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Evergrande: Absturz auf chinesisch

Thomas Kohlmann
13. Oktober 2021

Hui Ka Yan steht mit seinem überschuldeten Immobilien-Konzern Evergrande vor den Trümmern eines kaum regulierten chinesischen Immobilienmarkts. Und die ganze Welt fragt sich: Wann und wie greift die Partei ein?

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China Shenzhen | Evergrande | Symbolbild
Bild: Ng Han Guan/AP Photo/picture alliance

Hui Ka Yan lebte den chinesischen Traum: Aus einfachen Verhältnissen schaffte es der Unternehmer mit seinem Immobilien-Konzern Evergrande bis in die oberste Liga der Superreichen im Reich der Mitte. Jetzt steht er - genauso wie andere seines Schlages - vor den Trümmern einer unkontrollierten und übermächtigen Branche. Je mehr Schulden sein Konzern anhäufte, desto einsamer wurde es um Hui Ka Yan. Sein Immobilien-Imperium Evergrande kämpft mit einem Schuldenberg von mehr als 300 Milliarden US-Dollar ums nackte Überleben. Hui Ka Yan oder Xu Jiayin, wie der Evergrande-Gründer aus dem Süden Chinas auf Mandarin heißt, war einmal rund 30 Milliarden US-Dollar schwer - und er ist kein Einzelfall.

Denn das Netz aus Gefälligkeiten und Unterstützung zwischen den milliardenschweren Aufsteigern der Privatwirtschaft und den Gönnern aus Partei und Staatsführung ist löchrig geworden. Spätestens seit Staats- und Parteichef Xi Jinping machtvoll demonstriert hat, wie wenig die Milliarden von früheren Unternehmer-Ikonen wie Alibaba-Gründer Jack Ma ins Gewicht fallen. Peking scheute nicht davor zurück, sogar in letzter Sekunde einen Börsengang abzublasen - wie es bei der Alibaba-Tochter Ant Group im Herbst 2020 geschehen ist.

Hui Ka Yan
Bessere Zeiten: Hui Ka Yan 2017 bei einer Pressekonferenz seines Fußball-Teams Guangzhou Evergrande Taobao F.C.Bild: picture-alliance/dpa/Imaginechina/Zhong Zhenbin

Seit Jack Ma, einst reichster Mann Chinas, die Partei mit kritischen Bemerkungen provozierte, ist es ruhig geworden um den charismatischen Alibaba-Gründer, der seine öffentlichen Auftritte wie kaum ein anderer chinesischer Unternehmer inszeniert hatte. Mittlerweile ist Ma aus der Öffentlichkeit verschwunden.

Überlebenskampf hinter den Kulissen

Hui Ka Yans engste Verbündete haben ihm den Rücken gekehrt und sind fieberhaft damit beschäftigt, ihre Anteile an Evergrande weiter zu reduzieren: Einer von ihnen ist Hongkongs Immobilien-Tycoon Joseph Lau. Der nimmt sein Unternehmen Chinese Estates Holdings jetzt sogar von der Börse. Der Grund: Als privates Unternehmen ist Lau dann nicht mehr gezwungen, offenzulegen, wie eng er noch an Evergrande beteiligt oder mit dem Pleite-Kandidaten verflochten ist. So jedenfalls lautet die Erklärung von Finanzmarkt-Beobachtern.

Infografik Evergrande finanzielle Probleme DE

Gestürzte Giganten

Ein weiterer seiner Verbündeten, der Milliardär Zhang Jindong, verlor die Kontrolle über einen Teil seines Konzerns Suning, als der im Juli durch eine staatliche Rettungsaktion stabilisiert werden musste. Seine Finanz-Probleme waren offenbar auch dadurch entstanden, dass er Hui finanziell unter die Arme gegriffen hatte. Andere Konzernlenker gescheiterter Unternehmen traf es noch schlimmer: Sie verschwanden oder wurden verhaftet und vor Gericht gestellt. Andere, wie der Milliardär und Bergwerks-Tycoon Liu Han, wurden sogar hingerichtet.

Huis Imperium könnte zum bisher größten Opfer von Xi Jinpings hartem Kurs gegen die Exzesse der Business-Elite Chinas werden. Schon seit einiger Zeit geht Xi gegen private Unternehmens vor, die der Partei zu mächtig oder zu gefährlich geworden sind. Der aufgeblähte Immobiliensektor der Volksrepublik gilt manchen Partei-Strategen dabei als besonders bedrohlich für die Stabilität des Landes.

Der explosive Mix aus aggressiver Dollar-Verschuldung, Aktien-Deals und undurchsichtiger Kreditvergabe durch Staatsbanken und unregulierte Schattenfinanziers bedroht nicht nur in den Augen Pekings die Stabilität der gesamten Volkswirtschaft. Um Evergrande durch teure und massive Umschuldungsmaßnahmen überhaupt retten zu können -  da sind sich Finanz-Experten sicher - steht China die größte Umstrukturierung in der Geschichte der Volksrepublik bevor.

Schlechte Neuigkeiten reißen nicht ab

Am Dienstag (12.10.2021) wurde klar, dass der wankende Immobilienriese Evergrande seinen Anleihegläubigern die fälligen Zinsen erneut nicht zahlen kann. Es ist nicht das erste und wohl auch nicht das letzte Mal. Längst geht an den Finanzmärkten die Angst vor einem Domino-Effekt um. Denn Evergrande ist nicht das einzige Immobilien-Dickschiff, das auf dem hoch spekulativen Heimat-Markt Schlagseite bekommen hat.

China Geisterstadt Rushan city 01/2014
Seit Jahren produziert Chinas Immobilien-Spekulation Geisterstädte: Rushan im Januar 2014Bild: picture-alliance/Imaginechina

Übermächtige Branche mit Schlagseite

Mit einem Anteil von mindestens einem Viertel an der Wirtschaftsleistung Chinas ist der Immobiliensektor eine Schlüsselbranche des Landes. Und weil es an verlässlichen Zahlen für den von der Kommunistischen Partei kontrollierten Cocktail aus Turbo-Kapitalismus und staatlich gelenkter Kommando-Wirtschaft mangelt, weiß das wohl niemand so ganz genau. Manche Schätzungen gehen sogar davon aus, dass der Immobilien-Sektor ein Drittel zum chinesischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) beisteuert.

Dabei gleicht das Geschäftsmodell eher einem Schneeball-System als einer nachhaltigen Investitionsstrategie. Bei Immobilienkäufen in China ist bereits vor dem ersten Spatenstich eine beträchtliche Anzahlung fällig, mit der dann das Immobilienunternehmen das aktive Geschäft am Laufen hält. Das heißt: Ohne Neugeschäft kein Cash-flow und ohne Chash-flow keine Bautätigkeit. Mittlerweile sollen geschätzt mehr als anderthalb Millionen Evergrande-Kunden für Wohnungen bezahlt haben, die wohl nie in Bau gehen werden. Als geprellte Evergrande-Kunden Mitte September vor der Konzern-Zentrale in Shenzhen wütend protestierten und "Gebt uns unser Geld zurück!" skandierten, gingen diese Bilder um die ganze Welt.

China Evergrande
Weinende Menschen vor dem Hauptsitz von Evergrande in Shenzhen am 16. September 2021Bild: Noel Celis/AFP

Angst vor dem Domino-Effekt

Auch andere chinesische Immobilienkonzerne sind unter Druck. Sie müssen ebenfalls in den nächsten Wochen viel Geld zusammenkratzen, um ihre Gläubiger zu bezahlen. "Wir sehen weitere Ausfälle voraus, wenn sich das Liquiditätsproblem nicht deutlich verbessert", wurde die Maklerfirma CGS-CIMB am Dienstag von der Nachrichtenagentur Reuters zitiert. Auch andere Bauträger mit schwächerer Bonität hätten derzeit Schwierigkeiten bei der Refinanzierung. Schwache Bonität - das ist die Umschreibung der Ratingagenturen für Unternehmen, die ihr Geschäft nur mit Hochrisiko-Anleihen, den so genannten Junk Bonds finanzieren können. Für die Anleihen von Evergrande lautet das Urteil der Rating-Agenturen mittlerweile: Ein Kreditausfall ist mehr als wahrscheinlich!

Am Montag hatte der Immobilienentwickler Modern Land seine Investoren um einen Zahlungsaufschub für ausstehende Anleiheschulden gebeten. Sinic Holdings erklärte, das Unternehmen könne die Ende Oktober fälligen Zahlungen in Höhe von 250 Millionen Dollar an seine Anleihegläubiger nicht aufbringen. Und der Immobilienkonzern Fantasia schränkte den Handel seiner Anleihen an der Börse in Shanghai nach einer Bonitätsherabstufung ein.

Nervosität steigt

Noch vor wenigen Wochen hatten Analysten Gelassenheit demonstriert. "Was die Märkte beunruhigt, das sind die möglichen Auswirkungen der Evergrande-Krise auf andere Immobilienunternehmen. Es stellt sich die Frage, ob es für diese künftig schwieriger werden könnte, sich Geld zu leihen und Anleihen zu verkaufen. Ich denke: Ja, diese Sorgen sind verständlich", hatte Bloomberg-Analyst Qu Tianshi noch vor rund einem Monat in Hongkong betont.

Trotzdem seien diese Sorgen nicht ernst genug, "um das Zeug zu haben, eine echte Finanzkrise auszulösen", sagte Qu Tianshi Ende September.

Seitdem steigt die Angst unter Branchen-Insidern, dass es zu einer Kettenreaktion in der fünf Billionen US-Dollar schweren chinesischen Immobilienbranche kommen könnte - mit weitreichenden Folgen für den Rest der Welt.

Japan Evergrande
Die Furcht vor einer Evergrande-Pleite schickt Ende September den Nikkei-Index in Tokio auf TalfahrtBild: Kyodo News/imago images

Für Immobilienanalyst Cai Hongfei vom Brokerhaus Central Wealth Securities kommt es jetzt für viele private Immobilienentwickler darauf an, die nächsten drei Monate zu überleben. "Sie auf ihren Rückzahlungsplan in sechs bis zwölf Monaten anzusprechen ist eine Frage, die sie schlichtweg nicht beantworten können", sagte Cai Hongfei gegenüber Reuters. Und die Analysten von JPMorgan befürchten, dass die Krise von Evergrande nun auf andere Anleiheemittenten und andere Branchen überschwappt.

Was macht die Partei?

Auf welche Hilfe kann Evergrande-Chef Hui Ka Yan jetzt noch hoffen? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der chinesische Staat aus Angst vor einem Flächenbrand mit staatlichen Krediten in die Bresche springt? Was Hui Ka Yans Schicksal angeht, gibt sich Desmond Shum keinen Illusionen hin: "Es gibt kein Interesse, ihm aus der Patsche zu helfen", sagt Shum. In seinem Buch Rotes Roulette schildert er seine Geschäfte mit Chinas politischer Elite und wie er einmal auf einer Shopping-Tour mit Hui eine Superyacht kaufte.

"In der Situation, in der er sich jetzt befindet, glaube ich nicht, dass ihm irgendwelche politischen Verbindungen zu Hilfe kommen werden", wird Shum von der Nachrichtenagentur Bloomberg zitiert. Sein Buch trägt den Untertitel Die Geschichte eines Insiders über Reichtum, Macht, Korruption und Rache im heutigen China.

China - Xi Jinping in Beijing
Abwarten und Tee trinken ist keine Option für Xi Jinping in der Evergrande-KriseBild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Shum ist der frühere Ehemann der einst reichsten Frau Chinas, der Immobilienunternehmerin Duan Weihong, die 2017 spurlos verschwand und seitdem nicht mehr gesehen wurde. Nur ein einziges Mal, so Shum, habe sich seine Ex-Frau bei ihm telefonisch in seinem Exil im englischen Oxford gemeldet. Am 4. September warnte sie ihn davor, laut Shum offenbar nicht aus freien Stücken, sein Buch zu veröffentlichen.

Krisenmanagement mit Fragezeichen

Zhang Zihua, Investmentchef beim Vermögensverwalter Beijing Yunyi Asset Management, bringt die Schuldenkrise chinesischer Immobilien-Unternehmen auf den Punkt: "Die Anleger warten gespannt darauf, ob Peking Maßnahmen ergreift, um das Schuldenproblem von Evergrande zu lösen." Das aber würde "umfassende Pläne erfordern."

Wie diese Pläne aussehen, das weiß im besten Fall die Staats- und Parteiführung in Peking.