1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Journalisten am Pranger

2. November 2018

Die politischen Spaltungen in Polen sind auch für Journalisten spürbar. Für Regierungskritik kann man seine Arbeit verlieren. Konservative Medien dagegen fühlen sich von den Liberalen angeprangert.

https://p.dw.com/p/37VJr
Polen Zeitungskiosk
Bild: picture-alliance/dpa/N. Skrzypczak

"Das einzige, was ich seit einem Jahr machen darf, ist das Zusammenstellen von Informationen und Zitaten, die andere Journalisten für ihre Beiträge brauchen. Das ist eine völlig mechanische Arbeit". Dorota Nygren, die 15 Jahre lang Radiosendungen betreute und für Nachrichtenprogramme zuständig war, kann sich mit der ruhigen Archivarbeit schwer abfinden. Sie wurde gezwungen, die redaktionelle Arbeit im öffentlichen Radiosender gegen wesentlich schlechter bezahlte Archivrecherchen zu tauschen, weil sie mit ihren Chefs nicht auf einer Linie war.

Die unbotmäßigen Journalisten

Sie hatte den Mut, die Verstaatlichung der öffentlichen Medien durch die nationalkonservative PiS-Regierung zu kritisieren. Vor einem Jahr, als die Anti-Flüchtlingsrhetorik der PiS laut wurde, hat sich die Journalistin geweigert, die Nationalität eines Marokkaners zu benennen, der in Italien einen katholischen Priester angegriffen hatte. "Es würde den Mann stigmatisieren. Die Nationalität oder die sexuelle Orientierung soll man nur dann angeben, wenn es ein Teil der erzählten Geschichte ist. In diesem Falle war es das nicht", erklärt Nygren. Damit hat sie sich ihren Chefs widersetzt, die die Nationalität bei Straftaten immer angeben wollten. Im Warschauer Bezirksgericht läuft ein Prozess, in dem die Journalistin ihren Arbeitgeber wegen nationaler Diskriminierung verklagt.

Die Spaltung der Medienwelt

Sie ist eine der wenigen, die nach dem Konflikt mit den regierungsfreundlichen Chefs der staatlichen Medien ihre Arbeit behalten haben. Seit 2015 haben hunderte Journalisten in ähnlicher Situation ihren Job verloren. Der Ombudsmann für Menschenrechte Adam Bodnar sieht darin eine wachsende Politisierung in der Medienwelt. "Selbst unabhängige Journalisten, die einfach ihr Handwerk ordentlich auszuführen versuchen, werden derzeit als Vertreter eines bestimmten politischen Lagers gesehen", sagt Bodnar im Gespräch mit DW. Er bezeichnet das als "Sippendenken" und spricht von einem "Identitätsjournalismus", weil sich die Journalisten häufig ganz offen mit einer bestimmten politischen Partei oder Ideologie identifizieren.

Dorota Nygren
Die polnische Rundfunkjournalistin Dorota Nygren Bild: privat

So seien manche nationalkonservative Medien zu regelrechten Sprachrohren der Regierung geworden, wozu unter anderem eine antideutsche Rhetorik gehöre. Auch er selbst, Bodnar, sei nach einem Interview mit der DW über den Stand der polnischen Rechtsstaatlichkeit im Sommer 2018 angegriffen worden, dass er deutsche statt polnischer Interessen vertrete. Deshalb wundere es ihn gar nicht, dass die DW derzeit im Zusammenhang mit der Debatte zwischen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und dem polnischen Staatsoberhaupt Andrzej Duda am Pranger stehe.

Die Debatte der Präsidenten

Die Debatte, die zum großen Thema in nationalkonservativen Portalen geführt wurde, hat im Rahmen des Deutsch-Polnischen Forums in Berlin stattgefunden und wurde von der DW-Journalistin Rosalia Romaniec und Piotr Legutko vom staatlichen polnischen Fernsehen TVP moderiert. Romaniec hat den polnischen Präsidenten unter anderem nach seinem Lösungsvorschlag zum Rechtstaatlichkeitsstreit zwischen Polen und der EU gefragt. Seine Antworten überraschten den Großteil des Publikums - zum Beispiel die Bemerkung, polnische Medien wären freier als deutsche, weil sie über sexuelle Belästigung von Frauen durch Migranten ausführlich berichten würden. Auch Dudas Analyse der möglichen Ursachen des Brexit, den er mit dem europäischen Verbot von  Glühbirnen zu erklären versuchte, sorgte für Erheiterung im Saal.

Eine Frage wird unbequem

Die regierungsnahen polnischen Medien warfen der DW-Journalistin vor, unangemessene Fragen zu stellen und sich nicht an die Vorabsprachen zu den Themen zu halten. "So heftige Reaktionen der regierungstreuen Medien in Polen haben mich überrascht. Es ist ein Versuch, diejenigen einzuschüchtern, die kritisch nachfragen. Ich habe dem polnischen Präsidenten eine Frage gestellt, die vielen Gästen im Saal auf der Zunge lag", sagt Romaniec. 

Die DW-Journalistin unter Kritik

Nach den Äußerungen des polnischen Staatsoberhaupts, die in seinem Heimatland für eine heftige Debatte gesorgt haben, wurde Rosalia Romaniec Beschimpfungen und Beleidigungen in regierungstreuen polnischen Online-Medien ausgesetzt. Dort wurde die Veranstaltung als reine Provokation abgetan. "Die Debatte verwandelte sich in eine öffentliche Bloßstellung des polnischen Staatsoberhauptes", schrieb die rechte Internetseite "wpolityce.pl", die die Veranstaltung als skandalös bezeichnete. Die Redaktion behauptet, Duda werde aus Rache angegriffen, weil er den Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 kritisiere. Der konservative Thinktank "Klub Jagielloński" stellte die Frage "Was zum Teufel wollt Ihr Deutschen eigentlich?" und beschuldigte die Gastgeber, ein "Affentheater" veranstaltet zu haben. Der Beitrag wurde auf Twitter hunderte Male geteilt. 

Polnischer Präsident Duda zu Besuch in Berlin
Auslöser für Debatten: Deutsch-Polnisches Forum am 23.10.2018 in BerlinBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Die Politisierung der Medien

Um den Zustand der polnischen Medien ist die internationale Organisation "Reporter ohne Grenzen" besorgt. Im diesjährigen "World Press Freedom Index" steht Polen auf dem 58. Platz. Das ist ein Rückfall um 40 Plätze in den vergangenen drei Jahren (2015: Platz 18). Im Bericht von "Reporter ohne Grenzen" wird von einer "Verblindung durch die Politik" gesprochen. Die Pressefreiheit wird als "eines der ersten Opfer der PiS-Reformen" gesehen.

Jolanta Hajdasz vom Vorstand des Polnischen Journalistenverbandes, der derzeit von Vertretern nationalkonservativer Medien dominiert ist, spricht von einem "ideologischen Charakter" des Berichts. Die angeblich dramatische Lage finde keine Entsprechung in der Realität.

Die Sprache der neuen Medien

Die Medienfreiheit sei derzeit in Polen nicht in Gefahr, weil die rechtlichen Regulierungen in diesem Bereich ähnlich wie in anderen europäischen Ländern seien. "Die Medienfreiheit war seit Jahren nicht so groß wie jetzt, weil jetzt die Stimmen zu Wort kommen dürfen, die jahrelang nicht gehört wurden", sagt Hajdasz.

Der Journalistenverband sieht aber auch die Gefahr, dass bestimmte Inhalte unter die Zensur fallen. In der Konferenz "Die Zensur im Netz", die der Journalistenverband zusammen mit dem für katholische Werte stehenden Verein Ordo Iuris in diesem Sommer veranstaltet hat, wurde etwa dem Konzern Google vorgeworfen, er würde patriotische und christliche Inhalte und Profile aus dem Internet beseitigen.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau