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Coronavirus: Sind wir unbewusst rassistisch?

Conor Dillon mk | Gabriel Borrud
5. Februar 2020

Chinesische Restaurants werden gemieden, Asiaten werden misstrauisch beäugt. Psychologe Joshua Tybur von der Uni Amsterdam erforscht, wie Menschen auf empfundene Bedrohungen wie Infektionen reagieren.

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Sicherheitsmaßnahmen gegen Coronavirus am Flughafen in Addis Abeba
Bild: Getty Images/L. Dray

Deutsche Welle: Von überall auf der Welt hören wir Geschichten, dass Menschen derzeit Kontakt zu Personen und Dingen vermeiden, die chinesisch aussehen. Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, warum das so ist?

Joshua Tybur: Das ist traurig, aber es verwundert nicht, wenn man die Daten anschaut, die wir erhoben haben. Wir haben vor einigen Jahren eine Untersuchung veröffentlicht, in der wir uns angeschaut haben, wie die Leute auf mögliche Flüchtlinge aus Liberia während des Ebola-Ausbruchs von 2014 reagiert haben. Aber auch, wie sie auf Immigranten aus Syrien reagiert haben, als der "Islamische Staat" ein großes Problem war.

Wir haben herausgefunden, dass die befragten Frauen und Männer gleichermaßen ablehnten, als es um Liberia ging und dass sie bei den Syrern, die sie mit Gewalt und Terrorismus in Verbindung brachten, vor allem die Männer ablehnten. Wir schließen daraus, dass Menschen aus Infektionsgebieten grundsätzlich als bedrohlich wahrgenommen werden, egal ob sie männlich oder weiblich sind. 

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In einer Ihrer Studien sprechen sie von der Psychologie der Krankheitserreger-Vermeidung. Geht es hier darum?

Genau, seit es Menschen gibt, werden wir von Krankheitserregern bedroht. Und erst seit 200 Jahren wissen wir, dass Krankheiten durch Erreger ausgelöst werden.

Unsere Gehirne hatten bis dahin unbewusste Strategien entwickelt, Krankheitserreger zu vermeiden. Man braucht keinen Abschluss in Mikrobiologie um zu wissen, dass man dreckige öffentliche Toiletten oder Erbrochenes auf dem Fußboden besser nicht anfasst. Wenn wir so etwas sehen, riechen oder hören, sagt uns das: 'Bleib weg davon'.

Es entsteht Ekel, und der hält uns davon ab, uns zu infizieren. Die Krankheitserreger greifen uns nicht wie Löwen oder Tiger an. Wir müssen sie berühren, um infiziert zu werden. Dieser Ekel hält uns genau davon ab.

Diskriminierung wegen Corona-Virus?
Keine Diskriminierung wegen Corona-Virus - Phung Minh Hoang betreibt einen Asia Markt in BonnBild: DW/M. Müller

Ist dieses Gefühl vergleichbar mit der Angst, die jemand vielleicht hat, wenn er in der Kassenschlange jemanden sieht, den er für einen Chinesen hält? Würden Sie sagen, das ist eine natürliche Reaktion?

Ja, ich würde sagen, das ist natürlich, was nicht heißt, dass es gut oder wünschenswert ist. Der Ekel wird durch Reize ausgelöst -  wie Husten oder infizierte Wunden.

Das Problem beim Coronavirus oder ähnlichen Infektionen ist nun, dass die Leute keine Symptome haben. Man wird also besonders aufmerksam und sucht überall nach Anzeichen.

Wenn man nun jemanden von einer bestimmten Bevölkerungsgruppe sieht, jemanden, der vielleicht nicht einmal selbst weiß, dass er infiziert ist, dann wird zwar nicht direkter Ekel ausgelöst, aber man hält sich vorsichtshalber fern. 

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Sie haben sich viele Daten zu diesem Thema angeschaut. Kann man voraussagen, wer bei einer Infektion besonders hysterisch auf bestimmte Bevölkerungsgruppen reagiert? Liegt das am Bildungsniveau oder daran, wie viel Kontakt jemand zu anderen Kulturen hat? Sehen Sie solche Zusammenhänge?

Nun ja, Menschen, die eine negativere Einstellung zu Immigranten haben, werden auch auf Menschen, die aus dem Land stammen, in dem es das Coronavirus gibt, negativer reagieren.

BdTD Südkorea Arbeiterinnen in traditioneller Tracht tragen Schutzmasken
Steilvorlage für Rassisten? Ist unsere Angst vor dem Fremden genetisch bedingt?Bild: Reuters/Heo Ran

Es gibt aber noch etwas anderes Interessantes. Wir nennen es "Ekelempfindlichkeit". Wir messen das, indem wir Menschen fragen, wie sehr sie angeekelt sind von verdreckten Kühlschränken, vom Treten in einen Hundehaufen oder von Menschen mit Körpergeruch. Also all diese unbewussten Anzeichen von Krankheitserregern.

Menschen, die darauf mehr reagieren, haben vor allem negative Meinungen gegenüber Einwanderern aus Ländern mit möglichen Krankheitserregern. Gegen Einwanderer aus Ländern ohne solche Krankheiten haben sie keine Abneigung.

Heißt das: Es könnte also in meiner DNA liegen, ob ich mich mehr vor Krankheitserregern ekele, und dann ungewollt gegen die Einwanderung bestimmter Bevölkerungsgruppen bin?

Ja, das glaube ich schon. Wir haben herausgefunden, unter anderem mit Forschungen an Zwillingen, dass in etwa 50 Prozent der Ekelempfindlichkeit auf die DNA zurückzuführen ist. 

Wie reagieren Sie, wenn Ihnen vorgeworfen wird, sie würden mit dieser Forschung Rassismus rechtfertigen?

Ich würde sagen, dass es schon immer Vorurteile gab und dass die Menschen keine wissenschaftliche Bestätigung ihres Handelns gebraucht haben.

Wir wollen herausfinden, warum das so ist. Mein Ziel als Wissenschaftler ist es, die psychologischen Prozesse zu erkennen, um Empfehlungen zu geben, wie man verhindern kann, dass solch gesellschaftlich problematisches Verhalten entsteht. Wir Wissenschaftler haben aber auch die Aufgabe, die Sache ins richtige Verhältnis zu setzen.

Hongkong | Vater und Sohn mit Atemschutzmaske
Mit Fakten gegen Hysterie und AusgrenzungBild: picture-alliance/AA/M. Candela Poblacion

Ich habe eine Geschichte aus Italien gelesen, wo eine Frau jemanden asiatischer Herkunft beschuldigt hat, das Coronavirus zu haben und alle anzustecken. Der Mann hat dann in flüssigem Italienisch mit römischem Dialekt geantwortet, dass er in Rom geboren sei und noch nie in China gewesen ist.

An dieser Geschichte kann man sehen, wie lächerlich solche Reaktionen sind, auch wenn sie der menschlichen Natur entsprechen. Sie haben keine Basis in der derzeitigen Verbreitung der Krankheit. Ich glaube, dass nicht nur ich als Psychologe, sondern auch die Infektionsspezialisten die Verantwortung haben, die Sache nicht zu dramatisieren.

Ich meine, es ist viel unwahrscheinlicher sich mit dem Corona-Virus anzustecken und daran zu sterben, als wenn man beim Überqueren der Straße auf seinem Handy rumtippt.

Das Interview führten Conor Dillon und Gabriel Borrud

Joshua Tibor ist Professor an der Universität von Amsterdam im Institut für experimentelle- und Verhaltenspsychologie. Sein Spezialgebiet ist die Erforschung evolutionärer Aspekte des Bedrohungsmanagements und das spezielle menschliche Verhalten im Angesicht bedrohlicher Krankheiten.