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Politik

Frauen stehen in Myanmar an vorderster Front

1. Februar 2022

Seit dem Putsch in Myanmar treiben überwiegend Frauen den friedlichen Widerstand voran. Gleichberechtigung wurde so zum Thema in der breiten Öffentlichkeit.

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Frauen bei einem Flash Mob-Protest im Juli 2021 in Yangon
Bild: AFP/Getty Images

Seit das Militär die Proteste nach dem Putsch vom 1. Februar gewaltsam niedergeschlagen hat, finden sich in den großen Städten wie Yangon oder Mandalay immer wieder Flashmobs zusammen, um gegen das Militär zu protestieren. Die zumeist jungen Demonstrantinnen und Demonstranten entrollen Plakate, brennen bengalische Feuer ab, skandieren Slogans und laufen dabei durch die Straßen, um sich kurz darauf in den Seitenstraßen zu zerstreuen.

Die Proteste sind lebensgefährlich, denn die Sicherheitskräfte schießen nicht selten ohne Vorwarnung oder fahren mit ihren Fahrzeugen in die Demonstranten. Die Videos, die anschließend in sozialen Medien verbreitet werden, zeigen klar: Immer sind Frauen an vorderster Front mit dabei.

Der 25-jährigen Htet Htar genügte der Straßenprotest nicht mehr. Sie hat sich im Juni den sogenannten Volksverteidigungskräften (People's Defense Forces) angeschlossen, also den bewaffneten Widerstand gegen das Regime. Sie sagte der DW: "Welche andere Wahl hatte ich? Das Militär hat uns alles genommen. Ich bin den Widerstandskräften beigetreten, um mein Land zu befreien." Auf die Frage, was sie motiviert, entgegnet sie: "Mein Glaube an ein freies Birma."

Patriarchalische Gesellschaft

Dass Frauen und ihre Stellung in der Gesellschaft eine besondere Rolle spielten, zeigte sich schon zu Beginn der Proteste. Im Februar und März 2021, als es im ganzen Land zu großen Straßenprotesten kam und das Militär anfing, die Demonstrationen gewaltsam niederzuschlagen, nutzten die Demonstranten den Aberglauben der heranrückenden Soldaten gegen das Militär. Sie hängten traditionelle Wickelröcke von Frauen (birmanisch: Htamein) über die Straßen oder Barrikaden und nutzten sie als Flaggen. Der Aberglaube besagt: Wenn ein Mann unter Frauenkleidern hindurchgeht, büßt er physisch und spirituell Manneskraft ein. Zwar konnte die Aktion die Militärs nicht dauerhaft aufhalten, aber manche Soldaten nahmen tatsächlich einen Umweg, was den Demonstranten wichtige Sekunden verschaffte, um sich in Sicherheit zu bringen.

Gruppenfoto mit Krankenschwestern in blauen Kitteln und mit blauen OP-Masken, die den Drei-Finger-Gruß zum Zeichen des Protests zeigen
Krankenschwestern in Yangon zeigen im Februar den Drei-Finger-Gruß, der, wie in Thailand und Hongkong, zum Zeichen des Protests wurdeBild: AA/picture alliance

Myanmar ist ein konservatives Land, in dem Männer das Sagen haben. Es hat zwar schon immer starke Frauen wie Aung San Suu Kyi gegeben, aber die Ausnahmen bestätigen in diesem Fall eher die Regel.

Das Militär steht im besonderen Maße in der konservativen Tradition, denn es sieht sich als Bewahrer des "echten" Myanmars, in dem ethnische Minderheiten und Frauen ihren Platz kennen. Naw Hser Hser von der Frauenliga von Burma (WLB), einer Dachorganisation von über 30 Frauenrechtsgruppen, sagt im Gespräch mit der DW dazu: "Das Militär hat Frauen niemals gefördert."

Armeechef Min Aung Hlaing, unter dessen Oberbefehl der Putsch stattfand, erklärte Anfang März 2021 in den Staatsmedien, dass Demonstranten mit ihrer "anstößigen Kleidung im Gegensatz zur birmanischen Kultur" stünden. Sicherlich meinte er damit auch Frauen in Hosen. Die Demonstranten würden das Sittlichkeitsempfinden der Menschen schädigen, weshalb rechtliche Schritte eingeleitet werden müssten, so der Armeechef.

Verfassung bevorzugt Männer

Auch die vom Militär 2008 geschriebene Verfassung spiegelt die paternalistische Haltung des Militärs wieder. Zwar wird in Art. 352 festgehalten, dass kein Bürger des Landes wegen seiner Rasse, Geburt, Religion oder seines Geschlechts diskriminiert werden dürfe. Es folgt aber unmittelbar der im Widerspruch dazu stehenden Satz: "Die Bestimmungen dieses Abschnitts stehen der Ernennung von Männern in Positionen, die nur für Männer geeignet sind, nicht entgegen."

Die Solidaritäts- und Entwicklungspartei der Union (USDP), die als Partei des Militärs gilt, stellte bei den Wahlen von 2015 weniger als sechs Prozent weibliche Kandidaten auf. Kurz vor den Wahlen brachten sie - auf Druck konservativer Buddhisten - noch ein Gesetz durch, dass die Eheschließung buddhistischer Frauen mit nicht-buddhistischen Männern regelte. Vor einer Hochzeit musste sich das Paar bei den Behörden registrieren und unter anderem erklären, dass die Frau nicht angehalten werden dürfe zu konvertieren und die Kinder ihre Religion frei praktizieren können. Buddhistische Männer, die nicht-buddhistische Frauen heirateten, mussten keine Erklärung abgeben.

Nicht viel besser war es übrigens bei Aung San Suu Kyis Partei der Nationalen Liga für Demokratie, die 2015 auch nur einen Frauenanteil von 15 Prozent aufwies. Tatsächlich hat die NLD in Sachen Gleichberechtigung seit ihrer Wahl 2015 und bis zum Putsch 2021 nur wenig getan.

Neues Frauenbild

Doch seit dem Putsch ändere sich etwas, sagt Naw Hser Hser von der Frauenliga WLB. So habe sich das Frauennetzwerk seit dem Putsch vom 1. Februar deutlich vergrößert. Waren es früher vor allem Frauen aus den Gebieten der ethnischen Minderheiten, die sich schon seit Jahren gegen das Militär engagieren, seien inzwischen auch viele Frauen und Frauenorganisationen aus dem birmanischen Kernland in engen Austausch mit der WLB getreten. Naw Hser Hser schätzt, dass etwa vier von fünf Frauen gegen die Militärjunta sind, auch wenn sich nicht alle organisieren oder den offenen Widerstand wagen.

Karte Myanmar mit Bundesstaaten DE

Auch werden Teile des Widerstands vor allem von Frauen organisiert und getragen. Die Bewegung zivilen Ungehorsams (CDM), eine der ersten Gegenbewegungen gegen den Putsch, begann in Krankenhäusern und weitete sich später unter anderem auf Schulen aus. In medizinischen und pädagogischen Berufen ist der Frauenanteil sehr hoch. Die lokale NGO Gender Equality Network schätzt, dass 70 bis 80 Prozent der Anführer des CDMs Frauen sind.

Mehr Frauen in der Regierung

Die Aktivistinnen Esther Ze Naw Bamvo und Ei Thinzar Maung, die heute stellvertretende Ministerin für Frauen, Jugend und Kinder der Untergrundregierung ist, und die zu Anfang die landesweiten Proteste maßgeblich organisiert hatten, wurden vom US-Magazin "Time" im September 2021 zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres gewählt.

Daw Khin Ohmar, eine Aktivistin der "88-Generation", sagt zur Rolle der Frauen: "1988 waren Männer die Anführer. Heute sind es Frauen. Das ist großartig." 1988 hatte es in Myanmar einen Volksaufstand gegen das sozialistische Regime gegeben, der vom Militär niedergeschlagen wurde.

Polizisten verhaften im Februar 2021 eine junge Frau auf einer Straße in Yangon
Frauen, die von Polizei oder Militär verhaftet werden, werden in den Gefängnissen immer wieder Opfer von sexualisierter GewaltBild: Ye Aung Thu/AFP/Getty Images

Nicht nur in der Bewegung des Zivilen Widerstands spielten die Frauen eine große Rolle, sagt Naw Hser Hser. Auch in der Politik seien mehr Frauen in Schlüsselstellen vorgerückt. Die Untergrundregierung des "National Unity Government" (NUG) ist inklusiver als alle vorherigen Regierungen. Neben Aung San Suu Kyi, die das Militär zwar unter Hausarrest gestellt hat, die aber weiterhin symbolisch das Amt der Staatsrätin inne hat, bekleidet eine Frau, Zin Mar Aung, das Amt der Außenministerin. Zin Mar Aung hatte sich vorher für Frauen und die Verständigung mit den ethnischen Minderheiten eingesetzt.

Diskussionen auf den Straßen

Das sei alles schon sehr gut, so Naw Hser Hser, "aber wir haben unser Ziel noch nicht erreicht. Wir wollen, dass Frauen auf allen Entscheidungsebenen eingebunden sind." Was die Aktivistin allerdings sehr freut, ist, dass es gelungen sei, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in die Verfassung einer föderalen Union, die das NUG gerade erarbeitet und in diesen Tagen mit dem National Unity Consultative Council (NUCC), zu dem neben der Gegenregierung auch noch andere Stakeholder, vor allem ethnische Minderheiten gehören, fest zu verankern.

Am wichtigsten findet Naw Hser Hser, dass Frauen auch in den Dörfern und Märkten seit dem Putsch anders wahrgenommen würden. Früher seien Fragen wie Geschlechtergleichheit, Frauenrechte und Gleichberechtigung vor allem in NGOs und der Zivilgesellschaft diskutiert worden. Aber seit dem Putsch, in dem die Frauen eine aktive und sichtbare Rolle spielen, hätten sich diese Diskussionen ausgeweitet. "An der Basis, auf den Märkten, sprechen die Menschen davon, dass Frauen Teil der Revolution sind und dass sie in der Zukunft ein Mitspracherecht haben sollten."

Annie Zaman hat zu diesem Bericht beigetragen.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia