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Politik

"Deutschland hat ein Rassismus-Problem"

Tessa Clara Walther
17. März 2020

Kubilay A. ist in Deutschland geboren, hat einen deutschen Pass, ist Lehrer in Berlin. Und doch wird er immer wieder Opfer von Rassismus. Eine Bestandsaufnahme.

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Deutschlannd Symbolbild Hass in der Gesellschaft
Bild: Getty Images/S. Gallup

"Ey, du Ziegenficker. Geh wieder zurück nach Hause. Und nimm' gleich deine Kopftuchmutter gleich mit". Kubilay A. rührt angespannt in seinem Milchkaffee. Die Erinnerung nimmt ihn sichtlich mit. "Damals auf dem Fußballplatz, mit den anderen Jungs, da waren das ganz alltägliche Sprüche. Darüber habe ich mit meiner Familie schon gar nicht mehr geredet".

Kubilay A. sitzt in einem Berliner Café. Seine wachen, braunen Augen wandern immer wieder von seiner Tasse in die Luft, zu seinen Händen und zurück. Der 38-Jährige ist in Deutschland geboren, als Kind türkischer Eltern. Kubilay A. ist nicht sein richtiger Name, den will er in der Presse nicht sehen. Anderen sagen von Kubilay A., er sei einer, der "es geschafft" habe. Einer der zeige, es ginge doch: Das mit der Integration. "Aber das ist Quatsch", wehrt Kubilay A. ab. "Ich hab‘ einfach nur Glück gehabt."

Thema: Rassismus in Deutschland
Kubilay A. (Name geändert) lebt und arbeitet in BerlinBild: DW/T. Walther

"Zuhause" war für Kubilay A. lange ein schwieriges Konzept. Er wird zwar in Deutschland geboren. Doch als er sieben ist, geht es zurück in die Türkei. Er ist 14, als seine Mutter beschließt, wieder nach Berlin zurück zu kehren. Kubilay A. kommt in die siebte Klasse. Aber sein Deutsch hat er fast komplett vergessen. Seinen ersten Deutschaufsatz von damals hat er bis heute aufgehoben: Eine Din A4 Seite mit 78 Rechtschreibfehlern. Die Probleme im Unterricht sind groß - und gehen auf dem Pausenhof weiter: "Kameltreiber", "Kanake" wird er beschimpft. Manchmal kocht bei solchen Beleidigungen die Wut in ihm hoch, er will sich verteidigen. Doch oft fehlen ihm die Worte. Dann bleiben nur die Fäuste.

"Deutschland hat ein Rassismus-Problem"

Orkan Özdemir hat schon oft Geschichten wie die von Kubilay A. gehört. Der SPD Politiker arbeitet in Berlin, ist Politikwissenschaftler und Experte im Themenfeld Antidiskriminierung. "Deutschland hat ein Rassismus Problem. Und zwar auf verschiedenen Ebenen: Wir haben die gesellschaftliche Ebene, also den Alltags-Rassismus. Wir haben die strukturelle Ebene, also der Ausschluss von bestimmten Menschen im öffentlichen Dienst oder in der Politik und schließlich die extremistische Ebene, also den rechten Terror". Orkan Özdemir setzt sich dafür ein, dass Menschen, die von Rassismus betroffen sind, noch besser vom Staat geschützt und gefördert werden. Letztlich sollen sie mehr Sichtbarkeit in der deutschen Gesellschaft erhalten. "Denn Sichtbarkeit hat auch immer etwas mit Normalität zu tun", fügt Özdemir  hinzu.

Orkan Özdemir ist SPD-Politiker und Referent für interkulturelle Angelegenheiten
Orkan Özdemir ist SPD-Politiker und Experte für IntegrationsfragenBild: DW/T. Walther

Förderung, das war für Kubilay A. genau das Glück, von dem er heute spricht. "Mit 16 Jahren waren keine türkischen Freunde mehr übrig in meiner Klasse. Da gab es nur noch Deutsche; alle anderen waren abgegangen. Da wollte ich auch hinschmeißen". Er füllte sein Abmeldeformular aus, ging zum Schulleiter. "Und der hat das Formular einfach vor meinen Augen zerrissen. 'Du bleibst auf meiner Schule'. Der hat echt an mich geglaubt". Das machte Eindruck auf Kubilay A.. Er blieb, machte seinen Abschluss und studierte auf Lehramt an der Universität Heidelberg. Heute ist er Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte in Berlin.

Migrationsgeschichte als Vorteil

Mit der Willkommenskultur von 2015 hat sich einiges in Kubilay A.s Leben getan. Er wird für die Sprachlernklassen gebraucht und arbeitet viel mit Kindern von Geflüchteten. Seine Arbeit ist unter Kollegen geschätzt. Weil er einen besonderen Draht zu den Schülern hat. "Heute ist meine Geschichte manchmal von Vorteil", resumiert Kubilay A.. Doch der Alltagsrassismus gehe weiter, wurde zum Teil sogar schlimmer, selbst im Lehrerzimmer, erlebt Kubilay A.. Einer Kollegen beschimpft in  als "Prolet", als der ihn beim schnellen Autofahren sieht. Ein anderer wundert sich, dass Kubilay A. kein Arabisch mit den Geflüchteten sprechen kann. Türkisch und Arabisch  seien doch irgendwie das Gleiche.

Hannover Flüchtlinge in Sprachlernklasse
Auch Kubilay A. unterricht in Sprachlernklassen Kinder von GeflüchtetenBild: picture-alliance/dpa/P. Steffen

SPD-Politiker Orkan Özdemir ist überzeugt: Seit 2015 hat sich das gesellschaftliche Klima  verändert. "Rassismus in Deutschland ist nichts Neues. Aber rechte Akteure haben es in den letzten Jahren geschafft, ein Geschichte um diesen Rassismus zu stricken und weit zu verbreiten". Özdemir zufolge wird dieses Narrativ ungefähr so erzählt: "`Wir haben unkontrollierte Grenzen, über die Vergewaltiger und Terroristen in unser Land kommen und unsere Frauen bedrohen‘". Zur Verbreitung dieser Geschichte habe die AfD als politischer Arm des rechten Untergrundes maßgeblich beigetragen, analysiert der SPD-Politiker. "Dabei hat Deutschland seit 2015 eine unglaubliche Integrationsleistung hingelegt. Das sollten wir viel eher betonen", ergänzt er.

"Rechtsterrorismus mit Struktur"

Ein Ereignis hat diese Entwicklung allerdings für beide durchbrochen: Die starke öffentliche Reaktion auf das Attentat in Hanau im Februar. Ein Anschlag, bei dem ein rechtsradikaler Attentäter zehn Menschen erschossen hat, die meisten von ihnen in zwei Shisha-Bars. "Hanau hat etwas verändert", hat Özdemir beobachtet. "Da haben Politiker wie Horst Seehofer, die vorher noch gesagt haben, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, von einem rassistischen, rechts-terroristischen Anschlag gesprochen". Kubilay A. ist aufgefallen, dass in den politischen Reaktionen und der Berichterstattung "nicht mehr nicht mehr von 'Ausländerfeindlichkeit' gesprochen wurde, sondern von dem, was es ist: Rassismus".

Hanau - eine Stadt trauert

Der Gymnasiallehrer hat seinen Milchkaffee ausgetrunken. Jetzt ist er beim Mineralwasser. Der Enddreißiger wirkt gelassener als am Anfang des Gesprächs. "Heute weiß ich, wer ich bin. Ich habe mein Zuhause gefunden", gibt Kubilay A. zu Protokoll. "Ich bin Deutsch-Türke und gerne in Deutschland. So ein Leben wie hier könnte ich in der Türkei nie führen“. Mittlerweile ist der Deutsch-Türke mit einer Deutsch-Italienerin verheiratet, hat mit ihr eine Tochter. "Für sie wünsche ich mir, dass sie in einer offenen Welt groß wird. Mit viel Kontakt zu ganz unterschiedlichen Menschen".