1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kommentar: Ein bisschen DDR in Thüringen

Volker Wagener5. Dezember 2014

Die Linke stellt mit Bodo Ramelow erstmals in einem Bundesland einen Ministerpräsidenten. Und SPD und Grüne stehen Koalitions-Pate. Das Experiment wird in Berlin nicht nur argwöhnisch beäugt, meint Volker Wagener.

https://p.dw.com/p/1DzaV
Bodo Ramelow (Foto: Jens-Ulrich Koch/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/Jens-Ulrich Koch

Nun ist er also Ministerpräsident. Hauchdünn, aber dennoch. Die erste Prüfung hat Bodo Ramelow bestanden. Beim "Gauck-Test" fiel er aber schon vor der Vereidigung glatt durch. Der Bundespräsident, der ewige Einmischer von Amts wegen, nimmt mit seiner grundsätzlichen Abneigung gegen die Linke kein Blatt vor den Mund. "Zu nah am SED-Denken, nicht vertrauenswürdig genug", so sein politisches Fast-Todesurteil knapp nach der Landtagswahl. Vielen Deutschen ergeht es ähnlich.

Die netten Kümmerer mit Vergangenheit

Teile der SPD-Mitglieder in Thüringen schämten sich ihrer Tränen nicht, so empört waren sie vor Wochen, als sie das Zusammengehen mit den Linken diskutierten. Wie sich die Partei mit der SED-Hypothek auf dem Rücken so mir nichts, dir nichts zur normalen Regierungspartei häutet, treibt so manchen Sozialdemokraten mit Ost-Biografie in wütende Verzweiflung. Und auch im Westen bekamen viele einen dicken Hals. Vor allem im konservativen Lager. 25 Jahre nach dem Mauerfall kommen die früheren Kommunisten, die sich nur zähneknirschend die Einsicht abringen ließen, dass die DDR ein Unrechtsstaat war, nun wieder in die erste politische Reihe. Doch wer links von der CDU strategisch denkt, der kann frohlocken. Klammheimliche Freude vor allem bei der SPD, der früheren Volkspartei, die inzwischen nur noch ein Völkchen repräsentiert.

Die Linke hat 25 Jahre nach dem Mauerfall immer noch eine respektable Position in Ostdeutschland. Sie wurde und wird in Koalitionen gebraucht und in den Kommunen gilt sie als Kümmerer-Partei. Auch der allzu menschliche Hang am Festhalten an denen, mit denen man groß geworden ist, tut sein übriges beim Wähler für die anhaltende Akzeptanz der Erbengemeinschaft der sozialistischen Einheitspartei. Die Linke im Osten ist ein politischer Faktor, der Systemwechsel hat sie gestutzt, aber nicht marginalisiert.

Volker Wagener (Foto: DW)
DW-Redakteur Volker WagenerBild: DW

Ramelow, der etwas andere Linke

Im Gegenteil: Denn jetzt kommt Bodo Ramelow. Und das hat seine Gründe. Ramelow macht sich interessant, denn er erfüllt nicht die Kriterien des ostdeutsch-linken Soziogramms. Sprich, ihm haftet kein Stallgeruch an. Er kommt aus dem Westen, ist praktizierender evangelischer Christ und macht Wirtschaftspolitik wie ein Konservativer. Er bricht fast alle Tabus, straft jedes Klischee über Linke Lügen, ist aber ein Ossi-Versteher. Jahrelang hatte der Verfassungsschutz ein Auge auf ihn, den Rebell, der schon mit 14 Krawatte binden konnte. Was für eine deutsch-deutsche Geschichte!

Dass die Kinder der friedlichen Revolution vom Herbst 1989 nun ausgerechnet von den Nachlassverwaltern der SED regiert werden, empört vor allem die Union im Jahr des Mauerfall-Jubiläums. Und sie fragt: Wie viel SED steckt noch in der Ramelow-Linken? Da ist der Fall des Abgeordneten Frank Kuschel, dem das Ministerium für Staatssicherheit bescheinigt hatte, "Personen vorbehaltlos zu belasten". Oder Ina Leukefeld, die als Kriminalpolizistin der DDR Ausreisewillige an die Stasi meldete. Sie und andere sind Altlasten der Linken, die auch 25 Jahre nach dem Zusammenbruch des Ost-Berliner Regimes für böses Blut sorgen.

Das ist die Bühne, auf der die Sozialdemokraten nun zu ihrem Auftritt als Juniorpartner der Koalition kommen. Das ist mindestens pikant, empfanden sich doch die Ost-SPDler als Dissidenten und in Gegnerschaft zur SED. Eine Zumutung für manche und doch will die SPD unter Ramelow mitregieren. Ein Wagnis ist das allemal. Eine Chance aber auch.

Ausbruchsversuch aus der babylonischen CDU-Gefangenschaft?

Im politisch kleineren Maßstab eines Bundeslandes lässt sich gut experimentieren. War nicht Rot-Grün in den 1980er Jahren in Hessen der Probelauf für die spätere Schröder-Fischer-Ära? So ganz offen sagt es niemand in der Bundes-SPD, aber tatsächlich wird Thüringen nun zum Versuchslabor für Berlin. Die Regierungs-Premiere der Linken in Thüringen eröffnet den Genossen eine strategische Option jenseits der Großen Koalition.

Rot-Grün bringt im Bund schon lange nicht mehr ausreichend Masse auf die Waage. Die FDP war einmal und zusammen mit der Merkel-Union reicht es für die SPD nur noch für die Hilfs-Sheriff-Funktion. Wenn die SPD 2017 den Kanzler stellen will, geht das nur über ein rot-rot-grünes Bündnis. Doch das ist riskant. Nicht alle in der SPD finden diese Machtoption gut und die Grünen können inzwischen auch mit den Konservativen. Das politische Provinzstück "Ein bisschen DDR in Thüringen" ist nicht nur für die Linken der Testfall, es ist auch für die Sozialdemokraten ein Versuchslabor.