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„Es ist immer Zeit, über Freiheit zu sprechen“

Leonard Proske
24. Oktober 2019

Die junge irakische Schauspielerin und Dokumentarfilmerin Zahraa Ghandour zählt zu jenen, die aufbegehren gegen verkrustete Strukturen und überkommene Traditionen. Ihr Stoff sind gesellschaftliche Themen – auch Tabus.

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Artikelbild Weltzeit 4-2019: „Es ist immer Zeit, über Freiheit ­zu ­sprechen“, Irak
The Art Revolution Team: eine Gruppe von jungen Künstlerinnen und Künstlern in MossulBild: REUTERS/ABDULLAH RASHID

Welche Probleme beschäftigen die irakische Jugend am meisten?

Wir jungen Menschen haben so viele Probleme, aber ich denke, es sind vor allem die Korruption, die Stammesmentalität und ein schwaches Bewusstsein für die persönlichen Rechte. Das sind die Hauptgründe, die uns in die schlechte Situation geführt haben, mit der wir jeden Tag konfrontiert werden. Es gibt korrupte Machthaber, die ein Interesse daran haben, neue unfreie Generationen zu schaffen, um ihre eigenen Positionen zu schützen. Darüber hinaus beschäftigen sie die Jugend mit überflüssigen Dingen und einem sinnentleerten Umgang mit Technik. 

Wäre die Trennung von Staat und Religion ein Weg zu einer politischen Wende?

Säkularismus ist in meinen Augen dringend notwendig für ein besseres Irak. Die Reli­gion von der Politik zu trennen und zugleich als persönliche Angelegenheit zu bewahren ist ein Muss. Ich wünsche mir, dass diese Trennung per Gesetz geschieht, bis die Menschen verinnerlichen, dass sie andere nicht nach ihrem Glauben beurteilen dürfen. 

Sehen Sie es als Aufgabe der Jugend, den Irakern international Gehör zu verschaffen und dies vor allem über Soziale Medien? 

Ja, es ist Aufgabe der Jugend, dafür zu sorgen, dass man überall auf der Welt versteht, wie wir wirklich sind. Dass wir nicht so sind, wie Diktatoren und korrupte Politiker uns haben erscheinen lassen. Soziale Medien sind das stärkste Instrument, um die ­Menschen zu erreichen. Wir haben beobachtet, wie Extremisten sie nutzen, wie Politiker sie nutzen. Jetzt nutzen auch wir sie, um uns auszudrücken, uns zu vernetzen und zu lernen. Bedauerlicherweise ist unsere Online-Bewegung noch nicht sehr effektiv, weil es sehr teuer und aufwendig ist, wirkungsvollen Content zu teilen. Ich hoffe aber, dass wir auf dem richtigen Weg sind, auch wenn wir bislang nur wenige sind. 

In Ihrem Film „Baghdad in my shadow“ greifen Sie Tabuthemen auf: Homosexualität, Frauenrechte, religiösen Extremismus. Ist die irakische Gesellschaft bereit für diese Öffnung? 

Es ist immer die richtige Zeit, um über Freiheit zu sprechen, und es ist immer die richtige Zeit, um die Menschen daran zu erinnern, dass sie es verdienen, respektiert zu werden und ohne Angst leben zu können. Viele Dinge, die heute als schockierend gelten, werden morgen normal sein. Ich kann nicht sagen, dass die Menschen hier insgesamt offener werden, denn sie leben in Angst nach all ihren Erfahrungen. Aber ich kann versichern, dass die junge Generation nicht mehr nach überkommenen Traditionen leben will. Wir wollen das Leben, das wir selbst wählen, nicht das Leben, das man für uns ausgewählt hat. 

Artikelbild Weltzeit 4-2019: Zahraa Ghandour
Bild: picture alliance / Henning Kaiser/dpa

Zahraa Ghandour Jahrgang 1991, ist irakische Schauspielerin und Produzentin von Dokumentationen zu Gesellschaftsthemen. 2017 schaffte sie den Durchbruch als Darstellerin in „The Journey“, einem Film des Regisseurs Mohammed Al-Daradji. Zuletzt spielte sie die Hauptrolle in „Baghdad in my shadow“ unter der Regie von Samir. Aktuell arbeitet sie an einer Dokumentation über die irakische Frauenrechtsaktivis­tin Hanaa Edwar.