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Eine Sprache, die jeder versteht

16. Juni 2015

Im Schatten des mit viel Scheinwerferlicht ausgeleuchteten Spitzensports entwickelt der Sport oft unbemerkt seine wahre Kraft: Er führt weltweit Menschen zusammen und gibt Hoffnung. Ein Potential, das auch die UN nutzt.

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Straßenfußball-Kinder in Guinea-Bissau (Foto: Braima Darame/DW)
Globale Begeisterung für den Ball: Auch in einem Armenviertel von Bissau - Straßenfußball geht überallBild: Braima Darame

Eine triste Plattenbausiedlung im Süden von Guatemala City. "Zone 21" nennen sie das Viertel schlicht, das zu den ärmsten im ganzen Land zählt – und zu den gefährlichsten. Zwischen grauen Betonburgen liegt ein Innenhof mit farbigen Markierungen für Kinderspiele. Allein: Kein Kind spielt hier. Es ist merkwürdig still. Dabei ist längst Nachmittag und die Schule aus. Die Gegend gilt als "rote Zone". Die Kriminalitäts- und Mordrate ist hoch – spielen ist hier zu gefährlich für die Kinder, nicht nicht selten werden sie hier entführt, heißt es. Mit ein paar Kollegen steht Sozialarbeiter Diego Saravia am Rande des Hofes und wartet auf die Kinder des Viertels, für die ein Sport-und-Spiel-Nachmittag organisiert ist – als Gegenpol zum tristen und bedrohlichen Alltag hier: "Sport soll dabei helfen, die Kinder davon abzuhalten, in Gangs zu gehen und kriminell zu werden. Vielleicht können wir so ein paar Kinder retten. Sie sollen etwas aus ihrem Leben machen", sagt Saravia und berichtet von Straßengangs, die gezielt Kinder ansprechen, um sie als Killer zu rekrutieren - weil die noch nicht bestraft werden können.

Eines dieser Kinder, die Diego Saravia retten will, ist Javier. Er ist zehn Jahre alt und kommt gerade gemeinsam mit rund 100 Mädchen und Jungen seines Alters in Begleitung von Lehrern und Eltern im Innenhof der Plattenbausiedlung an. Javier trägt ein blaues T-Shirt, hat kurze schwarze Haare und ein rundes, freundliches Gesicht. Er hat sich auf diesen Tag gefreut, das sieht man ihm an. Endlich draußen spielen. "Am liebsten Fußball und Basketball", erzählt Javier, "aber heute mache ich ein Sprungspiel." Das ist Teil eines "Mini-Atletismo"-Projekts welches von der Stadt sowie dem nationalen Leichtathletik-Verband gefördert wird - und das vor Ort unter Polizeischutz steht.

Ein Nachmittag ohne Angst

Idee und Programm dazu kommen aus Deutschland, von Oliver Scheer, einem jungen Sport-Auslands-Experten des Deutschen Olympischen Sport-Bundes. "Es geht hier nicht um Leistungssport, sondern um Sport als soziales Instrument zur Integration", sagt Scheer und ergänzt: "Wir holen die Kinder so für ein paar Stunden aus ihrem Alltag heraus, man sieht überall lachende Gesichter. Das ist toll." Auch Javier strahlt, nachdem er gerade einen Hindernisparcours erfolgreich überwunden hat. Mit seinen zehn Jahren hat er bereits einiges gesehen: "Manchmal wird es hier ziemlich brenzlig. Dann kommen ein paar Jungs aus der 16. Straße und schießen hier rum." Szenen, die ein Zehnjähriger eigentlich nicht sehen sollte. Und doch sind sie ganz schnell wieder aus seinen Gedanken verschwunden. Das nächste Spiel steht an, er muss zurück zu seiner Gruppe. Einen Nachmittag lang ist die Angst weg, mit der hier viele Kinder leben.

Ein Leichtathletik Entwicklungs Projekt in Guatemala City(Foto: DW/Joscha Weber)
Hoffnung für einen Nachmittag: Die Kinder der "Zone 21" lernen spielerisch Leichtathletik-TechnikenBild: DW/J. Weber

Das Beispiel aus Guatemala zeigt, welche Rolle Sport für die Gesellschaft spielen kann. Die körperliche Ertüchtigung schafft Räume der Freiheit, verbindet Menschen, zeigt Alternativen auf, ermöglicht soziale Aufstiege und ist vor allem eines: eine universelle Sprache.

Sport als Menschenrecht

Auf internationalen Sportevents treffen regelmäßig Menschen aufeinander, die weder die Landessprache des anderen beherrschen, noch die Kultur des anderen kennen. Und dennoch versteht man sich: Dem Spiel oder Wettkampf wohnt eine eigene Form der Kommunikation inne, die für jeden verständlich ist und so Verbindungen schafft, wo vorher keine waren. Die vereinten Nationen betrachten Sport und Spiel längst als Menschenrechte, die "weltweit respektiert und unterstützt" werden sollen. Der Sport habe als diplomatisches Mittel ein exzellentes Verhältnis aus "geringen Kosten und hohen Nutzen für Menschlichkeit, Entwicklung und Friedensförderung". Und genau dieses Potential hat man auch im deutschen Auswärtigen Amt (AA) erkannt.

Rudi Gutendorf trainiert Ruandas Fußballer (Foto: dpa)
Handlungsreisender des Fußballs: Trainer-Legende Rudi Gutendorf war in mehr als zwei Dutzend Ländern tätigBild: picture-alliance/dpa

Seit mehr als fünf Jahrzehnten werden vom Außenministerium gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und weiteren Verbänden Sport-Initiativen gefördert, die die gesellschaftliche Entwicklung vorantreiben. Weit über 1300 solcher Maßnahmen zählt das AA auf, von Rudi Gutendorfs Engagement für den tunesischen Fußball im Jahre 1961 angefangen bis zu heute laufenden Sport-Projekten in Sambia, Guatemala, Äthiopien oder auf den Philippinen. Dabei geht es immer auch um mehr als bloß die Förderung des örtlichen Spitzensports. Es geht auch um Chancen, auf ein besseres Leben.

Eine Brücke zwischen zwei verfeindeten Völkern?

Beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) ist man sich der sozialen Kraft des Sports durchaus bewusst. Auch wenn die Olympischen Spiele der Moderne längst ein milliardenschweres, gewinnoptimiertes Unternehmen geworden sind – der Grundgedanke des Weltsports ist nachwievor derselbe: Menschen zusammenbringen. "Sport ist der einzige Bereich des menschlichen Lebens, mit weltweit geltenden Gesetzen", argumentiert IOC-Präsident Thomas Bach, unter dessen Ägide der Sport 2014 erstmals die formelle Anerkennung der Autonomie seitens der Vereinten Nationen erhalten hat. "Wir sind alle gleich und wir alle respektieren dieselben Regeln."

Wer gemeinsam Regeln hat, hat zumindest schon einmal etwas gemeinsam - und das ist in manchen Fällen durchaus eine Erwähnung wert. Beispiel Korea-Konflikt: Seit den 40er Jahren sind Nord- und Südkorea verfeindet, an der Grenze stehen sich auf beiden Seiten riesige Armeen kampfbereit gegenüber. Viele diplomatische Vermittlungsversuche scheiterten bereits, nun plant die UN eine neue Annäherung: Mit einem sportlichen Treffen der beiden verfeindeten Nationen bei der Universiade in Gwangju (Südkorea). Willi Lemke, Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs für Sport im Dienst von Frieden und Entwicklung, äußert im DW-Interview konkrete Erwartungen an dieses Event, das er mit vorbereitet: "Wir möchten, dass viele nordkoreanische Studentensportler daran teilnehmen können. Ich habe mich früher im deutsch-deutschen Sportverkehr engagiert und weiß, was es heißt, in einem geteilten Land zu leben. Meine Traumvorstellung ist, dass es eines Tages auch in Korea eine Wiedervereinigung gibt. Der Sport kann da Brücken bauen."

Nordkorea und Südkorea begegnen sich auf dem Platz bei den 17. Asienspiele im Fußballfinale (Foto: REUTERS/Kim Kyung-hoon)
Sportliches Tête-à-Tête: Nordkorea und Südkorea begegnen sich auf dem Platz - hier nicht ganz harmonischBild: Reuters/Kim Kyung-hoon

Brücken bauen, Menschen zusammenbringen oder einfach einen Nachmittag lang die Angst vergessen – das wahre Potential des Sports liegt deutlich jenseits von höher, schneller, weiter. Sport verbindet. Sport schafft Perspektive. Sport ist eine Sprache, die weltweit jeder versteht.