1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Nächstenliebe im Krisenstaat

Bettina Rühl14. Februar 2014

Menschen werden mit Macheten zerhackt, erschossen, gelyncht. Die religiöse Gewalt in Zentralafrika fordert immer mehr Opfer. Ein Pater zeigt Courage und rettet hunderte verfolgte Muslime.

https://p.dw.com/p/1B8W9
Muslimische Flüchtlinge in einer Kirche in der Zentralafrikanischen Republik (Foto: B. Rühl/DW)
Bild: Bettina Rühl

Frauen hocken auf dem Boden, kochen auf offenen Feuerstellen. Kinder ringen mit schweren Wasserkanistern, um sich etwas zu trinken zu nehmen. Alle Frauen tragen Kopftücher, die Männer lange Gewänder und ebenfalls eine Kopfbedeckung. Sie alle sind Muslime, harren aus in einem Vertriebenenlager in der Stadt Boali, etwa 80 Kilometer von der Hauptstadt Bangui entfernt. Die meisten hier haben Schreckliches erlebt, nahe Verwandte verloren. Und alle fürchten um ihr Leben.

Rund 700 Muslime leben in diesem provisorischen Lager. Das Besondere daran: Es liegt auf dem Gelände einer katholischen Kirche. Die Vertriebenen schlafen und wohnen auch in dem Gotteshaus, nur gekocht wird draußen.

Messe zwischen Vertriebenen

Aber heute ist Sonntag. Die Vertriebenen warten auf der Rasenfläche vor der Kirche, damit die Gläubigen auf den Bänken Platz nehmen können. Ihre Koffer, Beutel, Bündel und Taschen wurden für die Messe an die Wände und in die Ecken geschoben. Sobald die Messe vorbei ist, werden sie in die Kirche zurückkommen.

Muslimische Flüchtlinge in einer Kirche in der Zentralafrikanischen Republik (Foto: B. Rühl/DW)
Zuflucht: Muslimische Flüchltinge in der Kirche in BoaliBild: Bettina Rühl

Pater Xavier-Arnauld Fagba hat die verfolgten Muslime hierher geholt, um sie vor den pro-christlichen Milizionären der Anti-Balaka und den Christen des Ortes zu retten. Denn der Mob ist entfesselt, in Boali und anderswo: Zeigt sich ein Muslim auf der Straße, riskiert er damit sein Leben. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht von einer "ethnischen Säuberung", die Vereinten Nationen warnen seit Monaten vor einem Völkermord. Denn seit mehrheitlich muslimische Séléka-Rebellen vor elf Monaten Präsident François Bozizé gestürzt und die Macht übernommen hatten, kommt es immer wieder zu schwerer, religiös motivierter Gewalt zwischen muslimischen Kämpfern und christlichen Bürgermilizen.

"Was ich hier mache, ist ja nicht mehr als eine Geste angesichts dessen, was nötig wäre", sagt der Pater im Anschluss an den Gottesdienst. "Jeder, der an meiner Stelle stünde, müsste dasselbe tun." Aber kaum einer tut das derzeit. Dabei können die Muslime in der Zentralafrikanischen Republik derzeit nur noch dank so mutiger Hilfe überleben.

Rettung in letzter Minute

"Während alle anderen den Verbrechen nur zuschauten, beschlossen der Diakon und ich Mitte Januar, dass wir etwas tun müssen", erzählt der Pater. "Dass wir die Muslime, die sonst keine Hilfe mehr hatten, da rausholen müssen." Er und der Diakon gingen in die Stadt. Am Straßenrand standen viele verängstigte Muslime, hofften sehnsüchtig auf eine Gelegenheit zur Flucht in letzter Minute. Der Pater lud sie ein, ihm zu folgen. Die beiden Geistlichen gingen auch von Haustür zu Haustür, um die verfolgten und verängstigten Menschen zu finden. Manche waren bereits in den Busch geflohen, "selbst dahin sind wir ihnen nachgegangen und haben etliche zurück geholt". Einige "sehr engagierte junge Christen" hätten ihnen dabei geholfen. "Wir nahmen die Muslime mit in die Kirche. Und seitdem sind sie bei uns, seit dem 17. Januar bis heute."

Pater Xavier-Arnauld Fagba vor seiner einer Kirche in der Zentralafrikanischen Republik (Foto: B. Rühl/DW)
Pater Xavier-Arnauld Fagba vor seiner Kirche in BoaliBild: Bettina Rühl

Inzwischen sind auch einige Christen in die Kirche geflohen, die ebenfalls von der angeblich pro-christlichen Anti-Balaka-Miliz verfolgt werden. Diejenigen nämlich, die den Vertriebenen mit Wasser und Nahrung zu helfen versuchten, oder muslimische Familien bei sich zu Hause versteckten.

Niemand ist sicher

Auch der Pater wird regelmäßig bedroht. Ein Mal kam er nur knapp mit dem Leben davon. Nach der sonntäglichen Messe wollte er zu einem erkrankten Gemeindemitglied fahren, um ihm die Krankensalbung zu spenden. Kaum hatte er das Kirchengelände verlassen und die Straße erreicht, war sein Auto von Anti-Balaka-Milizionären umringt. "Sie schrien und sie wollten mich fertig machen." Der Pater hielt an, stieg aus und fragte sie, was sie von ihm wollten. "Ich habe gesagt, dass sie von mir aus mit mir machen könnten, was ihnen in den Sinn käme. Ich hätte auch vor dem Tod keine Angst." In dem Moment kam zufällig einer ihrer Anführer vorbei und trieb die Gruppe auseinander. "Er hat mir das Leben gerettet."

Muslimische Flüchtlinge in einer Kirche in der Zentralafrikanischen Republik (Foto: B. Rühl/DW)
MISCA-Soldaten sollen Vertriebene schützenBild: Bettina Rühl

Weil er überlebte, kann er nun weiter helfen. Die Vertriebenen sind dem Pater dankbar. Aber selbst auf das Gelände der Kirche seien die Milizionäre schon ein oder zwei Mal gekommen, sagen sie. Dabei stehen Soldaten der afrikanischen Eingreiftruppe MISCA an der Zufahrtsstraße, um die Vertriebenen zu bewachen. Spätestens, seit die christlichen Milizionäre selbst auf dem Kirchengelände zwei Muslime verletzten konnten, haben die Vertriebenen zu niemandem mehr Vertrauen. Außer vielleicht zu dem Pater und seinem Diakon. Aber so sehr sie deren Gastfreundschaft schätzen - die Vertriebenen denken nur noch an Flucht, wollen das Land so schnell wie möglich verlassen.