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"Corona-Impfstoff für weit unter einem Euro"

Nicolas Martin
20. November 2020

Moderna und Biontech preschen beim Corona-Vakzin vor. Der Unternehmer und Forscher Michael Piontek ist noch nicht soweit. Im DW-Interview erklärt er, warum sich sein Impfstoff trotz des Rückstandes lohnen könnte.

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Artes Biotechnology Coronavirus Forschung
Michael Piontek, Chef von Artes BiotechnologyBild: DW/N. Martin

Deutsche Welle: Erst Biontech, nun Moderna - die ersten Unternehmen legen Erfolgsmeldungen zur Wirksamkeit ihrer Impfstoffe vor. Sie arbeiten auch an einem Impfstoff, sind aber noch nicht so weit. Was haben Sie gedacht, als das erste Unternehmen - Biontech - mit der Nachricht an die Öffentlichkeit ging?

Michael Piontek: Ungelogen: Der erste Gedanke war tatsächlich: Wunderbar, das ist eine gute Nachricht. Erst einmal für uns alle. Aber auch deswegen: Wenn dieser Ansatz von Biontech funktioniert, dann wird auch unser Ansatz funktionieren. Bei uns ist es nämlich am Ende des Tages das gleiche Zielprotein, das die Immunantwort vermitteln soll, nur anders hergestellt.

Sie arbeiten mit Hefezellen und haben auf dieser Basis einen Impfstoff gegen Hepatitis B zur Marktreife gebracht. Worin könnte Ihr Vorteil gegenüber einem Impfstoff von Moderna, Biontech und anderen liegen?

Da gibt es sicherlich zwei große Vorteile: Das erste ist die erprobte Sicherheit, weil es auf der gleichen Basis der Hefe bereits Impfstoffe gibt. Man hat also eine sehr große Datenbasis. Man weiß, es funktioniert und schadet niemandem. Das zweite ist, dass wir mit dieser Hefe sehr, sehr kostengünstig herstellen können.

Beziehungsweise muss man auch fairerweise sagen, unsere Lizenznehmer und Partner, die die Technologie von uns übernehmen, bei sich produzieren und bei sich vermarkten. Dort gibt es bereits sehr große Anlagen, die jetzt zum Beispiel für einen Hepatitis-Impfstoff genutzt werden. Die kann man umwidmen und den COVID-Impfstoff in Schwellenländern sehr günstig für sehr große Märkte produzieren. Das ist sicherlich ein entscheidender Punkt.

Bei der Preisfindung für Impfstoffe geht es noch nicht wirklich transparent zu - sehr wenig ist darüber bekannt. Die Amerikaner bezahlen für eine Dosis bei Biontech wohl knapp 17 US-Dollar. Wie können Sie das denn billiger anbieten?

Wir können es billiger anbieten, weil wir aufgrund der bereits entwickelten Impfstoffe wissen, dass man eine einzelne Impfdosis für weit unter einem Euro produzieren kann und damit trotzdem noch entsprechende Margen erzielt. Wir müssen mit unserem Impfstoff nicht erst noch zehn Jahre Entwicklungszeit wieder reinspielen.

Hinzu kommt, dass bei den börsennotierten Firmen die Anleger bislang sehr viel Geld investiert haben und jetzt natürlich ihren Return of Investment haben wollen. Das ist bei uns nicht der Fall, da wir bereits Gewinne erwirtschaften. Wir können die geringen Herstellungskosten direkt an den Kunden weitergegeben.

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Hier noch Hefezellen, später ein ImpfstoffBild: DW/N. Martin

Bei den aktuell angepeilten Preisen scheint der Impfstoff von Biontech, Moderna und Co für die westliche Welt zu sein und nicht für Entwicklungs- und Schwellenländer?

Das ist definitiv so und das liegt sicherlich nicht nur am Preis. Das liegt auch daran, dass viele der RNA-Impfstoffe bei minus 70 Grad Celsius gelagert und verteilt werden müssen. Deswegen sprechen wir ja hier auch in Deutschland vom Aufbau von Impfzentren. Sie werden nicht zum Arzt gehen können und sich da ihre Impfungen von Biontech abholen. Das wird so nicht funktionieren. Und wenn ich mir jetzt überlege, ich gehe nach Indien, ich gehe nach Afrika und soll dort minus 70-Grad-Kühlketten aufrechterhalten: Das wird nicht funktionieren. Ich würde mal sagen, das wird in drei Viertel der Welt nicht möglich sein.

Wie weit sind Sie denn mit Ihrem Impfstoff?

Wir sind soweit, dass wir bei uns zunächst mal Proben hergestellt haben und jetzt in Tierversuche gehen. Das ist etwas, was wir aus eigener Kraft stemmen können. Außerdem haben wir an zwei sehr große führende asiatische Impfstoff-Unternehmen unsere Technologie auslizensiert. Die bauen dort ihre Produktion bereits auf und gehen in die Zulassungsverfahren und wir hoffen, dass der Impfstoff in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres angewendet werden kann.

Das heißt, anders als bei großen Pharma- und Biotechfirmen haben Sie die teure Entwicklungsphase - also die Tests am Menschen - an ihre Partner ausgelagert?

Auf jeden Fall. Das werden wir nicht machen. Dafür sind wir gar nicht ausgelegt. Das heißt auch, dass unser finanzielles Risiko zum Glück überschaubar bleibt. Wir gehen da nicht in eine Alles-oder-Nichts-Geschichte rein. Dahingegen ist das Risiko bei uns überschaubar. Unsere Strategie ist, dass wir uns weiter als Entwicklungspartner ins Spiel bringen möchten.

Sie haben also deutlich weniger Risiko, dafür sind die Renditechancen sicher auch geringer als bei den großen Impfstoff-Produzenten?

Natürlich wird der Löwenanteil des Profits dann in Indien beim Hersteller gemacht werden. Aber da muss man auch neidlos anerkennen, die nehmen ganz andere Geldsummen in die Hand. Und das auch ohne die Garantie zu haben, dass sie einen Return of Investment kriegen. Und deswegen ist das für uns schon ein vernünftige Risiko- und Nutzen-Verteilung. Da kann ich mit leben. Finanziell ist es dennoch für uns interessant. Nebenher ich noch einen ruhigen Nachtschlaf habe - das ist unbezahlbar.

Das Interview führte Nicolas Martin.

Michael Piontek ist Geschäftsführer von Artes Biotechnology. Seit dem Studium arbeitet er an Hefezellen.