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Ein Volk der "Jein"-Sager?

Marcus Lütticke30. September 2013

Im Ausland gibt es oft eine klare Vorstellung davon, was den "typischen Deutschen" ausmacht. Eine neue Studie liefert nun Einblicke, wie in Deutschland tatsächlich aktuell gelebt, gegessen, gedacht und konsumiert wird.

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Drei Holzfiguren in den Farben der Deutschlandflagge schwarz, rot, gelb (Foto: ullstein bild - Teutopress)
Bild: ullstein bild - Teutopress

Stets pünktlich und bestens organisiert, umweltbewusst, humorlos, aber mit viel Durst auf Bier und im Urlaub gerne in Sandalen mit Socken unterwegs - so lauten einige der oft zitierten Klischees über den typischen Deutschen. Doch wie lebt, isst, denkt und konsumiert er tatsächlich?

Die "best for planning Studie - Wissen, wie Deutschland lebt" versucht, darauf Antworten zu liefern. Die Untersuchung will ein repräsentatives Abbild der deutschen Gesellschaft liefern.

Angaben über die typische Urlaubs-Fußkleidung sucht man in der Studie vergeblich, doch man erfährt zumindest, dass für die Deutschen Kleidung in erster Linie bequem sein muss, diese Angabe bestätigen 31,4 Prozent der Befragten "voll und ganz". Und fast die Hälfte (45,2 Prozent) der Deutschen ist nicht bereit, für ein Paar Schuhe mehr als 100 Euro auszugeben.

Einsichten für Vermarkter

Ob man anhand solcher Ergebnisse dem typischen Deutschen näherkommt? Die Auftraggeber der Studie - die vier großen Verlage Axel Springer, Bauer Media Group, Gruner + Jahr und Hubert Burda Media - haben einen ganz gezielten Schwerpunkt: "Die Studienergebnisse sind hervorragend dazu geeignet, Werbung auszusteuern, um Zielgruppen möglichst gut zu erreichen. Das ist der Hauptzweck", erklärt Hartmut Krause-Solberg, der für den Springer-Verlag die Studie begleitet hat.

Ein Mann trägt weiße Tennissocken zu braunen Sandalen (Foto: picture alliance/dpa Themendienst)
Sandalen mit Socken - ein von Urlaubern geprägtes Bild deutscher SchuhmodeBild: picture alliance/dpa Themendienst

Der Werbewirtschaft werden einige interessante Erkenntnisse präsentiert. So scheint es bei vielen Deutschen eine große Diskrepanz zwischen Einstellung und Handlung zu geben: Laut Studie ist Käufern von spritfressenden SUVs ("Sport Utility Vehicles", zu deutsch: Geländelimousinen) eine gesunde Umwelt nämlich fast ebenso wichtig wie denjenigen, die sich bei ihrem nächsten Auto für einen Elektroantrieb entscheiden würden. Und 44 Prozent der Menschen, die mehrmals pro Woche in ein Schnellrestaurant gehen, geben an, es sei ihnen wichtig, etwas für ihre Gesundheit zu tun.

Sind die Deutschen also ein Volk der "Jein"-Sager? Hartmut Krause-Solberg erklärt sich die Ergebnisse so, dass bei vielen Personen ein Bewusstseinswandel nicht direkt im eigenen Verhalten widergespiegelt wird. "Wenn Sie das Realverhalten der Leute dagegenhalten - also was kaufen und benutzen die Leute tatsächlich - stellen Sie fest, dass das fast immer hinterherhinkt."

Das Problem mit dem Durchschnitt

Den typischen Deutschen sieht Solberg-Krause durch die Studie jedoch nicht gezeichnet: "Der wäre ja halb männlich und halb weiblich und Mitte fünfzig. Es gibt aber auch viele, die unter zwanzig sind und auch sehr viele, die über sechzig sind. Mit dem Durchschnittsbegriff kann man da also wenig anfangen." Vielmehr gehe es darum, Einstellungen und Handlungsweisen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen abzubilden.

Helmut Krause-Solberg, Leiter der Datenanalyse bei der Axel Springer AG (Foto: Axel Springer AG)
Für Helmut Krause-Solberg gibt es den "typischen Deutschen" nichtBild: Axel Springer AG

Ähnlich urteilt auch Jürgen Schupp, empirischer Sozialforscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung: "Hinter dem Durchschnitt befindet sich eine große Variation." Daher sei es schwierig, den typischen Deutschen zu kennzeichnen: "Typisch deutsch ist mittlerweile die Pluralität. Es fällt schwer, die Menschen, die jetzt in Deutschland leben, einem generellen Trend oder einer Strömung zuzuordnen." Schupp leitet seit 2011das Sozio-Ökonomische Panel (SOEP) - eine repräsentative Wiederholungsbefragung, um soziale und gesellschaftliche Trends in Deutschland festzustellen.

Selbstbetrachtung

Und was denken die Deutschen über sich selbst? Einer weiteren Studie zufolge, die von einer großen Brauerei in Auftrag gegeben wurde, schätzen sich 35 Prozent der Befragten als "typisch deutsch" ein. Fast ebenso viele, nämlich 36 Prozent, sagen, sie seien nicht "typisch deutsch". Der Rest äußerte sich unentschlossen. 73 Prozent der Befragten sagten gar: "Die Deutschen sind gar nicht alle so ehrlich, pünktlich und gewissenhaft, wie man immer denkt."

Harte Fakten hat man zumindest beim Bierkonsum. Dieser ist in Deutschland seit Jahren rückläufig. Im Vergleich mit anderen Ländern liegt Deutschland nach Tschechien und Österreich jedoch noch immer auf dem dritten Rang, wenn es um den jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch des Gerstensaftes geht.

Menschenmenge greift nach einem Bierkrug (Foto: Reuters)
Nicht nur beim Oktoberfest beliebt - Deutschland ist eine Bier-NationBild: Reuters

Lachen versus Humor

Was den fehlenden Humor angeht - die aktuelle Konsumstudie macht dazu keine Angaben. Vor fast zehn Jahren untersuchte jedoch Richard Wiseman von der University of Hertfordshire den Humor verschiedener Nationen. Ein Ergebnis seiner Untersuchung war, dass die deutschen Teilnehmer die vorgetragenen Witze im Vergleich mit Teilnehmern aus allen anderen Ländern am witzigsten fanden. Wiseman betont aber, dass die Deutschen die Gesamtheit der Witze, also sowohl die schlechten als auch die guten, besonders witzig fanden. Für ihn ein Zeichen dafür, dass die Deutschen keinen besonders ausgeprägten Humor haben, sondern dass sie bei dem, worüber sie lachen, nicht besonders wählerisch sind.