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Erdogan nimmt Kurs auf den Gipfel der Macht

12. Juni 2011

Zweifel an einem Sieg von Regierungschef Erdogan bei der Parlamentswahl in der Türkei hat eigentlich niemand. Die Frage ist nicht, ob die islamisch-konservative AKP gewinnt, sondern wie hoch. Doch es gibt auch Kritik.

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Ein riesiges Poster mit einem Porträtbild von Erdogan hängt über einem Fenster, an dem eine Türkin Wäsche abhängt (Foto: AP)
Erdogan werden beste Chancen auf einen weiteren Wahlsieg eingeräumtBild: AP

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat der Türkei in den vergangenen Jahren eine enorme Stabilität und einen kräftigen Aufschwung beschert. Die Wirtschaft brummt und liefert Erdogan genügend Rückenwind, so dass er selbstbewusst in die Parlamentswahl am Sonntag (12.06.2011) geht - mit Aussicht auf den dritten Wahlsieg in Folge.

Im Wahlkampf versprach er seinen Wählern wachsenden Wohlstand und eine immer bedeutendere Rolle der Türkei in der Welt. Auf Plakaten richtete er den Blick weit in die Zukunft - auf den 100. Geburtstag der Türkischen Republik im Jahr 2023. "Die Türkei ist bereit, das Ziel ist 2023", heißt es in der Wahlwerbung. Das mutet fast so an, als sei sich Erdogan sicher, dass seine AKP bis dahin an der Regierung bleibt. Doch zunächst geht es nur um die Macht für die nächsten vier Jahre.

Blickt die AKP über ihre Eigeninteressen hinaus?

Demonstranten mit einer großen türkischen Flagge (Foto: AP)
Erdogan findet viel Zustimmung in der Bevölkerung, erntet aber auch KritikBild: AP

Einstige internationale Unterstützer sind mittlerweile auf Distanz zu Erdogan gegangen. So etwa das britische Magazin "The Economist", das den türkischen Wählern bei der letzten Wahl noch empfohlen hatte, für Erdogan zu voten. Nun rief es zur Stimmabgabe für die oppositionelle CHP auf. In den vergangenen Monaten wurden in der Türkei immer wieder Journalisten angeklagt und eingeschüchtert. Beobachter sehen die inländische Presse inzwischen weitgehend unter Kontrolle der Regierung. Kritisiert wird auch, dass die Bemühungen der als westlich orientiert geltenden AKP um einen EU-Beitritt auf der Stelle treten und die Lösung des Konflikts mit den Kurden nicht vorankomme.

Für viele Wahlbeobachter stellt sich die Frage, wie die Politik der AKP nach einem Wahlsieg aussieht, wenn sie sich nicht mehr um die Gunst der Wähler bemühen muss. "Das ist ein großer Test" des demokratischen Rufs der Regierungspartei, sagte die Assistenzprofessorin für Politik und internationale Beziehungen an der Bahcesehir-Universität in Istanbul, Nora Fisher Onar. Es gebe neben vielen Fortschritten immer noch Mängel beim demokratischen Wandel. Es komme nun darauf an, ob die Regierung "die Tiefen- und Weitsicht" habe, um über die politischen Eigeninteressen hinauszublicken.

Zweidrittelmehrheit für Regierungspartei?

Nach letzten Umfragen kann die islamisch-konservative Partei des Ministerpräsidenten auf 45 bis 50 Prozent der Wählerstimmen und wieder auf eine absolute Mehrheit der Sitze im Parlament hoffen. Sogar die von der AKP angestrebte Zweidrittelmehrheit ist möglich. Das hängt allerdings nicht nur vom Wahlergebnis der AKP selbst ab. Denn das türkische Wahlrecht sieht eine - im internationalen Vergleich sehr hohe - Zehnprozenthürde vor. Diese wurde nach dem letzten Staatsstreich des Militärs 1980 einführt, um kurdische Parteien vom Parlament fernzuhalten.

Der neue CHP-Vorsitzende Kilicdaroglu (Foto: AP)
Der neue CHP-Vorsitzende Kilicdaroglu kann mit Zugewinnen im Vergleich zur letzten Wahl rechnenBild: AP

Die rechtsnationale MHP könnte laut mehreren Umfragen an der Zehnprozent-Hürde scheitern, was die Chancen der AKP auf eine Zweidrittelmehrheit erhöhen würde. Dann zögen voraussichtlich nur zwei Parteien in die Nationalversammlung von Ankara ein: neben der AKP auch die säkularistische Republikanische Volkspartei CHP unter ihrem neuen Vorsitzenden Kemal Kilicdaroglu, die nach Umfragen mit 25 bis 30 Prozent der Stimmen rechnen kann.

Schafft die MHP aber den Einzug ins Parlament, wird es für Erdogans Partei schwierig, ihr großes Ziel zu erreichen. Denn nur mit einer solchen satten Mehrheit kann die AKP die geplante Änderung der Verfassung im Alleingang durchziehen.

Geplante Verfassungsreform birgt Chancen, aber auch Gefahren

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan (Foto: AP/dapd)
Erdogan hofft auf eine ZweidrittelmehrheitBild: dapd

Die Reform der Verfassung gilt als ein weiterer Schritt bei den Bemühungen der Türkei um einen Beitritt zur Europäischen Union. Erdogan sagte in einem Interview des türkischen Fernsehsenders Kanal 24, er wolle eine Verfassung vorbereiten, "die Grundrechte und -freiheiten würdigt, eine, die allumfassend ist, eine, die Menschen ihre eigene nennen können". Details über die geplante Reform sind allerdings kaum bekannt, auch nicht, ob sie eine Lösung des Konflikts mit den Kurden ins Visier nimmt.

Allerdings befürchten Kritiker, dass die AKP damit auch die eigene Macht zementieren will. Demnach plant Erdogan die Weichen hin zu einem Präsidialsystem zu stellen - mit sich selbst an der Spitze. Erdogan könnte so Kurs auf den Gipfel der Macht nehmen. Schon jetzt hat er laut Beobachtern so viel Macht und Einfluss wie kein türkischer Ministerpräsident vor ihm.

Wahlergebnisse für Sonntagabend erwartet

Landkarte der Türkei (Grafi: DW)
Die Türkei - ein Land auf zwei KontinentenBild: DW

Mehr als 52 Millionen registrierte Wähler sind aufgerufen, am Sonntag ihre Stimme abzugeben. Insgesamt 15 Parteien bemühen sich um die Gunst der Wähler - und ebenfalls 203 unabhängige Kandidaten, von denen viele der Kurdenpartei BDP zuzurechnen sind. Damit will diese die Zehnprozenthürde umgehen. Erste Wahlergebnisse werden am Sonntagabend erwartet.

Die Türkei ist mit einer Fläche von mehr als 810.000 Quadratkilometern mehr als doppelt so groß wie Deutschland. Aber nur 24.000 Quadratkilometer davon liegen in Europa, der andere Teil in Asien. Von über 73 Millionen Einwohnern sind rund 99 Prozent muslimischen Glaubens, aber nur 70 Prozent sind Türken. Die größte Minderheit mit mindestens 20 Prozent bilden die Kurden. Außerdem leben Araber, Tscherkessen und Georgier in der Türkei.

Autorin: Ursula Kissel (mit dpa, dapd, afp)
Redaktion: Susanne Eickenfonder