1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Das war ein guter Tag für Tunesien"

24. Oktober 2011

In Tunesien und auch im Ausland wurde die Wahl als Bewährungsprobe für die Revolutionsbewegung in der arabischen Welt gewertet. Ihr fairer Verlauf sende ein starkes Signal, sagt der EU-Wahlbeobachter Michael Gahler.

https://p.dw.com/p/12y1p
Michael Gahler in Tunesien bei der Wahl (Foto: EU)
Michael Gahler ist der Chef der EU-Wahlbeobachter in TunesienBild: EU

DW-WORLD.DE: Herr Gahler, Sie sind als Chef der EU-Wahlbeobachter bei den ersten freien Wahlen seit 23 Jahren in Tunesien mit dabei gewesen. Mehr als 90 Prozent der 4,1 Millionen registrierten Tunesier sind zu den Wahlurnen gegangen. Sind denn die ersten freien Wahlen Tunesiens auch frei und fair abgelaufen?

Michael Gahler: Es ist ein freudiges Ereignis gewesen. Wir haben die Leute teilweise stundenlang Schlange stehen sehen, haben mit ihnen gesprochen und sie waren alle glücklich. Und die meisten sind überhaupt das erste Mal zu einer Wahl gegangen und hatten vorher noch nie an Ben Alis Scheinwahlen teilgenommen. Deswegen ist das ein guter Tag für Tunesien. Wir als Wahlbeobachter sind derzeit noch beim Prozess der Stimmenauszählung dabei. Denn das ist der entscheidende Punkt in der politischen Diskussion in Tunesien: Sind die Wahlen transparent? Transparent heißt ja dann auch bis zum letzten Augenblick, vom ermittelten Ergebnis im Wahllokal bis hin zum Gesamtergebnis im Wahlkreis. Es hat einige Verzögerungen gegeben, weil der Andrang in den Wahllokalen, wo die Vorregistrierten abgestimmt haben, so groß war. Außerdem hat es kleine Unregelmäßigkeiten gegeben, weil Protokolle versiegelt und in die Wahlurne gesteckt wurden. Das sollte eigentlich nicht passieren, aber das sind Anfängerfehler. Die beeinträchtigen zwar nicht die Qualität der Wahl, aber sie verzögern den Auszählprozess.

Ist denn auch von Wahlfälschung die Rede? Die Angst davor war ja groß.

Ich glaube, das System, so wie es angelegt ist, ist sehr transparent. Die Wahlergebnisse werden draußen vor den Wahllokalen angezeigt, so dass sie für jeden Tunesier sichtbar sind. Bei allen Schritten waren immer Beobachter dabei. Ich habe mich auch selber davon überzeugt, dass zum Beispiel im Wahlkreis ’Tunis 1’ alle Wahlbüroprotokolle eingetroffen sind und jetzt unter Beobachtung in riesige Blätter eingetragen werden. Am Schluss wird sogar alles mit jedem einzelnen Wahlbüroergebnis ins Internet gestellt. So kann man wirklich von Transparenz reden und auch davon, dass keine Fälschungen stattgefunden haben in diesem Prozess.

Wie geht es denn jetzt weiter, wenn die Stimmen ausgezählt wurden?

Es wird als nächstes ermittelt, wie die Sitzverteilung aussieht. Es gab ja auch Mehrpersonen-Wahlkreise. Zwischen vier und zehn Sitze wurden in den 27 Wahlkreisen im Inland und den sechs Wahlkreisen im Ausland ermittelt. Auch in Deutschland ist gewählt worden. Diese Zusammensetzung wird am Dienstagabend (25.10.2011) vom Chef der Wahlkommission bekannt gegeben.

Tunesier beim Auszählen der Stimmen (Foto: DW)
Noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt, aber die Islamisten liegen derzeit vorneBild: DW

Welches Signal sendet diese Wahl, ihre Durchführung und ihr möglicher Ausgang an andere arabische Länder?

Ich denke, es sendet ein ganz starkes und überzeugendes Signal. Menschen, die sich von einer autoritären Herrschaft befreit haben, haben es geschafft, innerhalb von gut neun Monaten einen Legitimitätsrahmen für ihre Führung zu schaffen. Man hat unabhängig von den bestehenden Strukturen diese Wahl vorbereitet und man hat bewusst nicht auf die alten existierenden Wahlstrukturen zurückgegriffen. Die Tunesier wollten sich von den Personen lösen, die für die alte Zeit stehen. Es sind die Menschen in den Wahlkommissionen, die sich für Demokratie eingesetzt haben und teilweise sogar aus dem Exil zurückgekommen sind, um in Tunesien Demokratie auf die Beine zu stellen. Und das Signal in die anderen arabischen Länder heißt ganz deutlich: Organisiert euch ähnlich wie die Tunesier, wenn ihr nicht nur eine Revolution haben wollt, sondern auch dauerhaft einen demokratischen Rahmen.

Werden die Tunesier und auch der Westen das Ergebnis, egal wie es ausfällt, bei diesen frei durchgeführten Wahlen wohl akzeptieren?

Es geht nicht darum, ob wir Wahlbeobachter das Ergebnis annehmen. Die Tunesier müssen das Gefühl haben, dass das, was am Dienstagabend bekannt gegeben wird, ihr Ergebnis ist, ein Ergebnis ihrer Wahl. Und wenn das der Fall ist, dann muss man nicht nur auf dieser Basis die verfassunggebende Versammlung durchführen, sondern dann ist es auch Aufgabe des Westens, der Nachbarn hier und der internationalen Gemeinschaft, auf dieser Grundlage mit Tunesien weiter zu arbeiten, um die Demokratie zu festigen.

Das Gespräch führte Diana Hodali
Redaktion: Hans Spross