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Der Sport duckt sich weg

Joscha Weber Bonn 9577
Joscha Weber
29. Dezember 2016

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. Doch Russland leugnet sein Doping-System weiter. Der Sport müsste jetzt sanktionieren, doch dazu fehlt ihm die Entschlossenheit, meint Joscha Weber.

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Symbolbild Leichtathletik Russland Doping
Bild: Getty Images/AFP/J. Eisele

Fast könnte man angesichts des hübschen Theaters schmunzeln. Da wird eine Frau vorgeschickt, die erstmals zugibt, dass eine "institutionelle Verschwörung" das flächendeckende Doping im russischen Sport möglich machte. Die Chefin der russischen Anti-Dopingbehörde RUSADA, Anna Anzeliowitsch, erzählte im "New York Times"-Interview auch, dass die Regierung davon natürlich nichts gewusst habe. Dennoch sind die internationalen Reaktionen heftig und so wurde Anzeliowitsch offenbar prompt von Kreml und Sportministerium zurückgepfiffen. Sie dementiert ihre eigenen Worte, in russischen Medien heißt es, man habe sie "aus dem Zusammenhang gerissen". Dass die Politikwissenschaftlerin aus Moskau mit ihrem Teil-Eingeständnis eigenmächtig handelte, darf bezweifelt werden. Vielmehr spielte sie in diesem Stück offensichtlich den Testballon.

Erst wurde gedopt und vertuscht, dann geleugnet und ausgewichen

Anna Anzeliowitschs Worte und das anschließende Dementi fügen sich nahtlos in die russische Strategie: Erst wurde gedopt und vertuscht, dann geleugnet und ausgewichen. Denn natürlich verwies die RUSADA-Chefin auch auf Doping-Probleme in anderen Ländern. Die existieren gewiss. Aber sie machen das von WADA-Chef-Ermittler Richard McLaren detailliert nachgewiesene Massendoping in Russland keinen Deut besser. Und auch ihre Aussage, dopende Sportler als "Verräter" zu bezeichnen, ist leicht zu durchschauen: alles nur Individualvergehen, na klar. Das Problem dabei: Dass es sich bei nachweislich mehr als 1000 gedopten Sportlern noch um Einzelfälle handeln soll, nimmt ihr niemand mehr ab.

Weber Joscha Kommentarbild
"Der Druck auf Russland muss erhöht werden", fordert DW-Sportredakteur Joscha Weber

Auch wenn die "Rochade Anzeliowitsch" den Kritikern im Ausland zumindest auf einer unteren Ebene ein gewisses Einlenken Russlands im Doping-Skandal signalisieren sollte, bleibt der Befund unverändert: Russland will von einer echten Aufarbeitung des gigantischen Doping-Apparates nichts wissen. Ernstgemeinte Aufklärung würde nämlich auch bedeuten, die Rollen von Geheimdienst und Sportministerium und damit die sehr wahrscheinliche Mitwisserschaft auch höherer Regierungskreise zu untersuchen. Und daran dürfte Präsident Wladimir Putin ebenso viel Interesse haben wie an einer Offenlegung der russischen Hacker-Aktivitäten im US-Wahlkampf.

Wo bleibt der Druck von IOC und FIFA?

So lange sich der Deliquent also weigert, seine Schuld einzugestehen und glaubhaft das eigene Anti-Doping-Programm reformieren zu wollen, muss der Druck seitens des Sports erhöht werden. Denn wenn Chancengleichheit und ein fairer Wettkampf universelle Ziele des Sports bleiben, kann man den systematischen Sport-Betrug Russlands nicht tatenlos hinnehmen. Das Problem ist: Außer bei ein paar Wintersportarten rührt sich nichts im internationalen Sport. Das IOC wartet weiter ab und prüft. Und die FIFA, die mit der WM 2018 in Russland den größten Hebel in der Hand hat? Sie nutzt ihn nicht. FIFA-Präsident Gianni Infantino behauptet tatsächlich, dass das Dopingproblem Russlands nichts mit der WM zu tun habe. Dass es im McLaren-Bericht an mehreren Stellen auch um Fußball geht, scheint Infantino nicht zu interessieren. Der Sport duckt sich weg, wagt nicht den offenen Kampf um seine wichtigsten Werte, denn der Gegner ist einflussreich und zudem ein wichtiger Financier im Weltsport. Das russische Theater des scheibchenweisen Eingestehens von ausschließlich den Fakten, die sich nicht länger leugnen lassen, wird also auch 2017 weiter gehen. Und echte Reformen im russischen Sport darf so niemand erwarten.

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