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Politik

Brexit-Mikado: Wer zuckt zuerst?

30. Januar 2019

Brüssel ist genervt. Die britische Premierministerin will mit neuem Mandat aus dem Unterhaus das Austrittsabkommen nachverhandeln. Die EU will noch nicht nachgeben. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Jean Claude Juncker und Michel Barnier
Bild: Reuters/F. Lenoir

In Brüssel macht sich am Tag nach der Abstimmung im britischen Parlament eine gewisse Frustration breit. Den erneuten Versuch der britischen Premierministerin Theresa May mit neuer Rückendeckung des Unterhauses das eigentlich fertige Austrittsabkommen wieder aufzuschnüren, weist der Brexit-Verhandlungsführer der EU, Michel Barnier, klipp und klar zurück. "Die Position der EU ist ganz klar", sagte Barnier nach einer Sitzung des Brexit-Ausschusses im Europäischen Parlament. "Ich möchte nur bestätigen, dass die europäischen Institutionen vereint sind und zu dem Abkommen stehen, das wir mit Großbritannien ausgehandelt haben."

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker warnte in Brüssel, das Votum des Parlaments in London erhöhe das Risiko für einen ungeregelten EU-Austritt der Briten. Wie auch Barnier lehnte Juncker Nachverhandlungen des Brexit-Vertrags ab. Das im vergangenen Jahr erarbeitete Abkommen "ist der beste und einzig mögliche Deal", bekräftigte Juncker.

Stolperfalle "backstop"

Änderungen beim 'backstop', einer Versicherung, dass es keine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland geben wird, kann es nicht geben. Das hatten auch der Präsident der Europäischen Rates und der französische Präsident kurz nach der Abstimmung im britischen Parlament noch einmal wiederholt. Nordirland gehört zum Vereinigten Königreich, die Republik Irland bleibt EU-Mitglied. Hier entstünde also eine Außengrenze der EU mitten auf der irischen Insel. Die wollen aber beide Seiten unbedingt vermeiden, um ein Wiederaufflammen des Bürgerkrieges zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland zu unterbinden. Premierministerin May weigert sich allerdings auch, diese Grenze in die Meerenge zwischen Großbritannien und Nordirland zu verlegen, weil damit die Union im Vereinigten Königreich gefährdet wäre.

Irland, Newry: Demonstranten schlagen eine symbolische Mauer ein
Gretchenfrage Nordirland: Bürger reißen eine symbolische Mauer ein aus Protest gegen mögliche Grenzkontrollen nach einem harten BrexitBild: picture-alliance/AP/P. Morrison

"Die Briten sind am Zug"

Wie Theresa May in nur 14 Tagen für dieses verzwickte Problem eine Lösung finden will, ist fast allen Beteiligten in Brüssel ein Rätsel. Selbst der britische Brexit-Minister Steve Barclay räumte am Morgen in einem Interview mit der BBC ein, dass seine Premierministerin keinen fertigen alternativen Vorschlag in der Tasche habe, den sie in Brüssel präsentieren könnte.

Entsprechend genervt reagierte der deutsche Europaabgeordnete Markus Ferber in Brüssel. "Wir haben jetzt zwei Jahre mit der britischen Regierung verhandelt. Premierministerin May hat alle Angebote der Europäischen Union abgelehnt. Sie hat immer rote Linien definiert, was sie alles nicht will. Sie hat nie gesagt, was sie will. Und selbst das Votum gestern im Unterhaus sagt ja auch nur, was das Unterhaus nicht will, aber nicht, was es will. Das macht es für uns natürlich schon schwierig", sagte der konservative Abgeordnete im Deutschlandfunk. 

Großbritannien gehe einen falschen Weg, kritisierte der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter (CDU) gegenüber der DW. "Frau May ist unter Druck. Deshalb kann ich verstehen, dass sie gerne so lange wie möglich verhandeln will. Wir haben aber nur noch acht Wochen. Wir sollten einen harten Brexit vermeiden, indem man sich jetzt erst nur einmal auf eine Art von Zollunion konzentriert. Später sieht man weiter", empfiehlt der konservative Kiesewetter, der in Berlin Mitglied des Auswärtigen Ausschusses ist.

Guy Verhofstadt, Brexit-Unterhändler des Europäischen Parlaments, das einen Brexit-Vertrag auch noch ratifizieren müsste, kritisiert die Verhandlungstaktik der Briten. Die chaotischen Abstimmungen im Unterhaus mit zahlreichen Anträgen und Gegenanträgen ohne klare parteiübergreifende Mehrheiten seien nicht geeignet als Verhandlungsgrundlage, sagt er Reportern in Brüssel. "Wir werden unseren Binnenmarkt nicht kaputt machen. Der ist viel zu wichtig für unsere Unternehmen. Wir werden auch unsere irischen Freunde nicht alleine lassen." Man könne ja über alles reden, meinte der liberale Europaabgeordnete Verhofstadt, aber die Briten müssten jetzt mit Vorschlägen aufwarten.

EU-Gipfel zu Brexit Juncker und May
EU-Kommissionschef Juncker (li.) und Premierministerin May sollen an der Quadratur des Kreises tüftelnBild: picture-alliance/AP Photo/A. Grant

"Den Binnemarkt bewahren"

Verärgert auf die Ankündigung von Theresa May, das Austrittsabkommen wieder aufschnüren zu wollen, reagiert auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, Philippe Lamberts. "Wir werden den 'backstop' nicht aufgeben. Dann würden wir akzeptieren, dass wir keine Kontrollen an der Grenze haben, obwohl Großbritannien in Zukunft entscheidend von unseren Standards bei Lebensmitteln, Umweltauflagen usw. abweichen könnte. Da sollen wir dann eine 500 Kilometer lange Grenze als Tür zum Binnenmarkt offen lassen?" Philippe Lamberts empfindet die Anliegen der Brexit-Anhänger im britischen Unterhaus eher als Zumutung. "Das wäre genauso als sollten die Brexiteers auf Kontrollen bei der Einwanderung, bei Personen verzichten. Würden die das machen? Natürlich nicht!"

Jetzt wird gepokert

EU-Diplomaten, mit denen die DW in Brüssel gesprochen hat, die aber nicht namentlich genannt werden sollen, tippen darauf, dass Großbritannien am Ende das auf den 29. März festgesetzte Brexit-Datum verschieben wird. Das ginge durch eine Verlängerung der Verhandlungsfrist, Neuwahlen oder ein zweites Referendum. Andere wiederum rechnen doch damit, dass am Ende die Republik Irland und dann auch die übrigen EU-Mitglieder, den auf Ewigkeit angelegten 'backstop' kurz vor Ende der Frist aufweichen, zum Beispiel zeitlich begrenzen oder kündbar machen. Ob das dann ausreicht, im britischen Unterhaus eine Mehrheit für einen Brexit-Vertrag zu sichern, weiß niemand. "Jetzt wird Mikado gespielt. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren", meinte ein erfahrener EU-Abgeordneter im Hintergrundgespräch.

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union