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Politik

Kaczynski überspannt den Bogen

Magdalena Gwozdz-Pallokat
Magdalena Gwozdz-Pallokat
12. August 2021

Der Angriff auf die Unabhängigkeit des Privatsenders TVN ist zwar nur ein Schritt von vielen auf dem Weg zu immer weniger Demokratie in Polen. Aber dieser Schritt ist zu groß, meint Magdalena Gwozdz-Pallokat.

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Demonstranten haben Kerzen aufgestellt und das Logo für den Kampf um die Freiheit von TVN auf den Boden gelegt, über das ein Polizeibeamter läuft
Das Logo von TVN, dessen V in ein Victory-Zeichen verwandelt wurde, ist das Symbol für den Kampf um die Unabhängigkeit des SendersBild: STR/NurPhoto/imago images

Seit Monaten höre ich von den Regierenden, wie viel Freiheit es doch in meinem Land gebe, wie pluralistisch und unabhängig die Presse sei und dass die umstrittene Justizreform doch nichts anderes bewirken solle als das, was es in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Deutschland, längst gebe. Wer also den staatlichen Medien folgt, die inzwischen zum Sprachrohr der Regierung geworden sind, kann sich ruhig zurücklehnen und durchatmen: Alles ist im grünen Bereich, es geht voran im Land.

Und wir? Die ausländischen Medien? Wir kennen uns überhaupt nicht aus und sind bösen Willens. Ganz vorneweg: die Deutschen.

Fragen, die viel verraten

Wie oft wurde ich in jüngster Zeit von meinen früheren Kollegen gefragt (ich habe einige Jahre beim öffentlich-rechtlichen Sender TVP gearbeitet), wie ich denn für deutsche Medien arbeiten könne? Und ob mir Angela Merkel vorgebe, was ich berichten darf. Dabei habe ich mit der Kanzlerin leider noch nie in meinem Leben gesprochen. "Deutsch", das ist für viele Polen gleichbedeutend mit "furchtbar". Aber eigentlich verraten die Fragen der Ex-Kollegen mehr über ihre eigene Arbeitsethik, als über jene, der ich versuche treu zu bleiben.

Magdalena Gwozdz-Pallokat
Magdalena Gwozdz-Pallokat ist DW-Korrespondentin in WarschauBild: Mariusz Smolewski

Als vor vier Jahren Donald Trump Warschau besuchte, wurde ich verbal massiv und beinahe auch körperlich angegriffen, als ich mit einem DW-Mikrofon in der Hand berichtete. Wir würden doch nur lügen. Und damit sind wir bei den Amerikanern: Dem US-Konzern Dicovery gehört nämlich der größte Privatsender in Polen - TVN. Noch.

Die Zuschauer des zum Sender gehörigen Infokanals TVN24 schauen nicht so optimistisch in die Zukunft wie die Anhänger des unter staatlichem Einfluss stehenden TVP. Zum einen, weil hier über die Regierung nicht nur durch eine rosa Brille berichtet wird. Zum anderen aber auch, weil es den Sender in dieser Form und mit diesem Eigentümer wohl schon bald nicht mehr geben wird.

Kalkulierte Koalitionskrise

Vor anderthalb Jahren beantragte TVN die Verlängerung der Sendelizenz. Doch die Genehmigung blieb aus und die alte läuft nächsten Monat ab. Und mit dem nun verabschiedeten Gesetz verliert Discovery als amerikanischer Eigentümer ganz grundsätzlich das Recht, in Polen einen Fernsehsender zu betreiben. Der Senat als zweite Parlamentskammer kann die Entscheidung zwar noch ablehnen, aber er hat nicht das letzte Wort.

PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski wusste genau, was er tat, als er am Vorabend der Abstimmung im Sejm die Entlassung eines Regierungsmitglieds zuließ, welches das Gesetz nicht mittragen wollte. Und: Kaczynski muss auch klar gewesen sein, dass er bei der Abstimmung über das neue Mediengesetz die Abgeordnetenstimmen der Koalitionspartei Porozumienie (Verständigung) gar nicht braucht, dass er es auch ohne sie schaffen würde. Entweder hat er andere überzeugt oder womöglich sogar "gekauft". Politik wie auf dem Marktplatz. Nur, dass es hier nicht um Äpfel oder Birnen geht, sondern um ein Grundrecht: den Zugang zu Informationen.

Im heutigen Polen gehören relativ viele Medien ausländischen Firmen - ein aus Perspektive Jaroslaw Kaczynskis inakzeptabler Zustand. Der Chef der Regierungspartei PiS verlangt, polnische Medien müssten "polnisch" sein. Den Verkauf einer deutsch geführten Regionalzeitungsgruppe im vergangenen Dezember an den staatlichen kontrollierten Ölkonzern PLN Orlen, dem ein Kaczynski-Vertrauter vorsteht, nannte er "die beste Nachricht seit langem".

Angriff auf die Beziehungen zu den USA

Dass es in Polen nach diesem Sejm-Entscheid noch bergauf gehen kann für Kaczynskis PiS-Partei, ist nur schwer vorstellbar. Denn ein so direkter Angriff auf ein konkretes Medium und damit auf die Pressefreiheit, zugleich aber auch auf die wirtschaftlichen und politisch engen Beziehungen zu den USA ist ein Schritt zu viel. Der Bogen ist längst überspannt und irgendwann bricht er. Vielleicht jetzt: Die Niederlage um eine Sitzungsvertagung, welche die PiS mit dem gewagten Manöver einer zweiten Abstimmung im Parlament doch noch in einen zweifelhaften Sieg verwandelte, zeigt die Grenzen, an die das System Kaczynski inzwischen stößt.

Demokratien können schnell sterben durch einen Putsch. Oder eben langsam - wenn, wie in Polen Schritt für Schritt ihre Grundlagen und Kontrollinstanzen lächerlich gemacht, untergraben und ausgeschaltet werden. Wenn es aber keine freien Medien mehr gibt, ist auch die Demokratie am Ende. Dann gibt es keine freie Wahl mehr, nicht einmal mehr die, welchen Knopf man auf seiner Fernbedienung drückt.

Magdalena Gwozdz-Pallokat
Magdalena Gwozdz-Pallokat Korrespondentin DW Polski, HA Programs for Europe, Warschau, Polen