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Politik

Naiver Optimismus gefährdet Protestbewegung

2. April 2021

Die Gewalt vom vergangenen Wochenende zeigt, dass sich der Konflikt in Myanmar endgültig in einer Sackgasse befindet. Es braucht eine Debatte über eine neue Strategie, meint Rodion Ebbighausen.

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Demonstrierende mit Pfeil und Bogen in Rangun
Bild: AP Photo/picture alliance

Zwei Narrative dominieren die sozialen Medien in Myanmar. Das erste handelt von der Brutalität und absoluten moralischen Verwerflichkeit des Militärs. Das andere von der Opferbereitschaft und dem entschlossenen Kampf für Demokratie und Gerechtigkeit der Protestierenden. Verbunden sind diese Narrative mit der Gewissheit, dass das Gute über das Böse triumphieren wird.

Niemand bezweifelt den Mut und die guten Absichten der Demonstranten, aber die Protestbewegung wird scheitern, wenn sie weiterhin naiven Optimismus statt knallharten Realismus pflegt.

Keine diplomatische Unterstützung

Der Protestbewegung muss klar sein, dass niemand kommen wird, um sie gegen das Militär zu unterstützen. Die UN, die USA und Europa werden die Ereignisse in Myanmar verbal verurteilen, einige gezielte Sanktionen gegen Militärs erlassen, aber nicht direkt in den Konflikt eingreifen. Auch der Aufruf von 45 ehemaligen (!) Staats- und Regierungschefs an die UN endlich einzugreifen, wird daran nichts ändern.

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DW-Redakteur Rodion Ebbighausen, Bild: DW

Im UN-Sicherheitsrat werden China und Russland alles blockieren, was dem sogenannten Westen robusten Einfluss in Myanmar gewähren könnte. Damit sind auf internationaler Ebene keine Hebel vorhanden, um die Generäle in Naypyidaw ernsthaft unter Druck zu setzen.

Auch die stille Diplomatie des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN) wird wenig bewirken, da die ASEAN nicht geschlossen auftritt. Thailand, dessen aktuelle Regierung sich 2014 an die Macht geputscht hat, das autoritäre Laos und Vietnam nahmen am Wochenende an den Feierlichkeiten zum "Tag der Streitkräfte" in Myanmars Hauptstadt teil, während die Sicherheitskräfte mehr als 100 Demonstranten getötet haben. Aus der ASEAN ist also keine diplomatische Rückendeckung zu erwarten.

Traum einer föderalen Armee

Einige Anhänger der Protestbewegung und das Gegenparlament CRPH träumen von einer föderalen Armee. Die diversen bewaffneten ethnischen Gruppen sollen sich nach jahrzehntelangen Kämpfen gegen die Zentralregierung mit der Protestbewegung zusammenschließen und gemeinsam gegen das Militär kämpfen. Den Versuch gab es in den frühen 1990er-Jahren schon einmal, und er ist gescheitert.

Gegen eine föderale Armee spricht, dass die Interessen der bewaffneten Gruppen sehr unterschiedlich sind. Außerdem hat China bei einflussreichen Rebellenarmeen wie der "United Wa State Army" ein entscheidendes Wörtchen mitzureden. Im Übrigen ist der Feind meines Feindes zwar manchmal mein Freund, aber eben nur so lange, wie der gemeinsame Feind existiert.

Zudem ist es eine Fehleinschätzung, zu glauben, dass eine föderale Armee eine ernsthafte militärische Herausforderung für die Armee Myanmars darstellen würde. Selbst alle Rebellenarmeen und eine unerfahrene Protestarmee zusammengenommen können es mit der kampferprobten und gut ausgerüsteten "Tatmadaw", so der Name der Armee in Myanmar, nicht aufnehmen. 

Auch wenn es sich für viele Menschen im Land so anfühlt, als befänden sie sich in einem Bürgerkrieg, ist auch wahr, dass das Militär noch keine schweren Waffen gegen die Bevölkerung eingesetzt hat. In Yangon und Mandalay schießen noch keine Panzer oder Kampfhubschrauber auf Demonstranten. So erschreckend das ist, aber die Schraube militärischer Gewalt kennt noch viele weitere Eskalationsstufen, wie etwa der Bürgerkrieg in Syrien seit zehn Jahren beweist. Der Traum von einer föderalen Armee könnte sich so in einen endlosen Albtraum verwandeln.

Direkte Konfrontation bedeutet Niederlage

Eine direkte Konfrontation mit dem Militär können die Demonstranten nicht gewinnen. Es fehlen internationale Unterstützung, Geld, Erfahrung und belastbare Einigkeit zwischen den Ethnien und der Protestbewegung.

Statt weitere Leben in aussichtslosen Straßenschlachten zu riskieren, muss eine Debatte darüber geführt werden, was langfristig und in unzähligen kleinen Schritten erreicht werden kann. Statt optimistischer Träume von einem schnellen Sieg braucht es eine harte realpolitische Kalkulation für eine langfristige Perspektive.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia