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Linke sucht Personal und Orientierung

Marcel Fürstenau8. Juni 2015

Ohne die Integrationsfigur Gregor Gysi müssen sich die Sozialisten auf verschärfte Flügelkämpfe einstellen. Ein Bündnis mit SPD und Grünen erscheint unwahrscheinlicher denn je. Das liegt aber nicht nur an den Linken.

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Das Parteilogo der Linken
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Wer folgt auf Angela Merkel und was wird aus der CDU? Ungefähr diese Dimension hat für die Linke die Frage, wie es ohne ihren langjährigen Frontmann Gregor Gysi weitergehen wird. Der hat am vergangenen Sonntag auf dem Parteitag in Bielefeld angekündigt, im Herbst nicht mehr für den Fraktionsvorsitz im Deutschen Bundestag zu kandidieren. Seit zehn Jahren ist Gysi das Gesicht der seit 2013 größten Opposition im Parlament. Kein anderer Linker ist annähernd so bekannt wie der 67-Jährige, der seiner Partei auch in TV-Talkshows und in Wahlkämpfen pausenlos Profil verleiht.

Das Problem mit der Abhängigkeit von einzelnen Personen kennen alle Parteien. Die CDU fiel nach der Ära Helmut Kohl ebenso in ein Loch, wie die SPD nach dem Abgang Gerhard Schröders und die Grünen in der Zeit nach Joschka Fischer. Die beiden ehemaligen Bundeskanzler und der Ex-Außenminister hinterließen Lücken, von denen keine schnell geschlossen wurde. Merkels Stern ging erst 2005 nach sieben Jahren Opposition auf. SPD und Grüne ringen seit zehn Jahren vergeblich darum, an die Schlagkraft des Duos Schröder/Fischer anzuknüpfen. Ein ähnliches Schicksal könnte nun die Linken bei der Suche nach einem Nachfolger für Gysi ereilen.

"Die Linke wird nach Gysi stärker werden"

Die Parteispitze glaubt allen Unkenrufen zum Trotz an einen reibungslosen Übergang. Bernd Riexinger, der sich den Vorsitz mit Katja Kipping teilt, will erst gar keine Zweifel aufkommen lassen: "Auch nach Gysi wird die Linke nicht wegzudenken sein und stärker werden." Wenn er sich da mal nicht täuscht. Auf den Alleinunterhalter Gysi wird im Oktober eine Doppelspitze folgen, die idealerweise das ganze politische Spektrum der Fraktion repräsentieren soll. Deshalb wird es eine Mann/Frau-Lösung geben, in der sich der linke Flügel und die Reformer wiederfinden sollen. Riexinger hofft, schon Anfang nächster Woche einen Vorschlag des Parteivorstands präsentieren zu können. "Wir wollen keine langen Personaldebatten."

Überlegt sich noch, ob sie für den Fraktionsvorsitz kandidieren soll: Sahra Wagenknecht
Überlegt sich noch, ob sie für den Fraktionsvorsitz kandidieren soll: Sahra WagenknechtBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Als Favoriten für das Gysi-Erbe gelten die Partei-Linke Sahra Wagenknecht und der Reformer Dietmar Bartsch. Inhaltlich liegen Welten zwischen den beiden. Wagenknecht, frühere Wortführerin der Kommunistischen Plattform innerhalb der Linken, wetterte in Bielefeld massiv gegen eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene. Bartsch, ehemaliger Bundesgeschäftsführer und erfahrener Wahlkampf-Stratege, ist für ein rot-rot-grünes Bündnis offen. Das potenzielle Führungsduo der Bundestagsfraktion verkörpert also zwei Pole, die denkbar weit voneinander entfernt sind. Trotzdem behauptet Parteichef Riexinger: "Die Bedeutung der Flügel ist in den letzten Jahren zurückgegangen." Er sollte aber nicht ausschließen, dass sich die Entwicklung nach dem angekündigten Rückzug Gysis schnell wieder umkehren könnte.

Linkes Dreier-Bündnis? SPD skeptischer als Grüne

SPD und Grüne bewerten die Wahrscheinlichkeit eines Dreier-Bündnisses unter Einschluss der Linken unterschiedlich. "Gysi stand für den Regierungswillen seiner Partei", sagte SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi am Montag in Berlin. Mit seinem Rückzug sehe sie "die Wahrscheinlichkeit guter Gespräche und einer inhaltlichen Annäherung eher schwinden". Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter hofft hingegen, die Linke könnte sich stärker für ein rot-rot-grünes Bündnis öffnen. Sie fände es gut, wenn die Linke den personellen Wechsel als Chance nutzt, "deutlich zu machen, dass sie in der Republik was verändern will". Das Mitregieren wäre da sicher ein "guter Weg", sagte Peter dem TV-Sender "n-tv".

Zwei Parteichefs und ein scheidender Fraktionsvorsitzender: Bernd Riexinger, Katja Kipping, Gregor Gysi (v.l.n.r.)
Zwei Parteichefs und ein scheidender Fraktionsvorsitzender: Bernd Riexinger, Katja Kipping, Gregor Gysi (v.l.n.r.)Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Linken-Chef Riexinger reagiert inzwischen leicht gereizt auf die Ratschläge der anderen Parteien. "Es wäre schlauer von allen Beteiligten, den Ball nicht immer hin- und herzuschieben." Soll heißen, auch SPD und Grüne sollen inhaltliche Zugeständnisse machen. Bislang dreht sich die Diskussion vor allem um die Unvereinbarkeit der Positionen in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die NATO ist in den Augen der meisten Linken mehr Kriegstreiber als Friedensstifter. Und die SPD wird wegen der unter Kanzler Schröder eingeleiteten Arbeitsmarktreformen für die sich weiter öffnende Schere zwischen Armen und Reichen verantwortlich gemacht.

Mit oder ohne Gysi: Es gibt keine Wechselstimmung

Die Perspektiven für Rot-Rot-Grün sind also unabhängig vom Spitzenpersonal der Linken alles andere als rosig. Gysi konnte daran in zehn Jahren an der Fraktionsspitze nichts ändern. Dass seine Nachfolger Fortschritte erzielen, hofft er dennoch. In seiner Abschiedsrede auf dem Bielefelder Parteitag warb Gysi für mehr Kompromissbereitschaft der Linken bei allen politischen Fragen. Parteichef Riexinger erwartet das Gleiche von Sozialdemokraten und Grünen. Anzeichen dafür kann er jedoch keine erkennen.

Als altbekannte Beispiele dienen ihm die von der SPD befürworteten Auslandseinsätze der Bundeswehr und die seines Erachtens zu wirtschaftsfreundliche Haltung der Grünen. Abgesehen von den anscheinend unüberbrückbaren inhaltlichen Gegensätzen gibt es aber noch einen anderen Grund, der gegen Rot-Rot-Grün spricht: Es gibt keine Wechselstimmung in der Bevölkerung. Das sieht auch Linken-Chef Riexinger so. Und wenn er das sagt, klingt er fast ein wenig erleichtert. Die Linke, so scheint es, stellt sich schon mal darauf ein, auch nach der Bundestagswahl 2017 in der Opposition zu verharren.