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Lumpenstadt Bagdad

8. Juli 2010

Sieben Jahre nach Saddam Hussein wirkt Bagdad wie ein Armenviertel. Kein Strom, kein Wasser und vier Monate nach den Wahlen noch immer keine Regierung. Demokratie und Freiheit haben die Iraker sich anders vorgestellt.

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Straßenzug in Bagdad mit Verkaufsständen (Foto: dpa)
Mutanabi Strasse in Bagdad: Der Büchermarkt zieht jeden Freitag viele Besucher anBild: picture-alliance/ dpa

Bagdad atmet noch, doch wer lange nicht hier war, hat Mühe, die schöne und stolze Stadt am Tigris wiederzuerkennen. In den Abendstunden scheint es fast wie früher, Musik weht über die Uferstrasse Abu Nawas, im Alawiya Club lauscht man dem Maqam-Gesang einer Altherrengruppe. Im Süden flackert die ewige Flamme der Dora-Raffinerie in den Nachthimmel und erinnert daran, dass Öl- und Gasressourcen den Irak zu einem der reichsten Länder der Welt machen.

Das nutzt den Irakern wenig. Fast rund um die Uhr dröhnen die Generatoren, die die Hauptstadt mit Strom versorgen. Sieben Jahre nach dem Ende der Ära Saddam Hussein liegt die Sieben-Millionen-Metropole danieder wie ein Armenviertel. Müllberge und Kriegsruinen - Wiederaufbau sei das nicht, sagt Salim al-Jiboori, der früher in Deutschland gelebt hat. Seine Familie besitzt große Ländereien nordwestlich von Bagdad. Seit Jahren engagiert er sich dort im Stadtrat.

Die St. Joseph-Gemeinde in Bagdad. Sie ist die größte Chaldäergemeinde in der Stadt (Foto: AP)
Stille Andacht in der St. Josephkirche in BagdadBild: picture-alliance/AP Photo/K. Mohammed

Kein Strom im Ölstaat

Al-Jiboori sitzt in der Bibliothek des Alawiya Clubs, der 1923 von den Briten gegründet wurde. Auch hier dröhnt ein Generator im Hintergrund. "Seit sieben Jahren haben wir keinen Strom. Wenn wir Glück haben, dann gibt es ihn mal für zwei Stunden, dann zwei Stunden wieder nicht. Ein großes Kraftwerk zu bauen dauert höchstens drei Jahre. Sieben Jahre nach der Invasion sind wir immer noch unfähig, genug Strom zu produzieren und zu verteilen."

Mit der Wasserversorgung sehe es genauso schlimm aus, sagt Al-Jiboori: "In manchen Gegenden gibt es kein Wasser oder nur ein paar Stunden am Tag. Und auch die Müllabfuhr funktioniert nicht wie früher. Wenn sie durch manche Gegenden gehen, müssen Sie ´sich die Nase zuhalten." Er schäme sich darüber, wie seine Heimatstadt Bagdad heute aussehe, die kaputten Straßen, die Sperren, Schmutz und Abfall überall, so Al-Jiboori.

Tote bei Protesten gegen Strommangel

Erst kürzlich kam es in Basra im Südirak zu Protesten gegen den Strommangel. Zwei Menschen wurden von der Polizei erschossen, der Elektrizitätsminister trat zurück. Für die katastrophale Lage macht Al-Jiboori vor allem die weitverbreitete Korruption im Land verantwortlich: "Auf allen Ebenen, vom kleinen Beamten bis zum Minister sind sie korrupt", sagt er. Genaus das wird vom Index der Organisation Transparency International bestätigt. Danach gilt der Irak als einer der korruptesten Staaten weltweit. 2009 musste der Handelsminister wegen Korruption zurücktreten. Er hatte Millionen beim Einkauf von verdorbenen Lebensmitteln verdient, die im Irak später tonnenweise vernichtet werden mussten.

Weinend sitzt ein irakisches Kind inmitten von Abfall auf einer Müllkippe in der Umgebung von Bagdad (Foto: dpa)
Kein Platz für Kinder: Müllberge und Kriegsruinen in BagdadBild: picture alliance / dpa

Sie sollten an die Bevölkerung verteilt werden, die mit Rationierungskarten Hilfe zum Leben erhält. Das Relikt stamme aus den 13 Jahren unter UN-Sanktionen, erklärt Al-Jiboori. Doch noch immer gebe es viele Menschen, die hungerten, und die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch, sagt er. "Früher, also vor sieben Jahren, gab es die monatliche Essensration und die haben die Menschen komplett bekommen: Reis, Zucker, Öl, Tee, manchmal auch Bohnen, Seife oder Waschmittel. Jetzt gibt es selten etwas. Dann muss man ein paar Monate warten, bis man Reis bekommt."

Demokratie und Freiheit sieht anders aus

Als Mitglied des Menschenrechtsrates setzt Al-Jiboori sich für Opfer von Militärrazzien, für Gefangene und deren Familien ein. Er hat selber Angehörige, Nachbarn und Freunde durch Gewalttaten verloren. Aus Vorsicht bittet er, seinen Namen zu ändern und erinnert an die mehr als 150 getöteten Journalisten: "Manchen hat nicht gefallen, was sie geschrieben oder gesagt haben. Also muss man immer noch vorsichtig sein."

Ein Masgouf-Bräter in den Straßen von Bagdad (Foto: AP)
Masgouf-Bräter in Bagdad. Das Fischgericht ist besonders an Feiertagen beliebtBild: AP

In der chaldäischen St. Josephskirche versucht Priester Saad Hanna täglich die Menschen davon zu überzeugen, das Land nicht zu verlassen. Zwei Drittel seiner Gemeinde ist schon aus dem Irak geflohen. Doch obwohl Saad Hanna 2006 aus seiner damaligen Kirche entführt und einen Monat lang in der Hand von muslimischen Extremisten gefangen war, ist Flucht für den mutigen Priester keine Option. Demokratie und Freiheit gab es nicht unter Saddam Hussein, sagt er. Doch das, was die Menschen heute durchmachen müssen, mache ihn auch nicht froh. "Manchmal frage ich mich, was ist wichtiger: Demokratie oder Leben? Das Leben ist wichtiger als die Demokratie, denn Demokratie ist ein Instrument, um Leben zu gestalten. Ein menschliches Leben."

Die Menschen miteinander versöhnen

Niemand im Irak sei auf die neue Situation vorbereitet gewesen. Es fehle an allgemeiner und an humanitärer Bildung, sagt der Priester. Es gebe keine guten Schulen, Lehrer oder Schulbücher. Für das Gerangel der Politiker um eine neue Regierung hat Saad Hanna kein Verständnis. "Ich will eine starke Regierung, die die Lage kontrollieren kann. Die das Gesetz auf alle Menschen gleich anwendet, egal ob wir Christen, Juden oder Muslime sind." Das gehöre zum Einmaleins für jeden Politiker", so Saad Hanna weier: "Wir brauchen eine irakische Regierung, die die Menschen miteinander versöhnt und alle an einen Tisch bringt, um über die Zukunft des Irak zu entscheiden."

Autorin: Karin Leukefeld

Redaktion: Helle Jeppesen/Stephanie Gebert

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