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Politik

Als Transgender-Flüchtling in Griechenland

Marianna Karakoulaki | Dimitris Tosidis kk
9. Juli 2018

Nach einer langen Irrfahrt haben zwei Transgender-Frauen aus Pakistan und Tunesien in Griechenland eine neue Heimat gefunden. Ihr Ringen um Würde schildern Marianna Karakoulaki und Dimitris Tosidis aus Thessaloniki.

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Griechenland - Transgender Flüchtlinge
Solidarität mit Transgender-Menschen: Demonstration in ThessalonikiBild: DW/D. Tosidis

Ein paar Monate ist es her, da wartete Natascha gespannt auf den Beginn ihrer Gerichtsverhandlung. Ihr Fall war einzigartig: Natascha ist nicht nur eine Transgender-Frau. Als Flüchtling aus Pakistan hat sie zudem in Griechenland Asyl erhalten. Vor allem aber ist sie die erste Transgender-Flüchtlingsfrau, die sich bei einem griechischen Gericht um eine Korrektur ihrer geschlechtlichen Identität bemüht hat. Der Antrag basiert auf einem neuen Gesetz, das es ihr erlaubt, ihre ursprünglich männliche Identität in ihren Ausweispapieren als weibliche dokumentieren zu lassen.

Während der Verhandlung saß Gabi aus Tunesien direkt neben Natascha und hielt ihre Hand. Auch Gabi ist eine Transgender-Flüchtlingsfrau, auch sie erhielt in Griechenland Asyl.

"Ich habe alles verloren"

Als Natascha beschloss, ihre Geschlechtsidentität zu ändern, war Gabi zunächst skeptisch. Sie wusste nicht, ob sie es ihrer Freundin gleichtun sollte. Inzwischen ist sie sicher, ihrem Beispiel folgen zu wollen. "Ich habe mein Land verlassen. Ich habe meine Familie verloren, ich habe alles verloren. Ich habe viele Probleme wegen meines Geschlechts und meines offiziellen Namens. Ich kann mit diesem Namen und mit diesem Geschlecht aber nicht leben. Natürlich ist es sehr wichtig für mich, das zu ändern", sagt sie im Gespräch mit der DW.

Griechenland - Transgender Flüchtlinge: Natasha,
Neue Identität: Transgender-Frau NataschaBild: DW/D. Tosidis

Die Entscheidung, nach Griechenland aufzubrechen, war nicht einfach für Gabi. In Tunesien wurde sie täglich belästigt. Sie musste die Schule aufgeben, weil ihre Lehrer und Mitschüler sich über sie lustig machten. Zu Hause wurde sie von ihrer Familie nicht akzeptiert, am wenigsten von ihrem Bruder und ihrer Schwester. Als sie 18 Jahre alt war, verließ sie ihr Elternhaus.

Als sie eines Tages in einem Taxi saß, das von der Polizei angehalten wurde, verlangte der Polizist ihren Ausweis. Als er ihr dort eingetragenes Geschlecht sah, verhaftete er sie.

"Ich wurde in ein Zimmer gebracht, wo sie mich sieben Tage lang festhielten. Ich wurde geschlagen und gefoltert. Dann wurde ich zu einem Jahr Haft verurteilt. Im Gefängnis haben andere Insassen mich gefoltert. Mit Hilfe meiner Mutter war es möglich, die Haftstrafe auf zwei Monate zu reduzieren", erzählt Gabi.

"Wie willst du leben?"

Nachdem sie entlassen wurde, entschied sie sich, in die Türkei aufzubrechen. Dort hatte sie ein paar Freunde. Sie lebte zwar gerne in dem Land, war wegen ihres Geschlechts aber auch dort Belästigung und Misshandlungen ausgesetzt.

"Die Entscheidung, nach Griechenland zu gehen, war eine der schwierigsten, die ich jemals treffen musste. Eines Tages sagte ich mir: Gabi, willst du so leben, wie du es jetzt tun musst? Oder willst du das Leben haben, das du dir wirklich vorstellst?"

Die Antwort gab sie sich selbst: Sie brach nach Lesbos auf. Dort wurde sie zu einem lokalen Hotspot für Flüchtlinge gebracht. Als andere Flüchtlinge erkannten, dass sie eine Transgender-Frau war, protestierten und bedrohten sie. Sie wurde von der Polizei aus dem Camp begleitet und erhielt eine private Unterkunft, zur Verfügung gestellt vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Fünf Monate später zog sie nach Thessaloniki.

Flucht aus Pakistan

Nataschas Reise verlief komplizierter. Sie flüchtete 2015 aus Pakistan, wo sie ständigen Misshandlungen und Schikanen ausgesetzt war. Im Gegensatz zu Gabi hatte Natascha keine andere Wahl: Sie musste sich während der Reise aus Sicherheitsgründen weiterhin als Mann ausgeben. Nach der Ankunft in der Türkei arbeitet sie dort einige Monate als Schneiderin.

Griechenland - Transgender Flüchtlinge: Gabi  im Interview mit DW Marianna Karakoulaki
"Ich habe alles verloren": Gabi im Interview mit DW-Reporterin Marianna KarakoulakiBild: DW/D. Tosidis

"Ich habe in Istanbul gearbeitet, aber als ich auf die Straße gegangen bin, haben mich die Leute misshandelt; sie haben mich geschlagen, sie haben meinen Ausweis gestohlen. Ich habe mich entschieden, nach Griechenland zu fliehen", berichtet sie der DW. Nach einer dreistündigen Reise in einem vollgestopften Schlauchboot kam auch sie in Lesbos an.

Als sie dann das griechische Festland erreichte, arbeitete sie für einen Bauern in Skala Lakonias in Südgriechenland, um Geld für den nächsten Teil ihrer Reise zu verdienen. Dann aber weigerte der Bauer sich, sie zu bezahlen. Nachdem es ihr schließlich gelang, die Farm zu verlassen, reiste sie nach Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze. Dort warteten tausende Menschen auf die Öffnung der Grenze.

"In Idomeni gab es eine Person aus Pakistan, die mich geschlagen und gefoltert hat. Ich bin nur aus meinem Zelt gegangen, um Essen zu holen", erinnert sie sich.

Freiheit in Thessaloniki

Drei Monate lebte sie in ständiger Angst. Dann traf sie eine spanische Freiwillige, die ihr zusammen mit einem griechischen Psychiater bei der weiteren Flucht half. Sobald sie in Sicherheit war, konnte sie endlich ein freies Leben als Transgender-Frau führen.

Transgender Beat

Gabi und Natascha haben sich inzwischen in Thessaloniki niedergelassen. Dort haben sie eine starke Gemeinschaft gefunden. Beide sind aktive Mitglieder von Eclipse, einer Gruppe von Einheimischen und Flüchtlingen, die LGBT-Flüchtlinge unterstützen.

"Jetzt bin ich bei Eclipse und endlich glücklich. Es ist ein sicherer Ort, besonders für Transgender-Menschen", freut sich Natascha.

Eclipse organisiert Exkursionen. Auch Sprach- und Computerunterricht bietet die Organisation an. Zudem veranstaltet sie Workshops zu Themen wie Hassreden, bietet aber auch Gruppentherapien an. Und natürlich gibt es Partys.

"Die Leute bei Eclipse tun alles, was sie können, um uns glücklich zu machen. Sie tun alles, und ich fühle mich endlich sicher", seufzt Gabi erleichtert.

Ein wegweisendes Urteil

Die Gerichtsentscheidung in Nataschas Prozess ist wegweisend. Sie könnte internationale Auswirkungen haben, glaubt Aikaterini Georgiadou, Anwältin der Griechischen Liga für Menschenrechte, die Natascha vertreten hat.

"Diese gesetzlich begründete Entscheidung eines griechischen Gerichts hat das griechische Gesetz im Lichte der Genfer Konvention, des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte sowie der griechischen Verfassung ausgelegt. Zwar existiert zu dieser Frage noch keine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Dennoch dürfte sie die internationale und europäische Realität und unsere Rechtskultur prägen", so Georgiadou gegenüber der DW.

Für Natascha hat das Urteil ihr Leben verändert. Sie kann sich endlich so zeigen, wie sie ist. "Ich bin glücklich. Ich habe keine Angst mehr. Endlich ich bin ich selbst."