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PolitikIndien

Indiens "erweiterte Familie": Russland, China und der Iran

9. Juli 2023

Delhi richtete vergangene Woche das jährliche Treffen der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) aus. Die Aufnahme des Iran war dabei ein weiterer Schritt weg vom Westen.

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Eine Bildschirmwand, auf denen die Staatschef der SCO zur Konferenz versammelt sind
Virtuell statt real: das Treffen der SCO-Staaten am Dienstag, den 4. Juli 2023Bild: Alexander Kazakov/Tass/dpa/picture alliance

Keine mehrtägige Tagung, stattdessen eine auf wenige Stunden begrenzte Video-Konferenz: Das jährliche Treffen der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), ausgerichtet von Indien, fand dieses Mal in zurückhaltendem Format statt. Die Teilnehmer fanden am Dienstag, den 4. Juli 2023, auf den Bildschirmen zusammen. Zu einem großen Fototermin, wie bei derartigen Veranstaltungen üblich, kam es darum nicht.

So stand auch für das zentrale Ereignis des Treffens, der Aufnahme des Iran, keine allzu große mediale Bühne bereit. Nachdem die Mitgliedschaft des Landes bereits beim Treffen des vergangenen Jahres Thema war, wurde sie nun offiziell vollzogen. Damit ist der Iran neben China, Russland, Indien, Pakistan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Turkmenistan nun vollwertiges Mitglied der 2001 gegründeten Organisation. Deren Mitglieder öffneten sich auf der Konferenz zudem einem weiteren Staat: Belarus erhielt den Status eines Beobachterlandes.

Auch die Reaktionen auf die Reden des chinesischen Staatschef Xi Jinping und seines russischen Amtskollegen Wladimir Putin fielen aufgrund des digitalen Formats medial bescheiden aus, ungeachtet der entschlossenen antiwestlichen Richtung ihrer Äußerungen.

China stelle sich gegen "Protektionismus, einseitige Sanktionen und die Ausweitung nationaler Sicherheitskonzepte", sagte Xi und warnte auf dem virtuellen Treffen vor einem "neuen kalten Krieg". Putin warf dem Westen derweil vor, gegen Russland einen "hybriden Krieg mit beispiellosen illegitimen antirussischen Sanktionen" zu führen.

Der indische Premier Narendra Modi auf dem Treffen der SCO
Zwischen allen Blöcken: der indische Premier Narendra Modi auf dem Treffen der SCOBild: Press Information Bureau/AP/picture alliance

Indien nennt die SCO eine "erweitere Familie" - ein Zeichen an den Westen?

Für den indischen Premier Narendra Modi, vor wenigen Tagen noch mit großem Pomp in Washington empfangen, waren die Äußerungen Xis und Putins kein Anlass, sich zu distanzieren, im Gegenteil:: "Wir sehen die SCO nicht als eine erweiterte Nachbarschaft, sondern als eine erweiterte Familie" erklärte er auf dem Treffen.

Indien bleibe auf dem Treffen der SCO seinem außenpolitischen Prinzip der gleichen Distanz zu den westlichen wie den östlichen Staaten verpflichtet, sagt der Politologe Heribert Dieter, Experte für den indo-pazifischen Raum an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. "Das Land hat eine fast diebische Freude daran, weder dem einen noch dem anderen Lager anzugehören. Indien - seit kurzem das bevölkerungsreichste Land der Erde - hat enormes wirtschaftliches und politisches Gewicht. Wer Indien in sein Lager zieht, hat im derzeitigen geopolitischen Konflikt ein enormes Plus. Das weiß natürlich auch die indische Regierung selbst."

Dies mache sich Modi, vor wenigen Tagen noch auf Staatsbesuch in den USA, konsequent zunutze. "Innerhalb der G20, dessen Vorsitz Indien derzeit ebenfalls inne hat, ist er der populärste Regierungschef. Er sitzt fest im Sattel und so kann er sich einiges erlauben, auch gegenüber den westlichen Staaten."

Indiens Premier Narendra Modi und der russische Staatspräsident Wladimir Putin im Gespräch, Astana, Juni 2017
Pragmatische Beziehungen: Indiens Premier Narendra Modi und der russische Staatspräsident Wladimir PutinBild: Mikhail Metzel/TASS/dpa/picture alliance

Allerdings gebe es derzeit generell eine Absetzbewegung gegenüber dem Westen, sagt Dieter. Er verweist auf Saudi-Arabien, das sich mit dem Iran versöhnt hat und zugleich die Hand in Richtung China und anderer autoritärer Staaten ausstreckt. "Das sollte für den Westen ein Warnsignal sein", meint Dieter. "Offenbar dringen die Botschaften des Westens - der Amerikaner und der Europäer - nicht mehr durch."

Das liege ganz wesentlich am Gebaren westlicher Staaten, das vielfach als belehrend empfunden werde. Zugleich, so die in diesen Ländern vorherrschende Sicht, fehle es dem Westen an Selbstkritik und Konsequenz. "So hört man im Gespräch mit Politikern der Region etwa häufig den Vorwurf, dass der Einmarsch der Amerikaner in den Irak vor 20 Jahren ohne juristische Konsequenzen für die Verantwortlichen geblieben ist."

Hilft die SCO-Aufnahme dem Iran gegen die Sanktionen des Westens?  

Die Vorbehalte gegenüber den westlichen Staaten kommen auch dem Iran entgegen, dem nun jüngsten Mitgliedstaat der SCO. Bereits vor dem Ausbruch der jüngsten Massenproteste habe die politische Elite des Iran daran gearbeitet, die internationale Isolation ihres Landes durch eine offizielle Mitgliedschaft in der SCO abzumildern, heißt es in einer Studie der Carnegie Foundation.

Von der SCO-Aufnahme erwarteten sie Vorteile für Wirtschaft und Handel sowie für die strategische Ausrichtung des Landes. Bis zum Jahr 2021 habe der Handel zwischen dem Iran und den SCO-Ländern bei über 651 Milliarden US-Dollar (ca. 598 Milliarden Euro) gelegen. Eine formale Mitgliedschaft werde den Iran in die Lage versetzen, die westlichen Sanktionen besser zu verkraften. Umgekehrt sei die Mitgliedschaft des Iran für die SOC-Staaten hilfreich bei deren Beziehungen zur islamischen Welt.

Der iranische Staatspräsident Ebrahim Raisi auf dem Treffen der SCO 2021 in Duschanbe, der Hauptstadt Tadschikistans, September 2021
Bei Partnern: der iranische Staatspräsident Ebrahim Raisi auf dem Treffen der SCO im Jahr 2021 in Duschanbe, der Hauptstadt TadschikistansBild: SalamPix/ABACA/picture alliance

Die Vorstellung einer multipolaren Weltordnung verbinde den Iran auf der einen und China und Russland auf der anderen Seite, heißt es in einer Studie des Magazins Middle East Policy aus diesem Jahr. "Ein multipolares System bietet dem Iran auch mehr Möglichkeiten auf regionaler und internationaler Ebene, da die Verteilung der Macht auf mehrere Pole die Durchsetzung des Willens einer einzigen dominanten Macht unhaltbar macht", resümiert die Autorin Nicole Bayat Grajewski die in der SCO dominierende Auffassung.

Wie auch beim Gipfel der BRICS-Staaten Mitte Juni in Südafrika deute sich auch auf dem SCO-Treffen eine fortschreitende Entfremdung zwischen den westlichen Industriestaaten und mehreren Ländern im Süden und Osten der Welt an, sagt Heribert Dieter. "Zugespitzt formuliert: Die G7 vereinsamt, die G7 glaubt die besten Rezepte für die Organisation der internationalen Beziehungen zu haben, aber immer weniger Länder folgen der G7."

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika