1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Als Seelsorger in Zeiten von Corona

23. Dezember 2020

Franz Eisenmann ist katholischer Pfarrer in Oberbayern. Ein Landpfarrer. Seit einigen Wochen geht er zu Sterbenden auf die Corona-Station des Krankenhauses. Es verändert ihn. Und vielleicht auch sein Weihnachten.

https://p.dw.com/p/3mvOW
Symbolbild I Coronavirus I Intensivstation
Bild: Pablo Gianinazzi/Ti-Press/KEYSTONE/picture alliance

Franz Eisenmann zieht einen Kittel an und bindet ihn vor dem Bauch zusammen, dann einen Plastikschutz vorne, den eine Helferin hinten verschnürt. Eine Kopfhaube, eine Plexiglasbrille, eine FFP2-Maske als Mund-Nasen-Schutz. Und Handschuhe. "Zwei Paar Handschuhe. Übereinander", sagt der 55-Jährige. Er schildert in Ruhe die Vorbereitung, die es braucht, bevor er die Corona-Station des Klinikums in Mühldorf am Inn durch eine Schleuse betreten darf.

Eisenmann ist katholischer Priester, seit 27 Jahren. Er ist Pfarrer in einer ländlichen Region Oberbayerns, zwischen Altötting und den Alpen, gut eine Autostunde östlich von München. Es hat etwas von einer Bilderbuch-Kulisse. In einem guten Sinne ist er ein Landpfarrer, zuständig für fünf Gemeinden. Sein Pfarrhaus steht in Neumarkt St. Veit. Die Nachbardörfer, für die er auch zuständig ist, heißen Hörbering und Roßbach, Niederbergkirchen und Niedertaufkirchen. "Das ist eine ländliche Region", sagt er der Deutschen Welle. "Die Menschen sind mit der Kirche noch sehr verbunden."

Deutschland Franz Eisenmann
Pfarrer Franz EisenmannBild: Privat

Seit Mitte Oktober ist der Geistliche immer wieder auch als Seelsorger im Krankenhaus im nahen Mühldorf, der Kreisstadt, im Einsatz. "Bei meinem ersten Einsatz war ich schon sehr aufgeregt. Ich wusste ja letztlich nicht, wo ich da hinging, wie die konkrete Situation war." Und er schildert, dass seine Kleidung durchgeschwitzt war, als er die Corona-Station wieder verließ, "einerseits wegen der Plastik-Verpackung, andererseits auch wegen der Aufregung. Ich bin ja in Räumen, in denen das Virus drin ist."

"Nicht alleingelassen"

Eisenmann beteiligt sich an einem Projekt, das sein Erzbistum München-Freising im Frühjahr auf den Weg brachte, in der ersten Corona-Welle. Als klar wurde, wie viele Erkrankte und Sterbende in den Krankenhäusern ohne Angehörige, ohne irgendeine Begegnung, blieben, vielleicht irgendwann einsam verstarben. EGrpS heißt das Projekt, "Einsatzgruppe Seelsorge für Menschen mit COVID-19". Das Erzbistum holte mehrere dutzend Geistliche ins Team und bildete sie in den Schutzmaßnahmen aus. Und sorgt dafür, dass Priester erreichbar sind. Immer. "Hier in unserer Region bedeutet es den Menschen sehr viel, wenn jemand von der Kirche erscheint. Wenn sie spüren, dass sie nicht alleingelassen werden. Und sie wollen einen Priester." Dabei seien es "gar nicht so viele Priester", die auf den Corona-Stationen im Einsatz sind.

Seit Mitte Oktober geht Pfarrer Eisenmann auf die Corona-Station. Manchmal bleibt er nur schweigend am Bett. Gelegentlich reicht er Kranken, die noch aufmerksam sind, die Kommunion. Immer betet und segnet er. Es ist das, was ein Priester leisten kann. "Abgesprochen ist, dass wir uns nicht zu lange in den Zimmern aufhalten. Zu unserem eigenen Schutz, zum Schutz der Mitarbeiter."

Die Wut der Pflegekraft

Eigentlich kümmert sich Eisenmann nicht eigens um das Krankenhauspersonal. Das gehört derzeit zu den Aufgaben von Martin Kuhn, der als Pastoralreferent im InnKlinikum arbeitet. Aber gelegentlich schaut er doch bei den Pflegerinnen und Pflegern vorbei. So wie am Nikolausabend, als er nach seinem Krankenbesuch abends um neun noch zu den Schwestern ging und Schokoladen-Nikoläuse verteilte.

Glaubenssachen - Seelsorge trotz Corona-Pandemie

Und wenn er die abendliche Begegnung mit einer 25-jährigen Pflegerin wiedergibt, ist seine Betroffenheit zu spüren. Sie sei allein zwei Mal an diesem Tag von Angehörigen "angekeift und beschimpft worden". Dabei rackerten sie, so die Pflegerin, Tag für Tag, machten ständig Überstunden, setzten sich selbst der Gefahr der Infektion aus – und dann sie müssten sich noch anblaffen lassen. Es geht dem Pfarrer nahe. "Das ist ein Dienst, der wird nicht genug gewürdigt. Die Pflegekräfte setzen sich immer der Gefahr aus. Und sie haben Tag für Tag große Herausforderungen."

Seit Oktober hat Eisenmann viele Corona-Patienten besucht und im Krankenhaus sechs Sterbende unmittelbar begleitet. "Ergreifend" sei es, sagt er, wie sie gespürt hätten, dass da jemand sei. Zwar hätten die Menschen, allesamt älter als 75, meist nicht mehr selbst sprechen können, aber ihn verstanden. "Es sind alte Menschen, die seit Kindertagen mit Kirche vertraut sind und seit längerer Zeit keinen Segen, keine Kommunion mehr bekamen." Ob ihn das als Priester, vor 27 Jahren geweiht, verändert? "In gewisser Weise schon. Das ist eine Herausforderung." Er spüre, wie viel es den Sterbenden bedeute, einen Geistlichen zu sehen. Er habe mehr Respekt vor all den Menschen, die in Krankenhäusern arbeiteten. Und er schaue anders auf den Tod. "Diese Herausforderung, dass Menschen wirklich ganz einsam sterben, ohne Verwandte, ohne Angehörige, das ist schon eine bizarre Situation." 

Die Trauer, der Abschied

Intensivstation der Uniklinik in Greifswald
Atemtraining auf der Intensivstation (Symbolbild aus der Uniklinik Greifswald)Bild: Jens Büttner/dpa/picture alliance

Eisenmann weiß, dass er noch lange immer mal wieder ins InnKlinikum fahren wird. Bis vor einigen Wochen nutzte die 270-Betten-Klinik eine Station zur Corona-Station und hatte sie entsprechend ausgerüstet. Mittlerweile sind auch die beiden Etagen darüber belegt. Auch in Neumarkt hat er ständig mit dem Thema Corona zu tun, mit organisatorischen Fragen und seelsorgerlichen Aspekten. "Es gibt Gemeindemitglieder, die wurden im März oder April in kleinem Kreis beerdigt. Und bis heute warten die Angehörigen auf eine Gelegenheit, in großem Kreis eine Trauer-Messe zu feiern. In so einer dörflichen Region wollen alle Abschied nehmen. Die Menschen kennen einander seit dem Kindergarten – es fällt ihnen schwer, dass es da keine Möglichkeit zum Abschied gibt." Manchmal geht er mit kleinen Gruppen von Trauernden zum Friedhof. Und, ja, gegenüber von seinem Pfarrhaus befindet sich in einem früheren Kloster ein Altenheim. "Da ist der erste Stock nun leider auch betroffen." Da stockt auch der Pfarrer im Reden.

Und nun kommt Weihnachten. Unaufhaltsam. In einem normalen Jahr würde in den Tagen vor dem Fest auch in der gut 500 Jahre alten Pfarrkirche Neumarkt das Krippenspiel geübt. Und zur Christmette wäre das Gotteshaus überfüllt. Nun entsteht im Dorf die Krippe in einem Schaufenster, das ein Händler zur Verfügung gestellt hat. Und Eisenmann wird am frühen Abend mit nur wenigen Gläubigen die Messe feiern. "Sicher werden die Leute in diesem Jahr anders zuhören", meint er. Ob er schon Gedanken für seine Predigt hat? Kurz überlegt er. "Es geht doch darum, dass Gott das Licht in das Dunkel der Zeit geschickt hat, in den dunklen, unwirtlichen Stall von Bethlehem. Das gilt für uns heute genauso: Gott will für uns im Dunkel unserer Tage da sein. Er lässt uns nicht allein."

Und nach dem Christfest geht er dann irgendwann wieder ins Krankenhaus.