Druckmittel einsetzen, sagt Umbach. Moskau betrachtet bereits heute seine Energiepolitik als wichtiges Instrument seiner Außen- und Sicherheitspolitik. Außerdem braucht Russland in den nächsten Jahren sehr hohe Öl- und Gaspreise, um seine Wachstumsziele zu erreichen. Das würde vor allem den Verbraucher treffen. Energie-Experte Müller sieht noch ein weiteres Problem: Europa sei der größte Importmarkt für Erdgas weltweit mit rasant steigendem Bedarf. "Russland hat aber gar nicht die Kapazitäten, um die europäische Nachfrage langfristig decken zu können."

Mehr Wettbewerb sinnvoll

Bohrinsel Troll in der Nordsee
Die norwegische Erdgas-Bohrinsel "Troll" in der Nordsee vor Bergen versorgt seit 1996 Deutschland mit Erdgas.Bild: AP

Beunruhigend sei deshalb, dass Deutschland künftig noch abhängiger von Erdgaseinfuhren sein wird. Das liegt zum einen daran, dass bis 2020 von den Erdgasvorkommen in der Nordsee nur noch wenig übrig sein wird. Zum anderen entsteht durch die Entscheidung Deutschlands, bis 2020 alle seine Atomkraftwerke abzuschalten, eine "Energielücke". Kernenergie liefert zurzeit ein Drittel des gesamt Strombedarfs. "Erneuerbare Energien können das bei weitem nicht kompensieren", so Müller. Er spricht sich wie Umbach für eine nach Region "diversifizierte" Importstruktur aus: Russland sei wichtig, darüber gebe es keine Zweifel. Mit der Einspeisung von Erdgas aus unterschiedlichen Regionen (Nordafrika, Iran) in das europäische Pipelinenetz könnte aber die russische monopolähnliche Versorgung Europas unterlaufen werden, zudem würde die Wettbewerbsintensität auf der Angebotsseite gestärkt.

Die Zukunft liegt nach der übereinstimmenden Ansicht Umbachs und Müllers in Zentralasien und im Raum des südlichen Kaukasus. Wichtige Erdgasvorkommen gibt es in Turkmenistan, Aserbaidschan, Kasachstan und Usbekistan. Die Region liege geographisch näher an Europa, auch die Erdgasförderung wäre dort günstiger, sagt Müller. Die Pläne für eine kostengünstige Pipeline nach Europa lägen bereits vor. "Doch Europa und die Bundesregierung haben nichts unternommen", kritisiert Müller. Er führt das auf den starken Einfluss der großen Energieversorger insbesondere auf die Bundesregierung zurück. Die Ruhrgas AG, einer der wichtigsten Stromversorger in Deutschland und ehemaliger Monopolist, sei durch seine Anteile eng mit dem russischen Energieriesen Gazprom verwoben. Eine Rolle für das mangelnde Engagement spielt aber wohl auch die enge Partnerschaft der Bundesregierung mit Putin, den man nicht vergrätzen will.