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Politik

EU-Staaten fordern Ende der Militäraktion

11. Oktober 2019

Deutschland und fünf weitere EU-Länder haben bei den UN ein Ende der türkischen Militäroffensive in Syrien gefordert. Dort sind Zehntausende auf der Flucht. Von US-Präsident Trump ist derweil Erstaunliches zu hören.

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Der Sicherheitsrat in New York
Der Sicherheitsrat in New YorkBild: picture-alliance/Xinhua/L. Muzi

Die türkische Militäroffensive in Syrien beschäftigt nun auch den UN-Sicherheitsrat. Eine gemeinsame Erklärung des Gremiums gibt es zunächst nicht. Aber sechs EU-Staaten bei den UN machen ihre Sicht deutlich. "Neue bewaffnete Auseinandersetzungen im Nordosten werden die Stabilität der ganzen Region weiter gefährden, das Leid der Zivilisten vergrößern und weitere Vertreibungen mit sich bringen, die die Zahl der Flüchtlinge in Syrien und der Region vergrößern werden", teilten Deutschland, Belgien, Frankreich, Polen, Großbritannien und Estland in einer gemeinsamen Erklärung mit. Estland sitzt ab dem kommenden Jahr im UN-Sicherheitsrat, Deutschland, Belgien und Polen derzeit, Frankreich und Großbritannien sind ständige Mitglieder.

Zuvor hatte sich der Sicherheitsrat hinter verschlossenen Türen mit dem Thema beschäftigt. Deutschland hatte am Mittwoch im Namen der fünf EU-Mitgliedsländer des Rates beantragt, das Thema am Donnerstag in einer Sitzung des Gremiums anzusprechen.

Vor der Sitzung hatte der stellvertretende deutsche UN-Botschafter Jürgen Schulz betont, dass Deutschland die Offensive "auf schärfstmögliche Weise" verurteile. "Wir glauben, dass diese Offensive das Risiko einer weiteren Destabilisierung der gesamten Region und eines Wiedererstarkens des 'Islamischen Staats' mit sich bringt." Anstelle dessen müsse der politische Prozess fortgesetzt werden. "Aber die türkische Offensive droht eine weitere humanitäre Katastrophe und weitere Flüchtlingsbewegungen zu entfesseln."

Drohung aus Paris

Unterdessen drohte Frankreich der Türkei wegen der Militäroffensive mit EU-Sanktionen. Europa-Staatssekretärin Amélie de Montchalin sagte am Freitag im Radiosender France Inter, Strafmaßnahmen lägen natürlich "auf dem Tisch". Nach ihren Angaben werden die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union darüber auf ihrem Gipfeltreffen in der kommenden Woche beraten.
 

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan
Der türkische Präsident Recep Tayyip ErdoganBild: picture-alliance/dpa/AA/H. Sagirkaya

Zahlreiche Staaten haben die türkische Militäroffensive gegen kurdische Milizen in Nordsyrien kritisiert. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wies die Kritik zurück - vor allem die aus der EU. "Hey, Europäische Union. Reißt Euch zusammen. Seht, ich sage es noch einmal: Wenn ihr versucht, unsere aktuelle Operation als Besatzung zu bezeichnen, dann haben wir leichtes Spiel. Dann öffnen wir die Türen und schicken euch 3,6 Millionen Flüchtlinge", sagte Erdogan in einer Rede vor Mitgliedern seiner Regierungspartei AKP.

Sein Außenminister Mevlüt Cavusoglu erklärte derweil, die Türkei werde die Verantwortung für die gefangenen Kämpfer der Terrormiliz "Islamischer Staat" im Nordosten Syriens übernehmen, sobald sie dort die sogenannte Sicherheitszone errichtet habe. Die Türkei werde die Heimatländer ausländischer IS-Angehöriger auffordern, diese zurückzunehmen. Sollten sich die Herkunftsländer weigern, wie das viele täten, dann sei es die Aufgabe der Türkei dafür zu sorgen, dass die IS-Kämpfer nicht freikämen.

Ein türkischer Panzer nahe der syrischen Stadt Tall Abjad
Ein türkischer Panzer nahe der syrischen Stadt Tall AbjadBild: picture-alliance/Anadolu Agency/M. Serdar Alakus

Die Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF) warnen davor, dass im Zuge der Kämpfe mit dem türkischen Militär die SDF-Bewacher der IS-Gefangenenlager an die Grenze abgezogen würden und die IS-Anhänger dann ausbrechen könnten. In den Lagern werden Tausende IS-Kämpfer aus 60 Ländern und Zehntausende Familienangehörige festgehalten.

Als Folge der türkischen Offensive sind den Vereinten Nationen und Aktivisten zufolge Zehntausende Menschen auf der Flucht. In den ersten 36 Stunden seien mindestens 60.000 Menschen vertrieben worden, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Ihre Angaben zu Flüchtlingen beruhen auf Schätzungen, eine unabhängige Bestätigung gab es für diese Zahl nicht. Türkische Truppen hätten innerhalb von 24 Stunden sieben syrische Dörfer eingenommen, hieß es weiter. Die Grenzstädte Ras al-Ain und Al-Darbasija seien fast komplett verlassen, nachdem die Anwohner geflüchtet seien.

Bepackt mit ihren Habseligkeiten fliehen Bürger des Ortes Ras al-Ain vor dem türkischen Angriff
Bepackt mit ihren Habseligkeiten fliehen Bürger des Ortes Ras al-Ain vor dem türkischen AngriffBild: Getty Images/AFP/D. Souleiman

Der Hohe UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi teilte mit, aktuell seien Hunderttausende Zivilisten in Nordsyrien in Gefahr. Die Verschärfung des Konflikts trage zur ohnehin größten Krise vertriebener Menschen weltweit bei. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) erinnerte daran, dass die Konfliktparteien rechtmäßig verpflichtet sind, Zivilisten zu verschonen.

Seit Beginn der Offensive wurden laut Aktivisten mindestens 15 Zivilisten getötet. Erdogan sagte in Ankara, dass bei der Offensive bisher 109 "Terroristen" getötet worden seien. Mit "Terroristen" sind die Kämpfer der YPG-Miliz gemeint.

"Blutgetränkter Killer"

Die syrische Regierung kritisierte Erdogan scharf. "Er spricht davon, dass er sich dem Schutz des syrischen Volkes verpflichtet, ist dabei aber ein leichtsinniger, blutgetränkter Killer dieses Volkes", zitierte die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana eine Quelle im Außenministerium.

Gleichwohl machte die Regierung von Präsident Baschar al-Assad deutlich, dass sie einen Dialog mit der angegriffenen Kurden-Miliz YPG ablehnt. Zur Begründung sagte der stellvertretende Außenminister Faisal Makdad in Damaskus, sie hätten ihr Land verraten und wollten sich von Syrien abspalten. Damit hätten sie der Türkei einen Vorwand für den Angriff geliefert. "Wir werden keinen Dialog oder irgendwelche Gespräche mit denjenigen akzeptieren, die Geiseln ausländischer Streitkräfte geworden sind", sagte Makdad mit Blick auf die YPG. "Es wird kein Standbein für die Agenten Washingtons auf syrischem Boden geben."

Ein YPG-Kämpfer (Archivbild)
Ein YPG-Kämpfer (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/G. Souleiman

Die YPG führt das Rebellenbündnis Syrische Demokratische Streitkräfte (SDF) an, das von den USA im Kampf gegen die IS-Extremisten unterstützt wurde. Gegen die Assad-Regierung hat die Kurden-Miliz im seit acht Jahren dauernden Bürgerkrieg nicht gekämpft. Vielmehr wurde sie zu Beginn des Konfliktes von Regierungstruppen dabei unterstützt, die Kontrolle in überwiegend kurdischen Städten zu übernehmen. Allerdings verwehrt die Regierung in Damaskus den Kurden die Autonomie, nach der sie streben. Sie hat ihnen Anfang des Jahres sogar mit einem Militäreinsatz gedroht, sollten sie nicht unter die syrische Staatsautorität zurückkehren.

Grünes Licht und Kritik von Trump

Ein Vertreter der syrischen Kurden hatte diese Woche erklärt, die kurdische Regionalregierung könne mit der Führung in Damaskus und deren Verbündetem Russland Gespräche führen, um im Falle eines Abzugs der US-Soldaten aus der Grenzregion zur Türkei eine Sicherheitslücke zu schließen.

Mit ihrem Abzug hatten die USA dem NATO-Partner Türkei den Weg für die Offensive frei gemacht, diese dann aber kritisiert. Nun brachte US-Präsident Donald Trump sein Land als möglichen Vermittler ins Spiel. "Ich hoffe, dass wir vermitteln können", sagte Trump in Washington. Zugleich drohte er der Türkei erneut mit harten Strafmaßnahmen gegen die türkische Wirtschaft. Diese Drohung hatte Trump bereits zuvor ausgesprochen für den Fall, dass sich die Türkei gegenüber den Kurden "inhuman" verhalten würde - ohne jedoch konkreter zu werden. Trump hatte auf Twitter geschrieben, die USA hätten drei Optionen in dem Konflikt: die Entsendung tausender Soldaten in das Gebiet, harte wirtschaftlichen Strafmaßnahmen gegen die Türkei oder eine Vermittlung zwischen beiden Seiten. Trump betonte in Washington, eine Entsendung von Truppen sei das, was er am wenigsten wolle.

Die Türkei befürchtet ein Erstarken der Kurden jenseits ihrer Südgrenze und damit auch der nach Autonomie strebenden Kurden im eigenen Land. Ankara will entlang der Grenze eine 30 Kilometer breite sogenannte Sicherheitszone auf syrischem Territorium errichten und dort auch syrische Flüchtlinge ansiedeln, die derzeit in der Türkei leben.

stu/se (dpa, afp, rtr)