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Wer baut, will bleiben

2. September 2021

Mit dem Neubau der Jüdischen Akademie in Frankfurt (Main) setzt der Zentralrat der Juden ein Zeichen für das ganze Land. Im Gegenzug ist nun aber auch die deutsche Gesellschaft gefordert, meint Christoph Strack.

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Glänzendes Blatt eines Spaten mit Gravur "Spatenstich 2. September 2021" und Skizze des zu errichtenden Neubaus der Jüdischen Akademie in Frankfurt
Erster Spatenstich zum Baubeginn der Jüdischen Akademie in Frankfurt am MainBild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Wer baut, der bleibt - ein Satz, der gerne fällt, wenn es um Neubauten jüdischer Einrichtungen in Deutschland geht. Wer baut, der ist angekommen, der setzt auf Beständigkeit. Deshalb - so scheint es - manifestiert sich derzeit in geradezu glückhafter Weise die Präsenz und Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland, im Land der Shoah.

Einige Beispiele: Vor gut zwei Wochen feierte an der Universität Potsdam das Abraham Geiger Kolleg, Ausbildungsstätte für liberale Rabbinerinnen und Rabbiner über Deutschland hinaus, mit Bundespräsident Steinmeier die Eröffnung eines "Europäischen Zentrums jüdischer Gelehrsamkeit". Seit den letzten August-Tagen erstrahlt im Herzen Berlins das "Kleine Jerusalem" in neuem Glanz: Synagoge und Gemeindehaus von Adass Jisroel, einer orthodoxen Gemeinde. Über Jahre war das Gebäude eingerüstet, viele Jahrzehnte hatte es keine Farbe gesehen. Und nun ist es wieder ein Kleinod im touristischen Berlin. Im nächsten Jahr wird im Westen Berlins das "Jüdische Bildungszentrum" der Chabad-Bewegung fertig werden, ein ansehnlicher Komplex. In Dessau in Sachsen-Anhalt wächst - um noch ein Beispiel zu nennen - derzeit eine Synagoge heran.

Vielfalt des jüdischen Lebens in Deutschland

In Frankfurt am Main lud nun der Zentralrat der Juden an prominenter Stelle zum Ersten Spatenstich für eine "Jüdische Akademie", eine Dialog- und Bildungseinrichtung, die bundesweit ausstrahlen soll. Frankfurt, diese "jüdischste Stadt Deutschlands", wie es bei der Feier mehrmals hieß, in der einst der große Franz Rosenzweig das "Freie Jüdische Lehrhaus" leitete und bis heute klingende Namen versammelte.

Deutsche Welle Strack Christoph Portrait
DW-Redakteur Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Keines dieser Bauprojekte war in der Planung für das Festjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" terminiert. Die Akademie in Frankfurt hatte zum Beispiel einen Vorlauf von acht Jahren. Und es ist bemerkenswert, dass hier oder da nicht "das Judentum" als Monolith baut. Die genannten Projekte haben jeweils unterschiedliche, durchaus konkurrierende Bauträger. Sie stehen auf ihre Art für die Vielfalt der jüdischen Traditionen und des jüdischen Lebens in Deutschland.

Man mag darüber streiten, ob das Festjahr, das an die erste Erwähnung jüdischen Lebens im Jahr 321 erinnert und doch so viele Phasen jüdischen Leids vergegenwärtigt, tatsächlich von der Gesellschaft gefeiert oder doch nur von Repräsentanten beschworen wird. Aktivitäten gibt es trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie jedenfalls in kleinen Orten und großen Städten. Und bemerkenswert ist, wie eine neue Generation jüngerer Jüdinnen und Juden Gesicht zeigt.

Setzen auf Offenheit und Dialog

Das verdrängt nicht die Erinnerung an die Shoa - aber es zeigt, dass in einer Zeit, in der die Zeitzeugen mit ihren bewegenden, erschütternden Erinnerungen weniger werden, das Judentum in Deutschland lebt. Zu einem Glücksfall wurde "Freitagnacht Jews" von Daniel Donskoy - eine Late-Night-Show, die als Geheimtipp auf youtube startete und es dann ins so seriöse wie behäbige deutsche Fernsehen schaffte. Flotter Talk, viel Witz, auch Ernstes, Leben heute. Junge Juden diskutieren auf Bühnen, in Talkshows, in Podcasts.  

"Wer baut, der will bleiben." Einer der Redner bei der Frankfurter Feier zitierte das große Wort unter Verweis auf Salomon Korn leicht abgewandelt. Zu diesem Bleiben gehören - immer wieder wurde es betont - Bildung und Dialog. In Zeiten, in denen die evangelische und die katholische Kirche Schulen schließen, alteingesessenen Büchereien auf dem Land das Geld streichen oder den Aufwand für Bildungshäuser reduzieren.

Das Judentum setzt auf Offenheit und Dialog, auf das gemeinsame Ringen um den Zusammenhalt der Gesellschaft, auf das Gespräch der Religionen. "Wir möchten die Fenster aufstoßen für den Dialog mit Christen und Muslimen", sagte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. Und der orthodoxe Rabbiner Julian-Chaim Soussan zitierte vor seinem Segensspruch für den Spatenstich den prominenten, im vorigen Jahr verstorbenen Philosophen und früheren britischen Großrabbiner Jonathan Sacks: "Um ein Land zu verteidigen, braucht man eine Armee. Aber um die Freiheit zu verteidigen, braucht man Bildung. Die Zitadellen der Freiheit sind Studienhäuser." Deshalb Akademie. In Frankfurt wird sie gewiss ab 2024 ein Glanzlicht sein.

Können Juden bleiben?

Wer baut, der will bleiben. Aber können sie das? In der Kostenkalkulation für die Frankfurter Akademie sind selbstverständlich die Ausgaben für besondere Sicherheitsmaßnahmen inbegriffen. Das muss eben sein in Deutschland. Staatssekretär Markus Kerber als Vertreter des Bundesinnenministeriums, der von einem "offenen Haus für eine offene Gesellschaft" schwärmte, als auch der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier äußerten sich beschämt zum Antisemitismus, zum tagtäglichen Judenhass. Es müsse "die dauerhafte Aufgabe aller sein, dass die Juden in unserem Land wieder ohne Angst leben können". Es herrsche zu viel Gleichgültigkeit im Lande bei Dingen, die schief liefen.

Wenn dieses Land sich freut, dass Juden nach dem Menschheitsverbrechen der Shoa in Deutschland bauen und bleiben wollen, dann muss es mehr dafür tun. Das gilt gegen rechtsextremen Terror, für den Hanau 2019 nur das letzte schreckliche Beispiel ist, wie gegen den Hass bei Demonstrationen von arabischen Israel-Kritikern oder sogenannten Querdenkern. Wer nur eine dieser Bedrohungen herausgreift und anprangert, bleibt unehrlich. Nein, die deutsche Gesellschaft muss sich ändern, damit Juden bleiben und in Sicherheit leben können. Sonst wird dem ganzen Land etwas fehlen.