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Al-Sadrs Paukenschlag im Irak

Birgit Svensson18. Februar 2014

Weniger als drei Monate vor den geplanten Parlamentswahlen hat Schiitenführer Muktada al-Sadr seinen Rückzug verkündet. Die politische Krise im Irak geht weiter.

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Schiitenführer Muktada al-Sadr (Foto: AP)
Bild: dapd

"Diese Entscheidung ist ein Schock für uns", sagt ein Mitglied der Bewegung des als radikal geltenden Schiitenführers Muktada al-Sadr. Dieser hat überraschend mitgeteilt, aus der Politik aussteigen zu wollen. "Wir kennen weder seine Motive, noch wissen wir, ob es endgültig oder vorübergehend ist." Mit einer von Hand geschriebenen Mitteilung kündigt der einflussreiche 40-Jährige an, er werde sich aus allen politischen Ämtern zurückziehen und seine mehr als 80 Büros schließen: "Ich werde mich künftig nicht mehr in politische Belange einmischen, und es wird keine Fraktion im Parlament und keine Regierungsmitglieder mehr geben, die in meinem Namen sprechen", steht in dem Brief, der auf der Webseite seiner Bewegung zu lesen ist und an alle Mitglieder verteilt wurde. Die Sadristen, wie die Anhänger al-Sadrs genannt werden, verfügen derzeit über sechs Ministerposten in der Regierung und 40 Sitze im Parlament.

Die Lage im Irak ist ohnehin instabil. Seit der letzte US-Soldat Ende Dezember 2011 symbolisch das Grenztor schloss und sich nach Kuwait zurückzog, herrscht eine politische Dauerkrise zwischen Euphrat und Tigris. Von der Regierungskoalition ist kaum mehr etwas übrig: Aus Protest gegen die Machenschaften des Premiers verlassen die Partner abwechselnd die Regierungsgeschäfte. Im Parlament wird nur noch gestritten, die Abgeordneten blockieren sich gegenseitig. Nuri al-Maliki dagegen nutzt die Situation zur Festigung seiner Macht: Er ist nicht nur Premier, sondern auch Verteidigungs- und Innenminister in Personalunion. Sogar Regierungspartner haben ihn schon als neuen Saddam Hussein beschimpft.

Anschlag in Bagdad Anfang Februar (Foto: AP)
Anschlag in Bagdad Anfang FebruarBild: picture alliance/AP Photo

Rücktritt als Folge von "korrupten Machenschaften"

Extremistische Kräfte nutzen das Chaos aus und verbreiten Terror. Die Zahl der Anschläge hat wieder das Niveau von 2008 erreicht, als in Bagdad ein blutiger Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten zu Ende ging. Für viele Beobachter ist der Irak inzwischen ein "failed state", ein gescheiterter Staat.

Dass sich Muktada al-Sadr nun aus der Politik zurückzieht, ist nicht so überraschend, wie es seine Anhänger darstellen. Denn in den zwei Jahren, seit er aus dem Exil im Iran zurückkehrte, wohin ihn ein Haftbefehl der US-Amerikaner getrieben hatte, entwickelte sich im Irak ein gefährliches Geflecht aus Korruption, Vetternwirtschaft und Ränkespielen. Entsetzt musste al-Sadr nun feststellen, dass auch seine Leute in diesen Sumpf geraten waren. Früher konnte der Sohn des von Saddam Hussein ermordeten schiitischen Ajatollahs Muhammad Sadiq al-Sadr mit seinem sauberen Image politisch punkten - doch davon ist nichts mehr übrig geblieben. Die knappe Begründung für seinen jetzigen Rückzug macht dies nur allzu deutlich. Ohne Namen zu nennen sprach er von "korrupten Machenschaften", die seinen Schritt zur Folge hätten.

Den Ausschlag für al-Sadrs Rücktritt könnte eine Gesetzesinitiativen gegeben haben, die eine Anhebung der Rentensätze für Staatsdiener vorsieht. Kritiker sehen darin eine eindeutige Vorteilsnahme der Volksvertreter, weil die Anhebung der Bezüge für alle und nicht nur für Geringverdiener im öffentlichen Dienst gilt. Als der Entwurf im letzten Jahr vorgelegt wurde, hatten auch die sechs Minister aus den Reihen der Sadristen zugestimmt. Massive öffentliche Proteste folgten, es gab Demonstrationen. In einem Land, in dem es noch immer nicht ausreichend Strom gibt, die Wasserversorgung katastrophal und die Arbeitslosigkeit hoch ist, empfanden es viele als blanken Hohn, wenn ein irakischer Parlamentsabgeordneter monatlich fast 10.000 Euro plus Zulagen einstreicht, während viele mit 400 und weniger auskommen müssen. Muktada al-Sadr stellte sich damals auf die Seite der Demonstranten und lehnte das Gesetz ab. Nun aber stimmten seine Leute im Parlament dem Gesetz zu, im Einklang mit den Abgeordneten der Partei von Premier al-Maliki. Das Ansehen Muktada al-Sadrs ist dadurch erheblich beschädigt worden.

Einflussreiche Persönlichkeit der Post-Saddam-Ära

Nach dem US-Einmarsch im Jahre 2003 stieg der damals zornige Rebell zu einem wichtigen politischen und militärischen Anführer der Schiiten auf. Zweifellos ist er auch heute noch einer der prägendsten Köpfe der Post-Saddam-Ära. Seine etwa 60.000 Mann starke Miliz, die Mahdi-Armee, war über Jahre der mächtigste Gegner der US-Truppen. Unzählige Anschläge gegen die "Besatzer", wie al-Sadr die US-Amerikaner stets nannte, gingen auf ihr Konto. Ihre Todesschwadronen waren gefürchtet und sind mitschuldig an den brutalen Ausschreitungen zwischen Schiiten und Sunniten. Gnadenlos ließ Muktada al-Sadr ehemalige Mitglieder von Saddam Husseins Baath-Partei entführen, ermorden und vertreiben, die er für den Tod Tausender von Schiiten verantwortlich machte. Auch die Hinrichtung des Diktators selbst haben Anhänger al-Sadrs vollzogen.

Der irakische Premier Nuri al-Maliki (Foto: Getty Images)
Schiitenführer Al-Sadr verhalf Premier Nuri al-Maliki zu einer zweiten AmtszeitBild: Getty Images

Doch musste sich der damals noch nicht einmal 40-Jährige immer wieder die Kritik gefallen lassen, er sei nur wegen des guten Rufs seines ermordeten Vaters so populär. Nach wochenlangen Kämpfen um seine Hochburg Sadr-City, dem fast zwei Millionen Einwohner zählenden größten Stadtteil Bagdads, löste er 2008 seine Miliz auf und gründete eine politische Bewegung. Fortan schlug er versöhnlichere Töne an und entdeckte sogar die Basisdemokratie: Nach den Parlamentswahlen im Jahr 2010 ließ er seine Anhänger darüber abstimmen, wen sie als Premierminister unterstützen wollen. Die Mehrheit war für Ibrahim al-Jaafari, Sadr schlug sich aber auf die Seite al-Malikis und verhalf ihm zu einer zweiten Amtszeit. Seitdem äußerte er jedoch wiederholt scharfe Kritik an dem schiitischen Premier, den er einmal sogar als "Diktator" bezeichnete. Daher gilt al-Sadr als wankelmütig: Beobachter erwarten nicht, dass der noch junge Schiitenführer tatsächlich politisch in Rente geht.