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Der sanfte Löwe brüllt

Volker Wagener21. Mai 2014

Bundesaußenminister Steinmeier gilt als geborener Diplomat: sachlich, ausgewogen und mit guten Zuhörqualitäten. Nur selten fährt er mal aus der Haut. Jetzt war es so weit: bei einem Europa-Wahlkampfauftritt in Berlin.

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Frank-Walter Steinmeier am Rednerpult (Foto: dpa/Britta Pedersen)
Bild: picture-alliance/dpa

Von wegen, der brave Frank-Walter. Vielleicht ist seiner Partei, der SPD, bei der Terminierung des Straßenwahlkampfes in der Schlussphase ein Fehler unterlaufen. Der Alexanderplatz im Zentrum von Berlin hat sich zum Treffpunkt für linke Protestler entwickelt - ganz in der Tradition der Leipziger Montagsdemonstrationen der Vorwendezeit. Ausgerechnet dort sollte der Bundesaußenminister an diesem Montag (19.05.2014) um Stimmen für seine Partei bei der Europawahl werben. Mit lautstarken Reaktionen des Publikums hätte das SPD-Wahlkampfteam rechnen müssen. Ort und Zeitpunkt waren also schlecht gewählt. Kein Wunder also, dass Steinmeier verbalen und atmosphärischen Gegenwind verspürte, als er über Europa und den Euro referierte.

"Ihr seid Kriegstreiber", schallte es ihm aus dem Publikum entgegen und lesen konnte Steinmeier den Vorwurf auch noch auf zahlreichen Plakaten. Kein Zweifel: Die laute Minderheit hatte die Stimmung auf dem "Alex" im Griff und Steinmeier war damit in der emotionalen Klemme. Doch der Außenminister ging zum Gegenangriff über. Laut und geradezu wütend konterte er seinen Widersachern, die ihn und die deutsche Politik mit Blick auf die Entwicklung in der Ukraine in die Nähe des Faschismus stellten.

Ganz offenkundig hatte sich der sonst so kontrollierte Steinmeier nicht im Griff, doch der nur zwei Minuten anhaltende Verlust der Contenance bringt Steinmeier, eventuell der Bundesregierung und vielleicht sogar der SPD postwendend Pluspunkte bei der Europawahl. Bei Youtube verzeichnet das Wut-Video Rekord-Abrufzahlen. Weit mehr als eine Million Steinmeier-Fans und Gegner haben das Filmchen über den tobenden Außenminister gesehen. Ein Hit im Netz. Zum Vergleich: Offizielle Werbespots des Europäischen Parlaments zur Europawahl kommen gerade mal auf schlappe 5000 bis 50.000 Abrufe.

Steinmeier-Kritiker im Internet werfen ihm vor: "Wer schreit, denkt nicht mehr!" Doch auffällig häufig gibt es Applaus in den sozialen Netzwerken für den "Frank-Walter, den Löwen". "Was für eine Wutrede, endlich Wahlkampf", schreibt ein Begeisterter. Und ein anderer Fan wird sogar historisch: "Weck' den Willy (Brandt, Anm. d. Red.) in Dir!"