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Corona: Die Deutschen kommen auf den Hund

22. Januar 2021

Im Internet explodieren die Preise für Welpen und Katzenbabys, Tierheime und Züchter werden mit Anfragen überhäuft. Doch der Boom hat auch Schattenseiten.

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Labrador Welpen
Heiß begehrt in Deutschland: LabradorwelpenBild: Roger Tidman/imageBROKER/FLPA/picture alliance

Wurftermin 12. März 2021 - als Bernadette Dierks-Meyer auf der Homepage des Labrador Club Deutschlands ankündigt, bald wieder Welpen zu verkaufen, ahnt die Hundezüchterin noch nicht, was da auf sie zukommen wird. Wahrscheinlich so um die zehn Anfragen, so wie immer, denkt sich die Frau, die sich die Geburtstage ihrer Hunde besser merken kann als die ihrer Kinder. Doch innerhalb von ein paar Tagen wird Dierks-Meyer mit Kaufgesuchen bombardiert - für die kleinen Hunde, die ja noch nicht einmal auf der Welt sind.

"Ich habe schon jetzt über 60 Anfragen, obwohl ich meine Telefonnummer gar nicht veröffentlicht habe. Zum Glück, sonst würden mich die Interessenten auch nachts anrufen. Und ich weiß von Züchtern, die haben noch viel mehr Anfragen", sagt Dierks-Meyer der DW am Telefon.

Hundewunsch in Corona-Krise

Mit der Corona-Pandemie entdecken die Deutschen ihre Liebe zum Tier. Vor allem Katzen und Hunde sind gefragt, die traditionellen Lieblingstiere hierzulande: Schon vor Beginn der Pandemie lebte in jedem vierten deutschen Haushalt eine Katze, in jedem fünften ein Hund. Jetzt, in Zeiten von Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen, Einsamkeit und vielen Menschen mit sehr viel Zeit schießen die Anfragen massiv in die Höhe. Nach Angaben des Verbands für das deutsche Hundewesen (VDH) sind im Jahr 2020 rund 20 Prozent mehr Hunde gekauft worden als in den Jahren davor.

Für den Kauf von Tieren werden alle Register gezogen

"Vielleicht ist es das Bedürfnis nach einem Partner", ist die Erklärung von Dierks-Meyer. Die Labrador-Liebhaberin, in deren Keller sich Pokale von nationalen und internationalen sportlichen Hundewettkämpfen türmen, bekommt derzeit haufenweise Post von Menschen, die ihre ganze Familiengeschichte ausbreiten und von ihrem verstorbenen Vierbeiner schwärmen. "Das sind sehr, sehr nette E-Mails. Aber ich kann ihnen keinen Hund geben, so viele habe ich ja nicht."

Hunderasse Labrador Retriever
"Ich habe zwei Anfragen für meine Labradore als Assistenzhunde für Menschen im Rollstuhl" - Bernadette Dierks-MeyerBild: SANDRA FOTODESIGN/imago images

1500 Euro nimmt die Tierärztin für jeden ihrer Welpen - vergleichsweise wenig für einen Rassehund. Für Menschen, die sich nicht wie Dierks-Meyer an die strikten Vorgaben der Züchter (zwei Würfe in zwei Jahren) halten, und die in den Tieren nur ein lukratives Geschäft sehen, sind durch die Pandemie goldene Zeiten angebrochen. Für manche Tiere sind diese Zeiten dagegen alles andere als golden. Eher ziemlich dunkel.

Letzte Station Tierheim

Julia Zerwas ist eine Frau, die mehr Tiergeschichten ohne Happy-End kennt als Tiere, die glücklich und zufrieden in artgerechter Umgebung aufwachsen. Es ist gerade das, was sie antreibt. Ihr Studium der Tiermedizin in München hat sie geschmissen, um wieder dorthin zurückzukehren, wo sie hingehört und vor zehn Jahren angefangen hat zu arbeiten: in das Albert Schweitzer Tierheim in Bonn.

Bonn | Albert Schweitzer Tierheim
"Wenn Prominente einen Hund haben, wollen die Leute danach genau diese Rasse" - Julia Zerwas mit Kangal "Bruno"Bild: Oliver Pieper/DW

"Wir hatten neulich einen Fall, wo eine Person ihr Tier hierhin zurückgebracht hat, weil es sich nach drei Tagen noch nicht eingelebt hat", sagt Zerwas. In den Tierheimen geht die Angst um vor einer ganz besonderen Corona-Welle: dass viele Tiere bei ihnen landen, wenn die Pandemie irgendwann mal vorbei ist und die Menschen ihres neu entdeckten Hobbys überdrüssig sind.

Schon jetzt tummeln sich 48 Hunde, 52 Katzen und 175 Kleintiere auf dem Areal direkt neben der Autobahn im Bonner Norden, sogar Schlangen, Echsen und Tauben haben hier ein Zuhause gefunden. Zerwas und ihre 20 Kolleginnen und Kollegen sind, wenn man so will, die Intensivpfleger der Haustiere: wenn nichts mehr hilft, sind sie zur Stelle.

Massiver Anstieg von Anfragen nach Haustieren 

Sei es bei dem Notruf aus der Eifel, als 125 Hunde in einem Haus entdeckt werden, auf einen Schlag 100 Hamster ein neues Zuhause brauchen oder ein Hund im Tierheim strandet, bei dem vorher 13 Besitzer schier verzweifelt sind. Julia Zerwas ist es gewöhnt, Unmögliches möglich zu machen, aber die Corona-Krise stellt auch sie vor riesige Herausforderungen.

Bonn | Albert Schweitzer Tierheim
Informationsmappen über alle Tiere im Albert Schweitzer Tierheim in BonnBild: Oliver Pieper/DW

"Wir mussten den Publikumsverkehr massiv einschränken und machen Besuche jetzt nur noch mit Terminvergabe. Dadurch können wir natürlich viel weniger Tiere vermitteln, obwohl gleichzeitig die Anfragen in der Corona-Krise stark zugenommen haben", sagt Zerwas. Kopfzerbrechen bereitet ihr auch die finanzielle Situation des Tierheims. "Die Leute haben immer eine Spende da gelassen, dieses Geld fehlt uns jetzt. Wir mussten deswegen gerade einen Aufruf starten."

Und was rät Julia Zerwas den Menschen, die jetzt mit dem Gedanken spielen, sich ein Haustier zuzulegen? "Wirklich gut zu überlegen, was nach Corona passiert. Habe ich dann immer noch die Zeit? Und die Lust? Passt ein Haustier also in mein normales Leben, oder nur jetzt gerade so?"

Illegaler Handel von Welpen floriert

Hester Pommerening hat von Personen gehört, auf die dieser Appell passt wie die Faust aufs Auge. "Die Leute haben in Tierheimen gefragt, ob sie jetzt für das Homeoffice drei Monate einen Hund haben könnten", sagt die Mitarbeiterin des Deutschen Tierschutzbundes, "und es gab Tierheime, die an einem einzigen Wochenende 500 Anfragen bekommen haben."

Hester Pommerening vom Deutschen Tierschutzbund
"Der Haustierboom ist eine Suche nach Ablenkung - irgendjemand, mit dem man spielen kann" - Hester PommereningBild: Anne Kirchhoff-Duhme

Pommerening sagt von sich, sie wolle eine Stimme für die Tiere sein, und das ist in Deutschland ein Full-Time-Job: Gerade stand sie vor der Kamera, um ein früheres Ende des Kükentötens zu fordern, sie macht sich stark gegen Tierversuche und verlangt eine Agrarwende. Ein Problem, das für sie vor allem durch die Corona-Krise aktueller denn je ist: der illegale Handel von Welpen.

Ein Mausklick vom Haustier entfernt

Das Geschäft mit Tieren gilt mittlerweile als drittgrößte Einkommensquelle nach dem organisierten Drogen- und Waffenhandel in der Europäischen Union. Der Deutsche Tierschutzbund spricht allein zwischen Januar und Oktober 2020 von 75 Fällen von illegalem Heimtierhandel, über 800 Tiere, vor allem Hunde, waren betroffen. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.

Köln | Hund zum Gassi gehen Gesucht
Hund zum Gassi gehen gesucht - Aufruf in Köln Bild: Diana Hodali/DW

"Das süße Haustier ist nur einen Mausklick entfernt. Wir reden hier allerdings von einem Lebewesen, das man nicht so einfach umtauschen kann wie vielleicht einen Pullover oder ein Spielzeug", sagt die Tierschützerin. Dabei ist die Aussicht so verlockend: Verlaufen die Anfragen bei Züchtern oder in Tierheimen erfolglos, genügt ein Blick bei eBay Kleinanzeigen für eine riesige Auswahl von tausenden treu dreinblickenden Knopfaugen.

"Dahinter stecken oftmals kranke Tiere, die zu früh von ihrer Mutter getrennt wurden, verhaltensgestört sind und unter grausamen Bedingungen in Osteuropa produziert werden", so Hester Pommerening, "viele Tiere sterben dann auch, weil sie überhaupt keine Impfungen bekommen haben."

Tierschutzbund fordert Verbot von Internetverkauf

Die Tiermafia aus Rumänien, Ungarn, Serbien und der Türkei geht dabei immer raffinierter vor: Die Anzeigen sind kaum noch von seriösen Anbietern zu unterscheiden, die Preise normal, schriftliche Anfragen werden freundlich beantwortet.

Spätestens bei der Übergabe sollten die Interessenten allerdings stutzig werden: "Es werden oft scheinheilige Gründe vorgeschoben, wie dass zum Beispiel gerade die Wohnung renoviert werden muss, und die Übergabe soll dann auf einem Parkplatz stattfinden."

Kopf, Silhouette vor eBay Website
Nur ein paar Klicks entfernt vom Haustier: die Verkaufsplattform eBay Bild: picture-alliance/chromorange/C. Beier

Auf der Bestellkarte der illegalen Tierhändler stehen nicht nur Hunde und Katzen, sondern auch immer mehr exotische Tiere wie Schlangen, Kängurus und sogar Hirsche. Pommerenings Forderung für die Corona-Krise, aber auch die Zeit danach: "Tiere dürfen nicht mehr über das Internet verkauft werden. Finger weg davon!"