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Kurdistan bietet Chancen mit Fallstricke

Judit Neurink, Erbil / db31. Oktober 2013

Junge Kurden aus dem Westen zieht es in die Heimat ihrer Eltern, die Autonome Region Kurdistan im Norden Iraks. Sie wollen am Boom in der Region teilhaben - und sehen sich mit einer fremden Welt konfrontiert.

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Abendlicher Blick auf eine belebte Straße (Foto: DW/Judit Neurink)
Bild: Judit Neurink

"Jahrelang war ich aus der Ferne in Kurdistan verliebt", sagt Beri Shalmashi. Den größten Teil ihres Lebens verbrachte die kurdische Filmemacherin in Europa. Im nordirakischen Kurdengebiet lebt sie erst seit etwas mehr als einem Jahr. Sie ist eine der vielen Kurden der zweiten Generation, die es in die Heimat ihrer Eltern zieht. Getrieben von einem Gefühl der Zugehörigkeit, vergrault von der Rezession in Europa, wollen sie dazu beitragen, das Land ihrer Träume aufzubauen.

Die Autonome Region Kurdistan boomt zehn Jahre nach dem Untergang des Regimes von Saddam Hussein. Die Region hat eine eigene Regierung, ein Parlament und eine eigene Wirtschaft, aber keine eigene Währung. Investoren aus aller Welt sind dort tätig, die kurdischen Städte Erbil und Sulaimaniyya haben sich dank eines Baubooms in wenigen Jahren komplett verändert.

Angezogen von dieser Entwicklung, zog die 29-jährige Shalmashi aus den Niederlanden in die Region. Sie tut sich allerdings schwer, denn Filmemachen ist momentan keine Priorität der neuen kurdischen Gesellschaft. "Ich möchte einen Film über das Leben in Erbil drehen", sagt sie. Ein Budget habe man ihr vor Ort auch versprochen, aber das ziehe sich ewig hin.
Sie hat zwar Arbeit gefunden, ist aber über den Dozentenjob an der Filmakademie in Erbil nicht sehr glücklich. Alles sei sehr korrupt, und man sei gezwungen, das hinzunehmen, meint die Künstlerin. "Wenn ich Studenten bitte, einen Essay über einen Film zu schreiben, kopieren sich einfach einen Text." Sie habe versucht dem Dekan zu erklären, dass sie so niemals einen Magister außerhalb der Akademie machen können. Seine Antwort: "Ach, Du und Dein Ausland!"

Menschen in Einkaufspassage (Foto: DW/Judit Neurink )
Das irakische Kurdistan erlebt einen WirtschaftsboomBild: Judit Neurink

"Vitamin B" zählt

Einige Kollegen, die Kurdistan noch nie verlassen hatten, sähen sie als gefährliche Konkurrenz, meint die Filmemacherin, denn sie habe sich um Neuerungen bemüht. "Sie machten mein Leben zur Hölle", so Shalmashi. "Sie haben Angst, ihre Stellung zu verlieren, und lassen mich lieber außen vor, als mit mir zusammen an der Verbesserung der Ausbildung zu arbeiten."
Shalmashi ist enttäuscht. In Kurdistan hänge alles davon ab, wen man kenne und wie man diese Beziehungen nutze, erklärt sie. Talent sei Nebensache. "Meine Erfahrungen aus Holland sind unwichtig", sagt die Filmemacherin. Man habe sie gewarnt, dass niemand einen roten Teppich für sie ausrollen werde, aber "ich habe nicht erwartet, dass es so schwer wird."

Viele junge, akademisch gebildete Kurden aus dem Westen äußern ähnliche Klagen. "Wo wart ihr als wir schwere Zeiten durchmachten", werden sie gefragt. Manche der Kurden aus dem Westen sagen, sie versuchen nicht aufzufallen: Durch ihre höhere Bildung laufen sie Gefahr, kritisiert und eher entlassen zu werden. Die meisten haben das Gefühl, als Bedrohung empfunden zu werden, weil sie besser gebildet sind als ihre kurdischen Kollegen.

Nechir Herki and Beri Shalmashi stehen in einer Einkaufspassage (Foto: DW Judit Neurink)
Nechir Herki und Beri ShalmashiBild: Judit Neurink

Schlechte Medizin

Rückkehrer bringen europäische Moralvorstellungen mit, die oft mit den Gepflogenheiten in Kurdistan kollidieren - das stellt auch Aram Amma fest. Fast sein ganzes Leben verbrachte der 27-Jährige in den Niederlanden, bevor er vor drei Jahren begann, hochwertige Medikamente aus Europa als Alternative zu billigen, minderwertigen Medikamenten aus Indien und China nach Kurdistan zu importieren.

Im irakischen Kurdistan ist das Geschäft mit der Medizin fast komplett in der Hand zweier rivalisierender Familien. Amma steckte plötzlich mitten in dieser Fehde. Als ein Container voller Medikamente an einem Checkpoint in seiner Heimatstadt Sulaimaniyya gestoppt wurde, ging er hin, um zu verhandeln und wurde festgenommen. Er wurde eines Drogendeliktes beschuldigt und kam ins Gefängnis. Er habe von einem gehört, meint Amma, der wegen ein paar Pillen sechs Monate bekam. "Ich hatte einen ganzen Container voller Pillen."

In seiner Zelle saßen 33 weitere Gefangene, die meisten langjährige Kriminelle. Es gab kaum Platz zum Schlafen in der kleinen Zelle. "Wir wechselten uns bei der Wache ab, um Missbrauch zu verhindern." Nach ein paar Tagen hörte er auf, seine Unschuld gegenüber seinen Mitgefangenen zu beteuern. "Ich setzte mich zu den größten Gaunern", erinnert sich Amma. "Das gab mir einen Status, mehr Essen und mehr Telefongespräche."

Als es seinem Anwalt 14 Tage später immer noch nicht gelungen war, ihn frei zu bekommen, überwand Amma seinen Stolz und rief seinen Chef an. Der wiederum rief die richtigen Politiker an und holte Amma innerhalb eines Tages aus dem Gefängnis.
Der Container mit Medikamenten im Wert von etwa 53.000 Euro hatte die ganze Zeit über in der Sonne gestanden. Die gesamte Fracht musste vernichtet werden. "Darum ging es bei meiner Festnahme: die Medikamente los zu werden", ist sich Amma sicher. "Ich bekam einen Brief, dass alles in Ordnung war, sie aber wegen der Sonne nicht mehr verkauft werden dürften." Eine Entschuldigung gab es nie: "Mein Chef wollte nicht, dass ich eine Entschuldigung einfordere. Er bat mich, den Fall nicht größer zu machen, als er ist."

Geliebte Heimat?

Freunde finden - das ist ein anderes schwieriges Kapitel für viele Kurden aus dem Westen. Im Westen bewegten sie sich in gemischter Gesellschaft, gingen in Kneipen und machten zusammen Sport. Die kurdische Gesellschaft ist gespalten, Männer und Frauen führen getrennte Leben. "Eine Freundin kann man nur heimlich haben", erklärt Amma. Auch wenn Ammas Freundeskreis sich im privaten Rahmen darüber hinwegsetzt - Männer und Frauen feiern eigentlich keine gemeinsamen Partys.

Erbil in der Abenddämmerung (Foto: Safin Hamed/AFP/Getty Images)
Viele Investoren zieht es nach ErbilBild: Safin Hamed/AFP/Getty Images


Vor einem Jahr kam Nechir Herki aus den Niederlanden nach Kurdistan. Der 23-Jährige fühlt sich oft von anderen Kurden missverstanden. "Andere Rückkehrer wissen, wovon man redet. Die Leute hier waren noch nie in Paris, fangen aber an, darüber zu diskutieren." Um die holländischen Kurden im irakischen Kurdistan miteinander zu vernetzen "damit wir füreinander da sein können", gründete Herki die Facebook-Gruppe 'Nederland in Koerdistan.'

Arbeit an einem Traum

Gleichzeitig meint er, Kurden seien offener als die Menschen im Westen. "Sie sind wärmer und gastfreundlicher, das hat auch mich zu einem positiveren Menschen gemacht."
In der Logistikfirma, in der Herki arbeitet, trifft er vor allem Rückkehrer und Ausländer. Wegen der vielen internationalen Firmen und zurückgekehrten Auswanderer wird Englisch in Kurdistan allmählich zur zweiten Sprache, meint er. Er träumt davon, eine eigene Firma zu gründen. Im boomenden Kurdistan könnte ihm das sogar eher gelingen als in von Rezession gebeutelten europäischen Ländern. "Das ist mein Ziel, deswegen bleibe ich hier", sagt Herki.