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Alles auf Anfang, Genossen!

2. Januar 2016

Das Problem der Sozialdemokraten: Sie sind nur noch politische Halbstarke. Für Tradition gibt es keine Wählerstimmen, in der Koalition sind sie nur Junior. 2016 beginnt für die SPD verkatert, meint Volker Wagener.

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SPD Parteitag Sigmar Gabriel (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++) Copyright: picture-alliance/dpa/B. v. Jutrczenka
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Zweimal stand die SPD im abgelaufenen Jahr im gleißenden Licht der Medienaufmerksamkeit. Zumindest schillernde Vertreter der Partei. Es war im September, als Gerhard Schröder seine Biographie präsentierte. Die Laudatio auf den letzten Star der alten Tante SPD hielt Angela Merkel. Was für eine pikant inszenierte Konfrontation aus Gegenwart und noch frischer Vergangenheit! Die zweite Gelegenheit, bei der die drei Buchstaben SPD so richtig Konjunktur hatten, kam im November. Helmut Schmidt war gestorben.

Der Altkanzler, dem die sozialdemokratische Anrede Genosse nur selten über die Lippen kam, war mehr als drei Jahrzehnte nach dem Ende seiner Kanzlerschaft längst ein politischer Heiliger. Nur: Als PR-Faktor hat der Groß-Staatsmann Schmidt der SPD selten zählbares eingebracht. Schmidt stand für sich und mit der SPD war er nur in Maßen kompatibel. Was auch auf das Verhältnis Schröders zu seiner Partei zutrifft. Beide waren Solitäre, die nur mäßig Stallgeruch mitbrachten. Die Partei war eher Ballast, denn Heimat.

Schröders Buchvorstellung und Schmidts Beerdigung 2015 hatten deshalb so gar nichts mit der SPD zu tun. Die Partei ging leer aus bei diesen Momentaufnahmen der Rückschau auf vergangene Größe. Das ist paradox, denn so schlecht fällt die politische Bilanz zur Halbzeit der Legislaturperiode für Parteichef Sigmar Gabriel gar nicht aus.

Politik unterhalb der Wahrnehmungsschwelle

Schon bei den Koalitionsverhandlungen 2013 machte die Partei fette Beute. Zwei Jahre später steht fest: Die Rente mit 63 darf sich die SPD als Erfolg anrechnen, ebenso die Ausweitung der Frauenquote. Auch den Mindestlohn hat sie erkämpft und höher getrieben als die CDU es wollte. Und nicht zu vergessen: So viel Klimaschutz war noch nie. Keine schlechte Bilanz für eine Programmpartei. Doch das wird nicht wahrgenommen in Zeiten, in denen allein Angela Merkel das Gesicht der Politik ist.

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DW-Redakteur Volker Wagener

Richtig gefordert war die SPD seit Sommer, als Syrer und Iraker noch in Damaskus und Bagdad Deutschland zum Ziel erklärten. Aber im Gedächtnis bleiben nur Merkels überraschende Aussagen. Von der SPD keine Idee. Es war der Christsoziale Horst Seehofer, der die zweite Hauptrolle in dem Stück "Wie halten wir es mit dem Asylrecht und darf eine Grenze noch bewacht werden?" übernahm. Die SPD gab nur verbalen Geleitschutz. Für welche Position eigentlich? Jedenfalls machte sie sich kleiner als sie sowieso schon ist. Die Partei kränkelt am Phänomen der Mitte. Dort sind fast alle und deshalb fallen die Genossen gar nicht auf.

Was ist linke Politik heute?

Und es gibt weitere Gründe für die Misere. Franz Münteferings Bonmot, demnach Opposition Mist sei, gilt erst Recht für die Große Koalition. Zumindest wenn man nur auf dem Beifahrersitz mit fährt. Krampfhaft versucht Sigmar Gabriel die neue SPD-Klientel zu finden. Die "arbeitende Mitte" will er gewinnen. Das ist schwierig für eine Partei, die das Selbstverständnis hat, auch für Minderheiten Politik zu machen, gleichzeitig aber Mehrheiten gewinnen möchte. Ob Willy Brandts Credo, auf das sich Gabriel beruft, die SPD müsse "Partei des donnernden Sowohl-als-auch" sein, heute noch hilft?

In der deutschen Sozialdemokratie sind spätestens seit dem Parteitag im Dezember wieder die alten Grabenkämpfe zwischen Linken und Pragmatikern ausgebrochen. Die Frage, was die Partei eigentlich will, wer sie sein soll, ist völlig offen. Während in Europa National-Konservative im Trend liegen, leisten sich SPD und die Linkspartei den Luxus, über Kreuz zu liegen. Dabei sehen Demoskopen durchaus eine Mehrheit für eine linke Politik.

Sigmar, der Dreiviertel-Chef

Doch die SPD beschäftigt sich lieber mit sich selbst und entleibt ihren Vorsitzenden um gute 25 Prozent seines politischen Gewichts. Der Hang zur Selbstzerfleischung hat bei den Genossen Tradition. Die knapp 75 Prozent Delegiertenstimmen für Gabriel hätten einen sofortigen Rücktritt verdient gehabt, doch in der Partei drängt es sonst niemanden nach ganz vorne. Selbst der hohe Unterhaltungswert vergangener Jahre, der Testosteron getriebene Machtkampf der Lafontaines, Schröders, Clements und Steinbrücks ist perdu.

Es triumphiert das Harmoniegeflöte der Manuelas, Doris', Barbaras und Aydans. Die SPD ist vorbildlich durchgegendert und sterbenslangweilig. Vielleicht braucht die Partei ein gesellschaftliches Bündnis wie es Willy Brandt in den frühen 70er Jahren zustande brachte und wie es der einstige Wahlkampfchef der SPD, Bodo Hombach, nun seinen Genossen empfiehlt. Ein Bündnis zwischen Arbeitern und Intellektuellen: Die einen brauchen die Sozialpolitik, die anderen wollen sie. Für die drei Landtagswahlen im März bleibt da keine Zeit mehr, aber 2017 sind ja Bundestagswahlen.

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Volker Wagener Redakteur und Autor der DW Programs for Europe