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Gesellschaft

Ein Erfolg, aber noch nicht am Ziel

DW Kommentatorin Pacinthe Matter ++++ Provisorisch ++++
Pacinthe Mattar
18. August 2018

Intersexuelle Menschen in Deutschland können demnächst das Geschlecht "divers" ins Geburtenregister eintragen lassen. Dies ist ein Fortschritt, doch der Weg zu echter Anerkennung ist noch weit, meint Pacinthe Mattar.

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Intersexuelle Person
Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Das Kabinett hat einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der die Angabe eines unbestimmten, des sogenannten dritten Geschlechts in offiziellen Ausweispapieren ermöglicht. Dies bedeutet, dass Menschen, die sich nicht als weiblich oder männlich identifizieren, nun die Möglichkeit haben, als Geschlecht "divers" eintragen zu lassen. Die Gesetzvorlage muss nun noch vom Bundestag beschlossen werden.

Bei dem Begriff Intersexualität geht es nicht um sexuelle Orientierung, sondern um Menschen, die genetisch oder anatomisch nicht eindeutig dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden können. Intersexuelle Menschen können homo- oder heterosexuell sein, sie können sich als männlich, weiblich oder als keines von beidem identifizieren. Laut Schätzungen der Vereinten Nationen werden zwischen 0,05 und 1,7 Prozent der Weltbevölkerung mit intersexuellen Merkmalen geboren.

In vielen Kulturen und Religionen sind intersexuelle Menschen längst anerkannt. In Kanada zum Beispiel gelten sie bei mehreren indigenen Völkern als Menschen mit "zwei Seelen". Unter diese Gruppe fallen Menschen, die nicht in das westliche Verständnis von zwei Geschlechtern und sexueller Identität hineinpassen und die sowohl weibliche als auch männliche Charakteristika aufweisen.

Schmerzhafte Operationen

Für intersexuelle Menschen und Transgender ist es von existenzieller Bedeutung, ihre Identität selbst bestimmen zu können. Doch die Möglichkeit der offiziellen Registrierung ist kein Allheilmittel gegen ihre Diskriminierung.

DW Kommentatorin Pacinthe Matter ++++ Provisorisch ++++
DW-Autorin Pacinthe Mattar ist KanadierinBild: Jacklyn Atlas

Diskriminierung und Stigmatisierung gehören zum Alltag von intersexuellen Menschen, sowohl von Kindern als von Erwachsenen. Um ihre Anatomie männlicher oder weiblicher aussehen zu lassen, unterziehen sie sich häufig operativen Eingriffen, manchmal auch unter Zwang. Bei Kindern geschieht dies ohne deren Einverständnis.

Mit der Option für ein "drittes Geschlecht" rückt Deutschland in die Reihe von Ländern auf, die diese Möglichkeit bereits geschaffen haben. Dazu gehören Österreich, Neuseeland, Australien, Indien, Kanada, Portugal und einige US-Bundesstaaten.

Auf globaler Ebene geht die Debatte um Bürgerrechte und Anerkennung dieser Menschen weiter. Intersexuelle und diejenigen, die sich weder als männlich noch weiblich definieren wollen, haben ein Recht auf Selbstbestimmung und offizielle Anerkennung durch Regierungen, Gesundheitsbehörden und öffentliche Institutionen.

Das Stigma bleibt

Doch trotz amtlicher Anerkennung bleiben im Alltag viele Probleme: Denn der Eintrag "divers" im Geburtenregister macht die Nutzung öffentlicher Toiletten für intersexuelle Menschen nicht einfacher. Wer nicht eindeutig als weiblich oder männlich zu identifizieren ist, sieht sich häufig ungewollter Aufmerksamkeit, starrer Blicke oder gar Gewalt ausgesetzt.

Auch bei Sicherheitskontrollen auf Flughäfen und anderen Checkpoints müssen sich intersexuelle Menschen häufig unangenehmer Leibesvisitationen unterziehen - trotz Eintrag im Ausweis. In manchen Ländern kann der Eintrag "divers" im Reisepass sogar gefährlich für die Betroffenen werden.

Doch die positive Bewertung überwiegt. Von vielen Experten, Anwälten und Aktivisten wird der Schritt, den Deutschland jetzt geht, als historisch gefeiert. Die Option für ein drittes Geschlecht ist ein wichtiger Schritt auf dem langen Weg zu Befreiung, Anerkennung und Schutz der Rechte intersexueller Menschen. Es spiegelt sich darin auch das Verständnis, dass sexuelle Identität komplexer ist als ein simples entweder oder.

Sara Kelly Keenan, die 2016 als erste US-Amerikanerin den Eintrag "intersexuell" in ihr Geburtsregister erhalten hat, bringt es auf den Punkt: "Es gibt Kraft, zu wissen, wer man ist."