1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Avifavir, Corona-Mittel made in Moskau

Roman Goncharenko | (Adapt.:Markian Ostaptschuk)
5. August 2020

Das russische Corona-Medikament Avifavir, das auf einem japanischen Influenza-Mittel basiert, wird bereits in 15 Ländern vertrieben. Auch Deutschland hat einen Vorrat angelegt. Wie effektiv ist der Wirkstoff?

https://p.dw.com/p/3gP86
Favipiravir
Russischen Behörden zufolge wird russische Medikament Favipiravir (Avifavir) gegen COVID-19 in 15 Länder geliefertBild: picture-alliance/dpa/Kimimasa Mayama

"Wir haben gute Erfolge erzielt: Dieses Medikament wird bereits in über 15 Länder geliefert", sagte jüngst Kirill Dmitrijew, Leiter des Russischen Fonds für Direktinvestitionen (RDIF), im russischen Fernsehen. Es gebe faktisch nur zwei antivirale Präparate, die in eine bestimmte Anzahl von Ländern geliefert würden: das amerikanische Remdesivir und das russische Avifavir.

"90 Prozent von Remdesivir haben die USA aufgekauft. Daher wundern wir uns nicht, dass 15 Länder unser Medikament kaufen", so Dmitrijew. Unter anderem seien es sieben Länder in Lateinamerika und Südafrika.

Die russischen Behörden hatten Ende Mai ein Medikament mit der Bezeichnung Favipiravir zugelassen. Es wurde vom RDIF zusammen mit der Firma Khimrar aus der russischen Stadt Chimki entwickelt. Die Rezeptur basiert auf dem japanischen gleichnamigen Influenza-Mittel Favipiravir, das unter der Handelsmarke Avigan bekannt ist.

In Russland wurde das japanische Medikament "leicht modifiziert", wie Dmitrijew bei einem Treffen mit Präsident Wladimir Putin erklärte. Und im Juni erhielten erstmals russische Kliniken das in Russland hergestellte Präparat gegen COVID-19 unter dem Handelsnamen Avifavir. In Medien wird es als "das russische Heilmittel gegen das Coronavirus" bezeichnet.

Rezeptur aus Japan

Favipiravir (Avigan) wurde 2014 in Japan als Mittel gegen Influenza zugelassen, allerdings mit Einschränkungen. Erlaubt ist die Anwendung gegen neue Influenzaviren, aber auch in Fällen, wo andere Medikamente nicht mehr wirken, also als letztes Mittel.

Westlichen Medienberichten zufolge war das Zulassungsverfahren schwierig und dauerte drei Jahre - wegen Missbildungen bei Neugeborenen als Nebenwirkung. Daher dürfen schwangere und stillende Frauen das Mittel nicht einnehmen. 

Russland Moskau | Desinfizierung einer Bahnstation
Desinfektionsmaßnahmen in Moskau im Frühjahr 2020Bild: picture-alliance/dpa/TASS/A. Novoderezhkin

Favipiravir blockiert die Vermehrung einer Reihe von Viren. Unter anderem wurde es gegen das Ebolavirus in Afrika eingesetzt. Mediziner bezeichnen es auch als japanische Version von Remdesivir, einem in den USA registrierten Anti-Ebola-Medikament, das auch bei der Behandlung von COVID-19 als vielversprechend gilt.

Vor dem Coronavirus war Avigan in Japan für andere Influenza-Mitteln keine Konkurrenz. Das Medikament gab es nicht im freien Verkauf, sondern wurde nur im Auftrag der Regierung als Reservemittel für den Fall einer Pandemie hergestellt. Seit Februar 2020 wird es in japanischen Kliniken zur Behandlung von Coronavirus-Patienten eingesetzt. Japanischen Medien zufolge wirkt das Medikament gut bei einem milden Corona-Verlauf. In schweren Fällen soll es hingegen kaum wirken.

Deutschland kauft auf Vorrat

Japan ist bei weitem nicht das einzige Land, in dem Avigan gegen Corona eingesetzt wird. Ungefähr 40 Länder, einschließlich Deutschland, nutzen es seit April in klinischen Studien, zusammen mit Dutzenden anderer vielversprechender Medikamente gegen COVID-19.

Das Bundesgesundheitsministerium teilte auf Anfrage der DW mit, dass rund 260.000 Avigan-Tabletten zur Behandlung schwerer Verläufe von COVID-19 für den Fall einer neuen Corona-Welle eingekauft und an ausgewählte Kliniken verteilt worden seien.

Favipiravir wird auch in China hergestellt und in klinischen Studien gegen das Coronavirus angewendet. Der deutsche Virologe Christian Drosten von der Berliner Klinik Charite wies darauf hin, dass Patienten dort "eine enorme Konzentration der Substanz" gegeben worden sei. Zugleich warnte er vor Nebenwirkungen, die auf ein akutes Problem der Nieren hindeuten würden. Eine langfristige Anwendung ist daher fraglich.

Vorsichtig optimistisch

Favipiravir sei gegen COVID-19 vielversprechend und vergleichbar mit Remdesivir, meint Helmut Hahn, Vorsitzender des deutsch-russischen Koch-Metschnikow-Forums. "Es ist gut, dass es das Mittel gibt, aber es gibt keinen formalen Beweis für seine Wirksamkeit nach unseren Kriterien", betonte er.

Coronavirus | Deutschland | Krankenhaus Havelhöhe Berlin
Behandlung von COVID-19-Patienten in BerlinBild: Reuters/F. Bensch

Laut Hahn kann in Deutschland ein Medikament mit einem solchen Wirkstoff noch nicht vollständig eingesetzt werden, da noch keine umfangreichen Forschungsdaten vorliegen. "Wenn Russland dieses Mittel bereits heute zur Behandlung einer großen Anzahl von Patienten verwendet, ist dies verständlich", sagte Hahn.

Er führt dies auf das größere Ausmaß des Corona-Problems in Russland und die daher notwendigen Maßnahmen zurück. Außerdem seien in Russland insgesamt die "Kontrollen und Vorschriften nicht so streng" wie in Deutschland. Dies gelte sowohl für klinische Studien als auch für die Zulassung von Arzneimitteln. "Das bedeutet jedoch nicht, dass eines besser ist als das andere", so Hahn.

Gerd Glaeske von der Universität Bremen hält Favipiravir für "eine mit Remdesivir vergleichbare Option, die den Krankheitsverlauf zumindest mildern kann". Was die neue russische Modifikation angeht, rät Glaeske, auf den Beipackzettel zu achten.

In der Zulassung von Favipiravir (Avifavir) des russischen Gesundheitsministeriums wird von einem "Präparat mit direkter antiviraler Wirkung" gesprochen. Auf der Website des staatlichen Arzneimittel-Registers wird der allgemeine Begriff "antivirales Mittel" verwendet, das nur in Krankenhäusern angewendet werden dürfe. Es unterliege einer Registrierung und Dokumentation. Zudem müsse ein "Bericht über eine durchgeführte klinische Studie" im Rahmen der Behandlung von COVID-19 vorgelegt werden.

Russland: Corona und der Alkohol