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Kohle vom Hambacher Wald wird nicht gebraucht

28. September 2018

Wissenschaftler sind sich einig: Für den deutschen Strombedarf wird die Braunkohle unter dem Hambacher Wald auch langfristig nicht gebraucht. Auf die Rodung könnte verzichtet werden – wenn es die Politik wollte.

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Tagebau Hambach und Hambacher Forst
Bild: Michael Goergens

Die wissenschaftlichen Studien und Empfehlungen zum deutschen Kohleausstieg folgen derzeit fast im Wochenrhythmus: Im letzten Monat veröffentlichte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) seine Modellrechnung für den deutschen Kohleausstieg. Letzte Woche folgte die Empfehlung des Sachverständigenrates der Bundesregierung und nun folgt die Studie "2030 Kohlefrei" vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Systemtechnik im Auftrag von Greenpeace.

Die Ergebnisse und Empfehlungen sind in allen Studien ähnlich und auch eindeutig. Eine wesentliche Diskrepanz zwischen den Energiewissenschaftlern gibt es nicht. Die Experten gehen davon aus, dass Deutschland bis 2020 das lang versprochen Klimaziel von 40 Prozent weniger CO2 im Vergleich zu 1990 noch erreichen kann. Was hierzu bisher allerdings fehle, sei der entschiedene Wille und dasHandeln der Politik. 

Damit die nationalen und die internationalen Pariser Klimaziele erreicht werden, empfehlen alle Experten den sehr schnellen und beherzten Ausstieg aus der Stromgewinnung mit der besonders klimaschädlichen Braun- und Steinkohle und den starken Ausbau von Solar- und Windenergie.

Infografik zum Strommix in Deutschland 2017 (Grafik: DW)
Problematisch für den deutschen Klimaschutz ist der hohe Stromexport, viel Kohlestrom und verdrängte Gaskraft

Stromversorgung ist auch trotz Kohleausstieg gesichert

Eine Gefährdung der deutschen Versorgungssicherheit sehen die Experten durch die auslaufende Kohleverstromung in ihren Berechnungen nicht. Diesbezüglich geäußerte Befürchtungen weisen sie als unbegründet zurück. 

Als Puffer für die schwankende Energieversorgung – vor allem aus Wind- und Solarkraft – sehen die Experten neben neuen Speichersystemen, flexibler Biomasse und Wasserkraft vor allem die Gaskraft. Sie könnte zum einen den Strombedarf sicher decken, der durch das Zurückfahren der Kohlekraft in den nächsten Jahren entsteht, und in Zukunft auch immer flexibel reagieren, wenn es nicht genügend Strom aus Sonnen- und Windkraft gibt. 

In den nächsten Jahren sehen die Experten die Versorgung der Gaskraftwerke wie bisher auf der Basis von fossilem Erdgas. In späteren Jahren könnten sie auf synthetisch hergestelltes Ersatzgas umgestellt werden, das aus klimafreundlichem Strom und Wasser mithilfe der Elektrolyse (Power-to-Gas) auch schon heute hergestellt werden kann.

Infografik Power to Gas-Funktionsweise (Grafik: DW)

Deutscher Kohleausstieg bis 2030 möglich 

Die Fraunhofer-Forscher rechneten in ihrer Studie genau durch, wie Deutschland die gesetzten Klimaziele erreichen kann und der Kohleausstieg bis 2030 möglich ist, ohne die Energiesicherheit zu gefährden. Die Forscher orientierten sich in ihrer Analyse daran, dass Deutschland einen fairen Beitrag zum Pariser Klimaabkommen leistet, um die Erderwärmung noch bei 1,5 Grad zu stabilisieren. 

Sie empfehlen einen Mix von verschiedenen Maßnahmen. Dazu gehört die Stilllegung der ältesten Braunkohlekraftwerke bereits vor 2020 mit einer Leistung von 6,1 Gigawatt (GW) und das leichte Drosseln von Braunkohlekraftwerken, die älter als 20 Jahre sind (7,4 GW). Ab 2025 würden dann auch neuere Braunkohlekraftwerke nach und nach heruntergefahren und bis 2030 stillgelegt werden.

Ebenfalls nach dem geordneten Prinzip von Alter und Verschmutzung empfehlen die Experten bis 2030 die Steinkohlekraftwerke sukzessiv vom Netz zu nehmen und ihre Stromproduktion nach und nach zu reduzieren. "Deutschland kann sich ab 2030 sicher und kohlefrei mit Energie versorgen", sagt Fraunhofer-Wissenschaftler Norman Gerhardt. "Das bereits verloren geglaubte Ziel, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu senken, wird so noch erreicht, der Beitrag zum Pariser Klimaabkommen sichergestellt."

Eine Familie hält am Hambacher Forst Protestplakate hoch (Foto: DW/G. Rueter )
Protest am Hambacher Wald: Kohle zerstört das Klima, gefordert wird eine enkelgerechte EnergiepolitikBild: DW/G. Rueter

Kohleausstieg würde Hambacher Forst retten

Aus dem Abschaltplan der Fraunhofer-Forscher lassen sich auch die Braunkohlemengen genau ermitteln, welche vor allem die Kraftwerke Niederaußem und Neurath in den nächsten Jahren noch benötigen werden. Diese beiden Kraftwerke werden aus den Tagebauen Hambach und Garzweiler versorgt. Von heute bis 2030 benötigen sie demnach noch 250 bis 280 Millionen Tonnen Braunkohle.

Nach Angaben der Forscher liegen in den beiden Tagebauen Hambach und Garzweiler aber noch deutlich über 2000 Millionen Tonnen.

Würde die Politik diesen Vorschlag auch aus Klimaschutzgründen verfolgen, so wäre eine Rodung des Hambacher Waldes für die deutsche Energiesicherheit nicht mehr nötig, lautet ein Fazit der Autoren.

"Die sauberen Alternativen zur schmutzigen Kohle sind längst da, jetzt muss die Regierung auch den politischen Mut aufbringen. Der Kohleausstieg ist alleine eine Frage des politischen Willens", sagt Greenpeace-Energieexpertin Anike Peters bei der Vorstellung der Fraunhofer-Studie in Berlin. "Der wachsende friedliche Protest um den Hambacher Forst zeigt, dass viele Menschen endlich wirksame Schritte von der Politik erwarten."

Ein Schild mit der Aufschrift "Ja zur Heimat, stoppt Rheinbraun" in Keyenberg (Foto: picture-alliance/dpa/C. Seidel)
Hoffen auf den Kohleausstieg beim Tagebau Garzweiler seit über 25 Jahren: Die Bürger wollen nicht umgesiedelt werdenBild: picture-alliance/dpa/C. Seidel

Viele Vorteile durch Kohleausstieg

Klimaökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält den Fraunhofer-Vorschlag für machbar und befürwortet ebenfalls den Dreiklang aus Abschaltung und Drosselung der ältesten Kohleblöcke sowie dem konsequenten Ausbau von Solar- und Windenergie. "Nur wenn man mit dem Kohleausstieg so schnell wie möglich beginnt und den Ausbau der erneuerbaren Energien forciert, bestehen durchaus noch Chancen, die Klimaziele zu erreichen", sagt Kemfert.

Eine zentrale Rolle bei der deutschen Klimaschutzstrategie spielt laut DIW vor allem der Kohleausstieg in der Braunkohleregion von Nordrhein-Westfalen. "NRW muss als größter Emittent schneller aussteigen als andere Bundesländer. Dort stehen sehr viele alte und ineffiziente Kohlekraftwerke", so Kemfert.

Infografik zu Gesamtkosten für Strom aus neuen Großkraftwerken in Deutschland. Kohlestrom teurer als gedacht (Grafik: DW)

Der zügige Braunkohleausstieg in NRW sei wegen der Schäden bei der Verstromung zudem aber auch "wirtschaftlich vorteilhaft". Hohe gesellschaftliche Kosten ließen sich durch den Kohleausstieg vermeiden, betont auch das Umweltbundesamt (UBA). Allein im Jahr 2016 entstanden der Gesellschaft verdeckte Mehrkosten durch Gesundheits- und Umweltschäden aus der deutschen Verstromung von Kohle in der Größenordnung von über 46 Milliarden Euro, so das UBA .

Würden auch diese Kosten bei der Betrachtung des Kohleausstiegs berücksichtigt, so wird deutlich, wie günstig ein Kohleausstieg für die Gesellschaft sein kann, selbst dann, wenn die Entschädigungszahlungen an die betroffenen Energiekonzerne sehr großzügig sind.

Laut RWE-Angaben liegt der Gewinn beim Betrieb von Braunkohlekraftwerken derzeit bei etwa drei Cent pro Kilowattstunde. Nach Angaben des UBA entstehen dabei zugleich aber Gesundheits- und Umweltschäden von über 19 Cent pro Kilowattstunde, die von den Bürgern als Krankenkassenbeiträge und Steuern getragen werden. Kohle und vor allem Braunkohle ist demnach in der Gesamtbetrachtung die teuerste Energie.

Das DIW betont in seiner Studie zudem auch die sozialen Vorteile für die Menschen in NRW am Tagebaurand durch einen zügigen Kohleausstieg. Der Kohleausstieg könne in NRW so gestaltet werden, dass am Tagebau Garzweiler "keine weiteren Ortschaften weichen müssen". Auch könne das Auslaufen des Braunkohleabbaus so gestaltet werden, dass der aus "naturschutzrechtlichen Gründen erhaltenswerte Wald im Tagebau Hambach", erhalten werden kann, heißt es im Fazit.

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Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion