1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die astronomischen Schulden der Süper Lig

4. Dezember 2018

2,3 Milliarden Euro Schulden: Die türkische Süper Lig steckt in einer tiefen Finanzkrise. Lange bewahrte die Politik Top-Klubs wie Fenerbahce, Galatasaray und Besiktas vor dem Bankrott. Doch nun droht der große Knall.

https://p.dw.com/p/39PSB
Fußball Fenerbahce gegen Besiktas: Turkish Super Lig
Besiktas Istanbul gegen Fenerbahce Istanbul im Jahr 2017Bild: picture alliance/AA/S. Coskun

Im türkischen Fußball gelten sie als die großen Vier: Fenerbahce, Galatasaray, Besiktas und Trabzonspor. In der Türkei genießen diese vier Klubs ungemeine Popularität. Über 90 Prozent aller Fußballfans im Land unterstützen einen der vier türkischen Top-Vereine - und zwar oft leidenschaftlich. Doch trotz des großen Rückhalts ist das Quartett in Schieflage geraten: Mit teuren Spielertransfers und Managementfehlern haben sich die Vereine tief in die roten Zahlen manövriert. Die Finanzkrise im vergangenen Sommer tat ihr übriges. Inzwischen steht der türkische Fußball vor einer ausgewachsenen Finanzkrise. So belaufen sich die derzeitigen Gesamtschulden der 18 Vereine der obersten türkischen Liga Süper Lig auf 2,3 Milliarden Euro. Eine riesige Summe, wenn man sie in den Kontext rückt. Denn sie ist das Vierfache der Jahreseinnahmen der Liga. Zum Vergleich: Die Verbindlichkeiten der deutschen Bundesliga belaufen sich auf rund 1,42 Milliarden Euro, die aber Erlösen von 3,37 Milliarden Euro gegenüberstehen. Und auch bei den Schulden sind in der Türkei die großen Vier klar in Führung: Die Schulden von Fenerbahce, Galatasaray, Besiktas und Trabzonspor machen zwei Drittel der Gesamtschulden der Süper Lig aus.

Der erfolgreiche und sehr wohlhabende Unternehmer Ali Koc ließ sich im Juni 2018 zum Vorsitzenden von Fenerbahce Istanbul wählen. Der Verein habe Schulden im Wert von 621 Millionen Euro, erklärte er in seiner Antrittsrede. Bei den drei anderen Großen im türkischen Fußball sieht es nicht viel besser aus. Nach den jüngsten offiziellen Angaben hat Galatasaray rund 450 Millionen Euro Schulden, Besiktas fast 400 Millionen und Trabzonspor  mehr als 200 Millionen Euro.

Dabei wurde den Vereinen ausgerechnet ein Umstand zum Verhängnis, der lange ein Vorteil zu sein schien: Seit vielen Jahren genießen die großen Vereine mit ihren riesigen Fan-Gemeinden die Unterstützung der Türkischen Fußballföderation (TFF) und auch der türkischen Politik. Wenn es um ihre Schulden ging, wurden gerne einmal beide Augen zugedrückt. Dies war der Grund, weshalb die Vereine jedes Jahr am Bankrott vorbeischrammten. Doch dieser Drahtseilakt könnte schon bald nicht mehr gelingen. "Ich denke nicht, dass es den Vereinen gelingen wird, aus der Schuldenfalle herauszukommen", erklärt Tugrul Aksar im Gespräch mit der DW. Der Fußballökonom ist Experte für Wirtschaftsfragen im türkischen Profifußball. "Das sieht man ganz deutlich. Entweder der Verein meldet Konkurs an oder er bekommt einen neuen Besitzer."

"In Deutschland wären sie schon längst abgestiegen"

Barış Güçlü Fußball Türkei Göztepe
Spielervermittler Baris GüclüBild: privat

Das Problem sei das System, sagt Baris Güclü, der früher selbst Vorstandsmitglied in zwei türkischen Fußballklubs war. Die Türkische Fußball-Liga (TFF) habe die Vereine nie sanktioniert, kritisiert er. Güclü, der derzeit als Spielervermittler arbeitet, macht klar: "Gäbe es diese Situation in Deutschland, würde man verlangen, dass die Vereine Konkurs anmelden. Der Verein würde den Zwangsabstieg hinnehmen müssen oder sich ganz auflösen." Dieser Meinung ist auch der Tugrul Aksar. Für ihn werden die Vereine künstlich am Leben gehalten. "Die Politik betrachtet diese großen Vereine als politische Werkzeuge und verhindert daher, dass sie bankrott gehen."

Für die kommenden Jahre haben sich die "großen Vier" nun verpflichtet, einen Großteil ihrer Einnahmen an die Finanzunternehmen abzutreten, von denen sie Darlehen erhalten haben. Zudem haben sie, nach einigen Verhandlungen mit der UEFA, zugesichert, ihre Einnahmen und Ausgaben einem strengen Controlling zu unterziehen. Dafür werden sie von den harten Strafen des Financial Fair Play verschont - vorerst. Die Vorgaben der UEFA etwa bei Transfergeschäften sollen die Vereine finanziell gesünder machen, beeinflussen aber inzwischen längst auch den sportlichen Bereich. 

Keine gute Leistung auf dem Spielfeld

Nach der Niederlage gegen Deutschland im Rennen um die EM 2024 häufen sich aktuell auch die fußballerischen Niederlagen. Die großen Vier sind aktuell auf höchstem europäischen Niveau nicht konkurrenzfähig. Einst gefürchtet für ihre Heimstärke, für den großen Einsatzwillen und auch eine gewisse spielerische Qualität, haben die Aushängeschilder zuletzt den Anschluss an die europäische Spitze verloren. Galatasaray Istanbul ist als einziger türkischer Vertreter in der Champions League bereits vorzeitig ausgeschieden. Akhisarspor schied in der Europa-League-Gruppenphase aus, Besiktas und Fenerbahce Istanbul kamen nur mit Mühe eine Runde weiter. Istanbul Başakşehir FK scheiterte bereits in der Qualifikation zur Europa League, Fenerbahce in der Qualifikation zur Champions League.

Zudem erlebt Fenerbahce den schlechtesten Saisonauftakt seiner 111-jährigen Vereinsgeschichte und belegt derzeit Tabellenplatz 15 der Liga. Die übrigen drei Großen, Besiktas, Galatasaray und Trabzonspor, liegen sechs bis acht Punkte hinter dem Tabellenführer zurück. Der heißt aktuell Basaksehir und rangiert vor dem Zweitplatzierten Kasimpasa. Das aktuelle Top-Duo in der Ersten Türkischen Liga hat etwas gemeinsam: Beide sind Körperschaften, die einen Besitzer haben. 

Borussia Dortmund als Beispiel

Hoffnung soll den angeschlagenen Top-Adressen des türkischen Fußballs das Beispiel Deutschland geben. Sema Tugce Dikici ist Sportjournalistin und studierte Sportwissenschaftlerin. Sie ist der Ansicht, die türkischen Vereine sollten sich an Borussia Dortmund orientieren. "2005 war Borussia Dortmund so gut wie pleite, doch dann wurde der Verein zu einem der wohlhabendsten Klubs in Europa. Wie ist das gelungen? Mit einer Neustrukturierung. Erst einmal tilgte die Führung die Schulden. Dann arbeitete man an der Infrastruktur. Der Verein verkaufte seine teuersten Spieler und verringerte dadurch die Verbindlichkeiten. Heute hat Borussia Dortmund Einnahmen von bis zu 350 Millionen Euro im Jahr. Das ist mehr als alle vier türkischen Vereine zusammen", erklärt die Dozentin der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Okan Universität in Istanbul im DW-Gespräch.

Champions League 2018 | Schalke 04 v Galatasaray
Galatasaray Istanbul enttäuscht gegen Schalke 04Bild: Imago/Jan Huebner

Doch weshalb haben die Vereine trotz ihrer Schulden in Millionenhöhe noch nicht Konkurs angemeldet? Die Antwort darauf hat Emin Özkurt, Richter am Internationalen Sportsgerichtshof CAS. Da die Fußball-Klubs den Status von Vereinen hätten, sei es aus juristischer Sicht eigentlich nicht möglich, dass sie Bankrott gingen, so Özkurt. "Sollte es aber soweit kommen, dass die Ausgaben für die Mannschaft oder die Gehälter der Spieler nicht mehr bezahlt werden können, dann kann man davon sprechen, dass der Verein bankrott ist. Dafür müssen aber die Schulden unumkehrbar sein."

Fußballvereine als Körperschaft?

Egal, ob es nun schon fünf vor zwölf oder erst zehn vor zwölf ist, der türkische Fußball braucht Lösungen. Wie könnte die aussehen? Für Ökonom Aksar liegt sie darin, dass die Fußballklubs ihren Vereinsstatus aufgeben und Körperschaften werden. Auf diesem Weg sei es ihnen nicht mehr möglich, das Geld sprichwörtlich aus dem Fenster zu werfen und sich über die Maßen zu verschulden. Das müsste auf der Grundlage eines Gesetzes geschehen und würde die Fußballvereine nötigen, Rechenschaft über ihre Ausgaben abzugeben.

In der Ersten Türkischen Liga gibt es derzeit drei Vereine, die eine Körperschaft sind. Einer von ihnen ist Göztepe aus Izmir. Von 2015 bis 2016 war Fußballmanager Güclü hier geschäftsführendes Vorstandsmitglied. Innerhalb von drei Jahren sei der Verein um zwei Ligen aufgestiegen und heute schuldenfrei, betont er. Es wäre gut, so Güclü, wenn der Verein anderen ein Vorbild sein könnte.