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Olaf Scholz: Der getriebene Kanzler

5. Juni 2022

Er lässt sich nicht unter Druck setzen und tut nur, was er für richtig hält - so sieht Olaf Scholz sich selbst. Die Realität sieht anders aus. Da ist wenig Aktion und viel Reaktion, meint Sabine Kinkartz.

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Generaldebatte der Haushaltswoche im Bundestag
Bild: Markus Schreiber/AP Photo/picture alliance

Am Ende empfing Olaf Scholz den ukrainischen Parlamentspräsidenten dann doch noch: Am frühen Freitagmorgen kam Ruslan Stefantschuk ins Bundeskanzleramt. Für die Presse wurde kurzfristig ein Bildtermin anberaumt, ein paar Fotos sollten schon sein. Mehr aber auch nicht. Der Termin war ohnehin unglücklich genug zustande gekommen.

Noch am Mittwoch hatte Unionsfraktions- und CDU-Chef Friedrich Merz den Kanzler im Bundestag mit der Frage konfrontiert, warum er eigentlich keine Zeit für den zweithöchsten Repräsentanten der Ukraine habe. "Sie verweigern ihm bis zu dieser Minute einen Gesprächstermin", stellte der Oppositionsführer fest. "Was ist da los in ihrer Regierung?"

Nur keine weiteren Fehler

Dass Merz mit einer solchen Frage provozieren kann, zeigt, wie groß der Druck auf Scholz und seinen Stab inzwischen ist. Denn protokollarisch war dem Kanzleramt überhaupt nichts vorzuwerfen. Für Stefantschuk waren Gespräche mit dem Bundespräsidenten und der Bundestagspräsidentin vereinbart. Das sind die beiden ranghöchsten deutschen Repräsentanten. 

Bundeskanzler Olaf Scholz mit Ruslan Stefantschuk, Präsident des ukrainischen Parlaments, vor dem Bundeskanzleramt
Olaf Scholz versucht den Weg vorzugeben - der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk folgt nicht direktBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Doch die deutsche Ukraine-Politik ist inzwischen ein im bildlichen Sinn vermintes Feld. Vorsicht ist geboten, weitere Angriffsfläche soll vermieden werden. Zu viel ist in den vergangenen Wochen schief gelaufen. Der Kanzler wirkt getrieben, ein Regierungschef, der weit hinter seinen vollmundigen Ankündigungen von einer "Zeitenwende" zurückgeblieben ist.

Eine Ankündigung ohne Folgen

Nach dem viel beachteten Paukenschlag, mit dem Scholz nur wenige Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gewaltige militärische und finanzielle Projekte verkündet hatte, kam - so gut wie nichts. Jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung. Scholz, der Zögerliche, der Zaudernde, der vor einem Atomkrieg warnt und Putin nicht zu sehr reizen will. Deutschland geriet auch international in den Ruf, bei der Unterstützung der Ukraine auf der Bremse zu stehen.

Daran kann auch der jüngste Auftritt des Kanzlers im Bundestag substanziell nur wenig ändern. Auf den ersten Blick überraschte er mit ungewohnter Lebhaftigkeit, ja Emotionalität. Der sonst so beherrscht, ja kühl und unbeeindruckt wirkende Olaf Scholz schien in Rage. Da hatte sich etwas aufgestaut, das heraus musste.

DW-Redakteurin Sabine Kinkartz
DW-Redakteurin Sabine KinkartzBild: DW/S. Eichberg

Bissig parierte er die Vorwürfe des Oppositionsführers. Listete dezidiert auf, welche Waffen Deutschland in welcher Zahl in die Ukraine liefern wird. Verkündete schließlich, nun auch modernste Waffensysteme bereit stellen zu lassen. Darunter Mehrfachraketenwerfer und ein Flugabwehrsystem, auf das weltweit viele Länder begierig schauen.

Lieferung nicht heute und nicht morgen

Was der Kanzler nicht sagte: Bei den Luftabwehrraketen vom Typ IRIS-T, die jetzt für die Ukraine bestimmt sein sollen, handelt es sich um eine Lieferung, die die deutsche Waffenschmiede Diehl eigentlich nach Ägypten verkauft hat. Den Vertrag hatte noch die alte Regierung von Angela Merkel genehmigt, die neue Bundesregierung beurteilt das Regime in Kairo weitaus kritischer und will die Waffenexportkontrolle deutlich verschärfen. Nun muss Ägypten Verzicht üben und die Lieferung der Flugabwehr wird in die Ukraine umgeleitet.

Nicht überraschend war, dass die Information von der grünen Außenministerin kam. Annalena Baerbock sagte auch, dass die Raketen nicht gleich morgen geliefert werden können, sondern dass es noch Monate dauern wird.

Im Schatten grüner Lichtgestalten

Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck machen seit Wochen vor, wie politische Kommunikation heute geht. Die grünen Spitzenpolitiker machen Politik nachvollziehbar, legen Konflikte offen, nennen Hürden beim Namen.

Annalena Baerbock spricht im Bundestag
Klare Kommunikation: Annalena Baerbock und ihr Kollege Robert Habeck schaffen das, was dem Kanzler nicht gelingtBild: Christian Spicker/IMAGO

Neben dem Politiker ist da immer auch der Mensch, der zweifelt, der in einem Dilemma steckt, der sich zwischen schlechten Alternativen entscheiden muss, weil es eben keine andere Wahl gibt. Der auch nicht sicher wissen kann, ob der eingeschlagene Weg wirklich der richtige ist. Baerbock und Habeck bieten so etwas wie einen permanenten Blick hinter die politischen Kulissen. Einen geschickt gelenkten Blick natürlich, aber er wirkt auch deswegen authentisch, weil der Kanzler das Gegenteil macht.

Rückzug in die Wagenburg

Nur Ergebnisse werden mitgeteilt, keine Zwischenstände kommuniziert - das ist die Methode Scholz. In den vergangenen Wochen hat das dazu geführt, dass das Kanzleramt wie eine Wagenburg wirkte, in die sich der sozialdemokratische Regierungschef zurückgezogen hatte, um - ja was zu tun? Was er dort plante, sortierte, abwägte und wie er seine angekündigte Zeitenwende umsetzen wollte, das behielt er für sich.

Stattdessen provozierte Scholz mit patzigen Seitenhieben auf Politiker auch der eigenen Koalition, die ihm Untätigkeit vorwarfen und qualifizierte sie mit dem arroganten Hinweis ab: "Manchen von diesen Jungs und Mädels muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was ihr wollt, deshalb führe ich."

Infografik - DeutschlandTrend 06/2022 - DE

Widerstand in der SPD

Der Führung stand und steht allerdings auch die eigene Partei im Weg. Scholz hatte die SPD mit seiner Zeitenwende zwar überrumpelt, doch die Schockstarre währte nicht lange. In der SPD-Bundestagsfraktion ist der Wunsch nach mehr Diplomatie und Entspannung und weniger Waffen tief verwurzelt. Die Meinung, wonach es ohne Russland keinen Frieden in Europa geben kann, hält sich in den Köpfen. Im Moment sind die Pazifisten angesichts der grausamen Bilder aus den Kriegsgebieten zwar still geworden. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder lauter werden.

Daher darf man sich nichts vormachen. Es ist keine Kehrtwende, keine Zeitenwende 2.0, die Olaf Scholz mit seinem Auftritt im Bundestag eingeläutet hat. Er wird auch weiterhin eher abwägend und vorsichtig agieren als offensiv. 

Der Kanzler auf dem Weg nach Kiew?

Ein nächster Schritt könnte aber sein, dass Olaf Scholz endlich in die Ukraine fährt. Solange er militärisch wenig anzubieten hatte, wollte er das nicht. Mit der Aussicht auf moderne Flugabwehrraketen im Gepäck dürfte er in Kiew höchst willkommen sein.

Der ukrainische Parlamentspräsident hat den Kanzler bereits eingeladen, vor der Rada, also dem Parlament zu sprechen. Das habe man "freundlich zur Kenntnis" genommen, sagte ein Regierungssprecher in Berlin und fügte hinzu, über die Reisepläne des Kanzlers werde die Öffentlichkeit informiert, wenn diese feststünden. Es bleibt dabei: Nur Ergebnisse werden kommuniziert. Doch diesmal kann man zwischen den Zeilen herauslesen, dass die Reise wohl nicht mehr lange auf sich warten lässt.

Schlagabtausch zur Ukraine-Politik