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Die Berlinale in Pandemie-Zeiten

Elizabeth Grenier pj
3. März 2021

Die meisten Beiträge der Berlinale behandeln das Virus nicht - die von Radu Jude, Denis Côté und Natalie Morales sind die Ausnahme und finden kreative Zugänge.

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Szenenbild aus "Bad Luck Banging or Loony Porn": Eine Frau sitzt an einem Tisch und hält beide Handflächen nach oben, neben ihr Blumensträuße
Szenenbild aus "Bad Luck Banging or Loony Porn"Bild: Silviu Ghetie/Micro Film 2021

Einen Film zu realisieren ist ein langwieriger Prozess. Nachdem das Drehbuch fertig ist, beginnt oft zunächst ein jahrelanger Kampf um Gelder, bevor die ersten Szenen gedreht werden. Nachdem diese dann im Kasten sind, folgt eine monatelange Arbeit im Schneideraum. 

Angesichts der sich ständig ändernden Corona-Restriktionen könnte sich eine filmische Referenz an das Lebensgefühl in Zeiten der Pandemie bereits überholt anfühlen, wenn der Film dann endlich seine Premiere feiert. Daher überrascht es kaum, dass die meisten Beiträge der diesjährigen Berlinale in einer COVID-freien Welt angesiedelt sind. Doch einige wenige Filme reflektieren den Alltag des vergangenen Jahres. 

"Loony Porn" in COVID-Zeiten

"Bad Luck Banging or Loony Porn", die Komödie von Berlinale-Veteran Radu Jude (Silberner Bär 2015 für die beste Regie) erfüllt, was sein Titel verspricht: Gleich die erste Szene zeigt einen Amateur-Pornostreifen. In der nächsten Szene geht die Frau aus dem Video über einen Markt. Sie trägt Mund-Nasenschutz, wie alle anderen auch. Wenn sie durch die Straßen Bukarests wandert, sind die Masken allgegenwärtig. 

Szenenbild aus "Bad Luck Banging or Loony Porn": ein Mann in Uniform unter lauter Verkleideten mit Masken
Eine der grotesken Szenen aus "Bad Luck Banging or Loony Porn"Bild: Silviu Ghetie/Micro Film 2021

Jude hatte seinen Film ursprünglich nicht so geplant. Die Eröffnungsszene wurde einige Wochen vor dem ersten Lockdown gedreht. Als Rumänien Anfang Juli 2020 von einer zweiten Welle erfasst wurde, beschloss Jude, seinen Film noch während des Sommers fertigzudrehen - obwohl das bedeutete, dass er auf einige Fördergelder verzichten musste, die später ausgezahlt werden sollten. 

Filmische Zeitkapsel mit symbolischem Wert

Je höher die Fallzahlen stiegen, umso mehr wurden die Masken Teil der täglichen Arbeit. "Es fühlte sich moralisch besser an, das Risiko für die Darsteller so niedrig wie möglich zu halten", so Jude gegenüber der DW. Er sei stolz darüber, dass niemand während der Produktion krank wurde, fügt er hinzu. Das war für ihn "eine größere Errungenschaft" als darüber zu spekulieren, wie sehr das Bedecken von Mund und Nase den Film visuell beeinträchtigen könnte.

Der Film gewinnt sogar durch diese Entscheidung. Jude beschloss, diese Phase mit einem "anthropologischen Auge" festzuhalten und so eine Zeitkapsel dieses einzigartigen Augenblicks der Menschheitsgeschichte zu schaffen.

Die Frau aus dem Sextape ist eine Lehrerin, die sich gegen wütende Eltern behaupten muss, nachdem das Video in ihrer Schule die Runde macht. Da Radu Judes Film unter anderem von Sexismus, Antisemitismus und Faschismus handelt, bekommt die Maske auch eine symbolische Dimension und steht für all jene heiklen Themen, die - nicht nur in Rumänien - nicht offen angesprochen werden. "Es war nicht beabsichtigt, aber wir wussten, dass sie zu einer starken Metapher werden könnte", so Jude. 

Größtmögliche Distanz

Das Coronavirus hat im letzten Jahr viele Produktionen zum Stillstand gebracht. Jene, die es schafften, ihre Drehphasen zwischen den Lockdowns zu beenden, mussten strenge Sicherheitsrichtlinien für die Filmindustrie befolgen, darunter regelmäßige Testungen von Crew und Schauspielerinnen und Schauspielern sowie Mund-Nasen-Schutz am Set. Eine weitere Empfehlung lautete, Szenen dahingehend anzupassen, dass "social distancing" möglich war. 

Denis Côtés Film "Sozialhygiene", der in der Sektion "Encounters" läuft, reizt das Konzept der Kontaktvermeidung voll aus. Der Film spielt komplett in der Natur, und die Darstellerinnen und Darsteller stehen mehrere Meter voneinander entfernt und deklamieren ihre Dialoge. 

Szenenbild aus "Sozialhygiene": Eine Frau und zwei Männer, teils in historischen Kostümen, stehen auf einer Wiese, einer ist am Deklamieren
"Sozialhygiene": größtmögliche DistanzBild: Lou Scamble

Der kanadische Arthaus-Regisseur ist ein regelmäßiger Berlinale-Gast. "Äußere Einschränkungen, etwa durch eine Pandemie, können den gestalterischen und erzählerischen Erfindungsreichtum enorm beflügeln", steht auf der Festival-Website über "Sozialhygiene". Die Idee zum Gesamtkonzept des Films hatte Côté jedoch bereits vor fünf Jahren, als von Corona noch keine Rede war. Als ihn Schauspielerinnen und Schauspieler fragten, ob er eine Idee hätte, an der man gemeinsam während der Pandemie arbeiten könne, zog er das Konzept endlich aus der Schublade.  

Der Kanadier beschreibt die Geschichte im DW-Interview als "eine Erforschung der Vorstellung von Distanz zwischen Menschen". Mit seiner surrealen, theatralischen Herangehensweise und der Kombination aus historischen Kostümen und aktuellen Bezügen bietet der Film verschiedene Ebenen, auf denen sich das Thema Distanz ergründen lässt. 

Echte Verbindungen in "Language Lessons"

Die meisten Menschen haben im vergangenen Jahr mehr Online-Meetings erlebt als je zuvor. Ein Film, der auf einer Reihe von Videochats basiert, klingt daher erst einmal nicht wie eine attraktive Form der Unterhaltung. "Language Lessons" fängt jedoch genau so an. Bei dem Film, der Teil der "Berlinale Special"-Sektion ist, hat die Schauspielerin und Regisseurin Natalie Morales Regie geführt. Das Drehbuch hat sie gemeinsam mit Mark Duplass geschrieben, der mit ihr bereits an der HBO-Serie "Room 104" gearbeitet hat.

Szenenbild aus "Language Lessons": ein Mann macht eine Grimasse während einer Videokonferenz, eine Frau lacht
Mark Duplass und Natalie Morales in "Language Lessons"Bild: Jeremy Mackie

Nur Morales und Duplass sind im Film zu sehen. Er erzählt die Geschichte eines humorvollen und wohlhabenden Mannes, der eine tiefe platonische Beziehung zu seiner Spanischlehrerin entwickelt - allein durch ihre virtuellen Sitzungen. Er öffnet sich ihr während einer Trauerphase in seinem Leben. Duplass ließ sich für die Geschichte von Spanischstunden inspirieren, die er einen Monat nach Beginn der Pandemie begonnen hatte. "Meine Lehrerin und ich hassten beide Smalltalk, also wurden unsere Gespräche schnell interessant", sagte Duplass während einer Zoom-Pressekonferenz. 

Indirekter Pandemiebezug

Die Kurse finden im Film online statt, weil Schüler und Lehrerin an verschiedenen Orten der Welt leben. Das Schauspieler/Autoren/Produzenten-Duo gingen davon aus, dass ihr Film stärker und zeitloser wird, wenn er nicht direkt von der Pandemie handelt. Die Metaphern von Verlust und Isolation sind in dem Werk so präsent, dass es "sich angefühlt hätte wie ein Hut auf einem Hut", wenn die Pandemie Teil der Geschichte gewesen wäre, so Duplass.

"Seit März 2020 kommunizieren wir in einer seltsamen Mischung aus Nicht-Intimität und Intimität, und der Film handelt davon, wie wir das Falsche daran durchbrechen können", so Morales. In diesen schweren Zeiten, fügte sie hinzu, "kann die Beziehung zu einem anderen Menschen wie heilendes Balsam sein, auch wenn man es gar nicht bemerkt". Der Film funktioniert dank des Humors und der menschlichen Wärme der beiden Schauspieler. Duplass sagt darüber: "Der Film ist im Grunde eine feste Umarmung." Und plötzlich will man ein weiteres Zoom-Treffen mit den beiden sehen...