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Corona-Flucht in den Alkohol

5. Februar 2021

Wegen Existenzängsten, Einsamkeit oder Langeweile greifen immer mehr zur Flasche. Betroffen sind nicht nur psychisch labile Menschen.

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Deutschland Symbolbild Alkoholismus
Bild: U. J. Alexander/imago images

Weil Kneipen und Restaurants geschlossen sind und es auch keine Feste oder Feiern im Lockdown gibt, fehlt das gesellige Trinken, der Alkoholumsatz geht zurück, das macht z.B. den Brauereien schwer zu schaffen.

Weltweit aber hat der Alkoholkonsum in der Pandemie laut Global Drug Survey signifikant zugenommen - das Trinken hat sich einfach nach Hause verlagert. Für die internationale Studie wurden im Mai und Juni 2020 insgesamt 58.811 Personen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Österreich, in den Niederlanden, der Schweiz, Australien, Neuseeland, Brasilien und in den USA befragt. Davon gaben 43 Prozent an, häufiger Alkohol getrunken zu haben und 36 Prozent gaben an, mehr Alkohol konsumiert zu haben.

Experten schlagen Alarm

Diese Angaben decken sich auch mit jüngsten Beobachtungen von Psychotherapeuten und Psychiatern in Deutschland, die in der Pandemie einen steigenden Alkohol-, Zigaretten- und Drogenkonsum und dadurch eine Zunahme psychischer Probleme beobachtet haben. 

Laut der Studie "Psychische Gesundheit in der Krise" der pronova BKK, einem Zusammenschluss von Betriebskrankenkassen mit mehr als 650.000 Versicherten, stellten sechs von zehn Therapeuten bei ihren Patienten häufiger Alkoholprobleme fest. Für die Studie wurden 154 Psychiater und Psychotherapeuten in Praxen und Kliniken befragt.

Deutschland | Coronavirus | Symbolbild Bayern Alkoholverbot
Das Trinken hat sich durch die Pandemie aus der Öffentlichkeit nach zuhause verlagertBild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

Neben Alkohol und Nikotin versuchen viele ihren Kummer auch mit Medikamenten zu betäuben. Ein Drittel der Experten diagnostizierte einen vermehrten Konsum von härteren Drogen wie Cannabinoiden, Kokain oder Halluzinogenen.

Betroffen sind vor allem Personen, die schon vor der Krise psychische Probleme oder Alkoholprobleme hatten.

Kein Problem! Betrifft mich nicht. Von wegen!

Es geht nicht um das eine Gläschen Bier und Wein am Abend, das man sonst vielleicht mal in der Kneipe oder beim Restaurantbesuch trinken würde. Es geht darum, wenn aus einem Gläschen zum Essen schnell und regelmäßig eine ganze Flasche wird. 

In der endlos erscheinenden Pandemie machen sich viele Menschen große Sorgen um ihre eigene Gesundheit, um ihre Freunde und Verwandten, um ihre Existenz. Und wenn die Sorgen oder die Langeweile groß sind, greifen immer mehr zur Flasche. Und das zum Teil schon früh am Tag. Durch Isolation und Homeoffice fehlt bei vielen die soziale Kontrolle - durch die Webcam riecht man keine Alkoholfahne.

Im Global Drug Survey nannten die Befragten als häufigste Gründe für das veränderte Trinkverhalten, in der Pandemie einfach "mehr Zeit dafür zu haben" (42 Prozent) oder schlicht "aus Langeweile" zu trinken (41 Prozent). Einige wollen mit dem Alkohol Ängste und Sorgen kompensieren, die die Corona-Krise bei ihnen ausgelöst hat. 

Deutschland | Coronavirus | Symbolbild Bayern Alkoholverbot
Wenn die Sorgen, die Einsamkeit oder die Langeweile groß sind, greifen immer mehr zur Flasche.Bild: Hans-Joachim Schneider/picture alliance

Erschwerend kommt hinzu, dass die geläufigen Mittel der Stressbewältigung, Ausgehen oder Sport, oftmals wegfallen. Wenn dann etwa der Alkohol zur Stressbewältigung dienen soll, kann es nach Ansicht der Psychologen schnell gefährlich werden. Vielleicht rattert der Kopf durch den Alkohol für eine Weile nicht mehr, aber dafür steigt auf längere Sicht das Risiko einer Alkoholabhängigkeit.

Betroffen sind laut BKK-Studie nicht nur psychisch labile Personen oder Menschen mit langjährigen Alkoholproblemen. Auch bislang unbelastete Menschen geraten durch Job- und Existenzängste, Einsamkeit, Langeweile oder das Fehlen der gewohnten Tagesstrukturen in seelische Nöte - und sind suchtgefährdet. Denn wenn das Trinken erst zur Gewohnheit wird, lässt es sich schwer wieder abgewöhnen.

Der Körper braucht regelmäßige Regenerationsphasen

Alkohol ist nach WHO-Angaben jährlich weltweit für drei Millionen Todesfälle verantwortlich, rund eine Million davon in der europäischen Region.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) empfiehlt, an mindestens zwei oder mehr Tagen in der Woche nüchtern zu bleiben. Denn schon ein oder zwei Gläser Wein am Abend richten bleibende Schäden an.

Vermehrter Alkoholkonsum in Deutschland seit Corona
Wenn der Alkohol zur Stressbewältigung dienen soll, kann es nach Ansicht der Psychologen schnell gefährlich werden.Bild: picture-alliance/S. Simon

Neurologen der University of Southern California haben bei der Untersuchung von mehr als 17.000 Hirnen von älteren Verstorbenen festgestellt, dass Alkoholkonsum altersbedingte Schäden beschleunigt, Gedächtnis und Intelligenz werden massiv beeinträchtigt. Ihre Berechnungen ergaben, dass jede Einheit Alkohol pro Tag das menschliche Gehirn im Durchschnitt um eine Woche altern lässt. 

Und auch das Herz wird durch einen starken Alkoholkonsum in Mitleidenschaft gezogen, weil Alkohol die elektrischen Signale, die den Herzrhythmus regulieren, irritiert. Wenn man dauerhaft viel trinkt, kann das Problem chronisch werden, fanden südkoreanische Forschende heraus. Wer häufig viel trinkt, hat ein deutlich erhöhtes Risiko für einen unregelmäßigen Herzschlag, das sogenannte Vorhofflimmern.

Ehrlichkeit sich selbst gegenüber

Eine gute Nachricht gibt es aber auch: Durch eine deutliche Verringerung des Alkoholkonsums kann man die Gesundheitsrisiken relativ schnell wieder senken. Die Leber etwa erholt sich vergleichsweise schnell, sofern sie nicht irreparabel geschädigt wurde. 

Entscheidend ist, dass man auch in schwierigen Zeiten ehrlich zu sich selbst ist. Und das gilt natürlich ganz besonders für die Trinkgewohnheiten während dieser Pandemie. Dabei können übrigens Apps wie Drinker´s Helper oder DrinkControl hilfreich sein, um den tatsächlichen Alkohol-Konsum zu kontrollieren und sich die eventuellen Gefahren bewusst zu machen. 

 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund