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Meinung: EM unter keinem guten Stern

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Tobias Oelmaier
12. Juli 2021

Auch wenn sie sportlich viele Höhepunkte brachte, bleibt nach der Euro 2020 ein ungutes Gefühl - nicht nur wegen Corona. Die Verlierer sind die UEFA und Joachim Löw, kommentiert DW-Redakteur Tobias Oelmaier.

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EURO 2020 | Finale Italien - England
Bild: Christian Charisius/dpa/picture alliance

Die EURO 2020 ist mit einem dramatischen und spannenden Finale zwischen Italien und England zu Ende gegangen. Doch dass dieses Turnier trotz der Jubelbilder am Ende kein unbeschwertes Sommermärchen würde, war schon seit Jahren klar gewesen. Lange, bevor die Corona-Pandemie die Menschheit in Angst und Schrecken versetzte. Allein die Idee eines paneuropäischen Fußballfestes traf bei den wenigsten auf Gegenliebe. Der damalige UEFA-Präsident Michel Platini wollte sich damit ein Denkmal setzen und ganz sicher auch Lobbyarbeit in eigener Sache betreiben.

Viele Gastgeber bedeuten auch viele Stimmen, wenn es um die Wiederwahl ginge. Dazu noch ein aufgeblähtes Teilnehmerfeld: 24 statt bisher 16 Nationen, fast jedes zweite Land in Europa durfte beim Finalturnier um den Titel kämpfen - ein Dankeschön vor allem an die kleinen Verbände, die ihn seinerzeit zum Vorsitzenden des Kontinentalverbandes gemacht hatten. Platini hat es nichts genützt. Der Franzose stolperte 2015 über eine Korruptionsaffäre. Und die EURO 2020 stand von Anfang an unter keinem guten Stern.

Keine Rücksicht auf die Pandemie

Dann kam Corona. Die Verschiebung um ein Jahr hinein in diesen Sommer war schnell beschlossen, als die Pandemie im vergangenen Frühjahr immer schlimmer tobte. Sie galt als alternativlos. Als ebenso alternativlos galt aber bald: In diesem Jahr muss das Turnier steigen, koste es, was es wolle. Inklusive Zuschauer-Mindestanforderungen der UEFA an die Ausrichter-Städte. Bilbao und Dublin konnten oder wollten sie nicht erfüllen mit Blick auf die Infektionszahlen. Der Rest der ursprünglichen zwölf Gastgeber ließ sich mehr oder weniger bereitwillig auf die unmoralische Klausel ein. Wieder geriet der Verband in die Kritik. Dazu das Festhalten an der paneuropäischen Idee, verbunden mit all den Reisen.

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DW-Redakteur Tobias Oelmaier

Die Entscheidung, das Spiel zwischen Dänemark und Finnland trotz des Herzstillstandes von Christian Eriksen fortzusetzen, bleibt ebenso hängen wie der Umgang mit den Regenbogen-Flaggen beziehungsweise einer entsprechenden Beleuchtung des Münchener Stadions in den Farben der Toleranz und gegen Diskriminierung. Die UEFA ließ jegliches Gespür für die Situation vermissen. Platinis Nachfolger Aleksander Ceferin tauchte bis kurz vor Schluss der EM völlig ab, statt zu moderieren, statt zu erklären.

Verlierer der EM: Löw und die UEFA

Die Europäische Fußballunion ist der große Verlierer dieser EM. Neben der deutschen Mannschaft von nun Ex-Bundestrainer Joachim Löw. Mit seinem Angsthasenfußball war kein Blumentopf zu gewinnen. Ballgeschiebe in der unsicheren Abwehr-Fünferkette, "Querpass-Toni" Kroos im Mittelfeld, ein völlig verunsicherter Leroy Sané und ein fataler Fehlschuss von Rückkehrer Thomas Müller - dass Löws Zeit abgelaufen ist, die EM hat es eindrücklich unterstrichen.

Was positiv stimmt ist die Qualität der Leistungen vieler Mannschaften auf dem Platz. Befürchtungen, das große Teilnehmerfeld würde zu einem argen Leistungsgefälle führen, bewahrheiteten sich nicht. Vermeintlich kleine Nationen wie Finnland, Wales, die Schweiz, die Ukraine, Ungarn oder Österreich lehrten die Etablierten das Fürchten. Spannende Partien waren eher die Regel denn die Ausnahme. Acht Verlängerungen, vier Elfmeterschießen brachten die Playoff-Begegnungen.

Mit Mut zum Titel

Und - DFB-Spitze aufgepasst! - Mut wurde belohnt. Europameister Italien beeindruckte mit Offensivgeist und Kreativität, Nationaltrainer Robert Mancini brachte seine Squadra Azzurra, die 2018 noch die WM in Russland verpasst hatte, zurück in die Spitze. Und sein Halbfinal-Kontrahent Luis Enrique wagte es, keinen einzigen Profi von Real Madrid zu nominieren. Eigentlich ein "No Go" in Spanien. Nach dem Abschneiden seines Teams nun bei der EM muss er sich dafür nicht mehr zu rechtfertigen.

War es nun eine gute EURO 2020 oder einer schlechte? Diese Frage lässt sich nicht beantworten. Sie war ein Hoffnungsschimmer, ein Schritt zurück zur Normalität, noch während niemand weiß, wie gewaltig eine mögliche vierte Pandemie-Welle über Europa rollen wird und wie groß der Anteil der EM daran sein wird. Das Turnier hat Abwechslung gebracht in die Ödnis des Alltags mit seinen immer noch vielen Einschränkungen.

Bleibt nur zu hoffen, dass die Spiele mit bis zu 60.000 Fans in den Stadien von Budapest und London sich nicht im Nachhinein als Infektionstreiber herausstellen, so wie es bei der Champions-League-Begegnung zwischen Bergamo und Valencia im Februar 2020 der Fall war. Das wäre es sicher nicht wert gewesen.