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Kinsey hat's gewusst

Das Interview führte Jefferson Chase31. Januar 2008

Vor 60 Jahren veröffentlichte Alfred Kinsey seinen Report zum Sexualverhalten – damals ein Skandal, heute noch immer aktuell, sagt Sex-Expertin und Buchautorin Erika Berger.

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Fernsehmoderatorin Erika Berger (Archiv, Quelle: DPA)
Erika Berger: Für Sex gibt es keine AltersgrenzeBild: Picture-Alliance /dpa

DW-WORLD.DE: Hat Sie der Kinsey-Bericht persönlich beeinflusst?

Erika Berger: Mich persönlich hat der Bericht damals ganz sicher nicht beeinflusst, da war ich noch viel zu klein. Aber im Nachhinein. Ich habe den Bericht zu Hause, wie jeder der sich mit Sexualität beschäftigt. Denn da stehen einige richtige Sachen drin. Zum Beispiel: Man sollte Dinge tun, die vielleicht etwas außergewöhnlich sind, und man sollte vor allem über Sexualität sprechen und es nicht im Geheimen tun. Man sollte außerdem Leuten, die eine andere Auffassung von Sexualität haben, tolerieren.

Es hat einige Zeit gedauert, bis der Bericht in Deutschland veröffentlicht wurde – hinkte Deutschland in Sachen Sexualität hinterher?

Sexualforscher Alfred Kinsey 1948 (Quelle: AP)
Er löste mit seinem "Kinsey-Report" letztlich die sexuelle Revolution in den 60ern ausBild: AP

Als ich in den 80ern angefangen habe, mich im Fernsehen öffentlich mit Sexualität zu beschäftigen, war das eigentlich Brachland. Es gab Oswald Kolle in den 60er Jahren. Er war der Aufklärer der Deutschen. Zur damaligen Zeit erst wurde den Leuten bewusst, dass Sexualität vollkommen normal ist: Sexualität ist etwas, das wir mitbekommen haben. Niemand hat damals darüber gesprochen, niemand hat es getan, angeblich - und Oswald Kolle hat dann die Deutschen aufgeklärt.

Der Kinsey-Bericht sagt, dass Praktiken, die damals allgemein als pervers galten, eigentlich sehr weit verbreitet sind – gibt es Ihrer Auffassung nach so etwas wie normalen Sex?

Was ist denn bitte normaler Sex? Man könnte genauso gut fragen, was ist guter, was ist schlechter Sex? Der Sex ist einfach so, wie ich ihn erlebe und wie ich ihn selbst gestalte - gemeinsam mit meinem Partner.

Es gibt für Sie den Begriff normalen Sex also nicht?

Nein, deshalb ist es für mich auch eine Anmaßung, wenn heutzutage jemand sagt, das ist doch nicht normal, was die Schwulen da machen oder die Lesben. Wer bestimmt denn, was normal ist? Ich allein bestimme, was für mich normal ist.

Durch das Internet kann man heute seinen sexuellen Präferenzen auf ganz neue Art folgen. Auch unsere Gesellschaft ist viel stärker sexualisiert als noch vor 40 Jahren. Trotzdem deckt sich die öffentliche Moral eigentlich nicht mit dem, was an sexuellen Praktiken im Internet beliebt ist.

Ja, das ist richtig. Man kann überall nachschauen und sich informieren, aber wenn es um die Realität geht, um das eigene Empfinden und die eigenen Bedürfnisse, dann traut man sich häufig nicht. Etwa weil man seinen Partner nicht überfordern will, oder weil man sich dann doch nicht gut genug mit bestimmten Praktiken auskennt. Dann weiß man nicht, wie der Partner reagiert und spricht ihn deshalb erst gar nicht darauf an ... Und deshalb ist die Praxis selbst nach wie vor langweilig.

Inwieweit verhindert die Anonymität des Internets, dass man mit seinem Partner über Sex redet?

Ja, das Reden hat tatsächlich darunter gelitten. Ich kann mir heute einen Partner im Netz suchen, ich kann am Bildschirm mit ihm reden, aber es ist immer eine sehr einseitige Sache. So ist das auch mit den ganzen Sex-Seiten: Ich kann mir irgendwelche Bilder anschauen, aber letztlich: Was habe ich davon?

Ihre letzten Arbeiten haben sich mit dem Älterwerden beschäftigt – was bedeutet das Altern unserer Gesellschaft für das Sexualleben?

Es wirft eine wichtige Frage auf: Ist Sex im Alter ein Tabu-Thema? Ich sage: nein. Denn wer hat gesagt, dass man mit 60, 70 oder 80 Jahren keinen Sex mehr haben darf? Für Sex gibt es keine Altersgrenze! Ein gesunder Mensch kann auch im Alter eine ausgefüllte Sexualität haben.

Ich habe für mein letztes Buch mit vielen Leuten gesprochen und habe erfahren: Sexualität steht bei Beziehungen im Alter nicht mehr an erster Stelle, sie tritt zurück, vielleicht an die zweite oder dritte Stelle. An die erste Stelle tritt dafür das Gefühl der Zärtlichkeit: Es ist jemand da, der mich liebt und den ich lieben kann – es ist ein großes Vertrauensverhältnis da, und daraus entwickelt sich Sexualität.

Glauben sie, dass das Interesse an Sex im Alter zunehmen wird?

Natürlich, erstens weil die Menschen älter werden und zweitens, weil sie nicht mehr so blöd sind, es zu verschweigen. Man muss doch zugestehen, dass jeder Mensch das Bedürfnis hat, gestreichelt zu werden. Bis ins Alter von 40 Jahren ist das alles kein Problem, aber wenn du beispielsweise als Frau in die Wechseljahre kommst, dann hast du auf einmal Hemmungen, du willst dich nicht mehr ausziehen, du hast beim Verkehr Schmerzen – einfach viele Dinge, die dir die Lust auf Sexualität nehmen können. Du denkst dann, du bist alt – aber du bist nicht alt, du bist einfach in einen neuen Lebensabschnitt eingetreten und das ist doch herrlich!

Erika Berger, Jahrgang 1939, ist Fernsehmoderatorin und Sexualberaterin. 1987 ging sie mit der Sendung "Eine Chance für die Liebe" auf Sendung, es folgte die die Talkshow "Der flotte Dreier", in der auch erotische Ranthemen behandelt wurden. Zurzeit moderiert die Journalistin unter anderem die Sendung "Night Talk" auf dem Spartensender "Focus Gesundheit". Berger hat zahlreiche Bücher zum Thema Sexualität veröffentlicht.