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TechnikGlobal

Ein Jahr ChatGPT: Zwischen Faszination und Ernüchterung

30. November 2023

Vor genau einem Jahr ist der Chatbot ChatGPT an den Start gegangen - und hat angefangen, die Art, wie wir arbeiten und lernen fundamental zu verändern.

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OpenAI ChatGPT Logo vor einem bunt leuchtenden Hintergrund
Was kann ChatGPT leisten - und was nicht? Bild: Jaap Arriens/NurPhoto/picture alliance

Auf einmal erscheinen auch komplexe Aufgaben einfach: Texte schreiben, Ernährungspläne erstellen, Korrekturen durchführen - innerhalb von Sekunden spuckt der Chatbot ChatGPT Ergebnisse aus, die zumindest auf den ersten Blick korrekt erscheinen. Sogar Baupläne oder Computerprogramme können innerhalb von Minuten erschaffen werden, wo früher Architekten oder Programmierer wochenlang getüftelt haben.

Eine kleine Revolution, die genau vor einem Jahr ihren Anfang nahm: Am 30. November 2022 hatte das amerikanische Unternehmen OpenAI den Chatbot ChatGPT veröffentlicht. Die Software dahinter basiert auf maschinellem Lernen, das mit Millionen von Texten trainiert wurde. Mittlerweile kann das Programm sogar das Internet für seine Antworten durchforsten oder Bilder und Dokumente für seine Recherche verwenden.

Schon wenige Tage nach der Einführung zählte das Unternehmen Millionen Nutzer, rund ein Jahr später haben viele weitere Menschen schon Erfahrung mit ChatGPT gesammelt. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag des TÜV-Verbands hat bereits jeder Dritte in Deutschland das Programm genutzt. Weltweit wurden laut dem Analyseunternehmen Similarweb Stand August rund 1,43 Milliarden Webseiten-Besuche pro Monat gezählt. Viele Nutzer gehen jedoch mittlerweile nicht mehr über die Webseite, sondern rufen das neuronale Netz über andere Anwendungen auf. Die Nutzerzahlen dürften deshalb noch deutlich höher ausfallen.

Jobkiller ChatGPT?

Eine der unmittelbarsten Auswirkungen dürfte der Chatbot auf die Arbeitswelt haben. So schätzte die Investmentbank Goldman Sachs im Sommer, dass bis zu 300 Millionen Jobs weltweit durch KI, wie zum Beispiel ChatGPT, automatisiert werden könnten. Und diesmal könnte es nicht die sogenannten einfachen Berufe treffen, sondern vor allem akademische Schreibtisch- und Kreativberufe.

Kein ChatGPT mehr? Wie KI-Regulierung uns betrifft   

Was sich erstmal wie eine Hiobsbotschaft liest, ist auf den zweiten Blick vielleicht nicht ganz so dramatisch. "Obwohl die Auswirkungen der KI auf den Arbeitsmarkt wahrscheinlich beträchtlich sein werden, sind die meisten Arbeitsplätze und Branchen nur teilweise von der Automatisierung betroffen und werden daher wahrscheinlich eher durch die KI ergänzt als ersetzt", erklärten die Studienautoren.

ChatGPT - der große Blender

Das bestätigt auch Software-Entwickler Daniel, der bei einem großen Konzern angestellt ist und aus Gründen des Wettbewerbs lieber anonym bleiben möchte. "Man kann keinen umfassenden Programmier-Auftrag erteilen und perfekte Ergebnisse erwarten. Am besten klappt es für mich, wenn ich ChatGPTs Antworten als ersten Vorschlag auffasse und dann in Diskussionen mit der KI etwas Vernünftiges daraus baue", sagt er der DW.

Ein weiteres Problem: Noch ist ChatGPT nicht zuverlässig. Denn auch wenn die Antworten auf den ersten Blick schlüssig aussehen können, sind sie manchmal blanker Unsinn. OpenAI erklärte im Sommer, dass diese sogenannten Halluzinationen in etwa ein bis zwei Jahren gelöst werden sollten. Andere Experten glauben, dass Halluzinationen je nach Anwendungsfall nie ganz verschwinden werden. Das heißt: Wenn es wirklich wichtig ist, muss der Mensch hinterher kontrollieren. Auch bei der DW ist Künstliche Intelligenz (KI) bei verschiedenen Anwendungen in der Erprobung. Aber: "Generative KI wird die Arbeit unserer Journalistinnen und Journalisten nicht ersetzen", erklärt DW-Chefredakteurin Manuela Kasper-Claridge in ihrem Editorial.

Künstliche Intelligenz - nützlich oder gefährlich?

Eine Hausarbeit in zehn Minuten?

Für großen Aufruhr sorgte ChatGPT auch an Universitäten. Ein gemeinsames Regelwerk gibt es an Deutschlands Hochschulen noch nicht, sie erarbeiten derzeit ihre eigenen Leitlinien. "Konsens ist mittlerweile, dass man die Nutzung nicht generell verbietet, sondern den kritischen Umgang damit fördert. Dazu gehört in Hinsicht auf wissenschaftliche Redlichkeit, dass man die Nutzung solcher Tools transparent macht und ChatGPT-generierte Texte zum Beispiel nicht als eigenes Werk ausgibt", sagt Martin Wan, Projektleiter Hochschulforum Digitalisierung der Hochschulrektorenkonferenz, gegenüber der DW. "Ich kann mir zum Beispiel den aktuellen Forschungsstand zusammenstellen lassen, wohlwissend, dass diese Systeme nach wie vor 'halluzinieren‘ und die Inhalte nicht eins zu eins übernommen werden können."

Dass das Tool im großen Stil für Schummeleien genutzt werden kann, scheint also unwahrscheinlich. "Selbst wenn die KI-Generatoren am Ende sowas wie Quellennachweise angeben, ist es doch in den seltensten Fällen wissenschaftlich zitiert. Und das merkt man, wenn man im Thema drin ist, relativ schnell", sagt Wan.

Projektleiter Martin Wan spricht in ein Mikrofon
Martin Wan von der Hochschulrektorenkonferenz: Förderung des kritischen Umgangs Bild: Jürgen Schulzki

Student Dom nutzt ChatGPT vor allem, um sich komplexe Inhalte erklären zu lassen. "Das ist, wie wenn jemand neben dir sitzt, den du fragen kannst. Ich weiß, dass es nicht ganz akkurat ist, aber dann habe ich einen ersten Anhaltspunkt", erzählt er der DW. "Ohne ChatGPT hätte ich die letzte Prüfung nicht bestanden." Auch Studentin Teresa nutzt das Tool aktiv. "Ich bin nicht gut darüber informiert, was man mit ChatGPT machen darf - und was nicht. Bisher habe ich ChatGPT vor allem für einen schnellen Überblick genutzt". Andere blicken - auch ein Jahr nach der Einführung - noch eher vorsichtig auf das Tool. "Ich vertraue dem irgendwie nicht. Es gibt ja keine Garantie, dass es richtig ist", erklärt Studentin Mariya der DW.

Ob die Skepsis auch in Zukunft angeraten ist, ist schwierig zu sagen. Gerüchte um die kürzlichen Veränderungen in der OpenAI-Führungsetage - Stichwort Rausschmiss und Wiedereinstellung von Sam Altman - legen nahe, dass das Unternehmen an einer neuen künstlichen Intelligenz arbeitet, die ChatGPT in den Schatten stellen könnte. 

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft