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Steinbach: "Koalition der Halbherzigkeit"

Christoph Hasselbach4. Mai 2016

In Stuttgart hat US-Verteidigungsminister Ashton Carter mit Amtskollegen der Anti-IS-Koalition über die künftige Strategie beraten. "Zu viele Köche verderben den Brei", sagt Nahostexperte Udo Steinbach im DW-Interview.

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Kampfflugzeuge in Formation (Foto: picture alliance/dpa/Ecpad Handout)
Bild: picture alliance/dpa/Ecpad Handout

Deutsche Welle: Herr Steinbach, welche bisherige Bilanz würden Sie über die Arbeit dieser Koalition aus über 60 Staaten ziehen?

Udo Steinbach: Unter dem Strich ist die Bilanz eher ernüchternd. Als es vor anderthalb Jahren begann, hatte man gehofft, man würde sich hinreichend koordinieren, man würde Schlagkraft entwickeln, um dann den "Islamischen Staat" zu vernichten. Einzelne Erfolge hat es gegeben: Die Kurden haben sich sehr kampferprobt gezeigt; Kobane vor einem Jahr war ein Erfolg, die Rückeroberung von Ramadi im Irak ebenfalls. Aber dabei ist es dann geblieben. Am Ende kann man sagen: Zu viele Köche verderben den Brei. Es gibt zu viele Partner, zu viele unterschiedliche Interessen, und immer nur eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.

In Syrien und im Irak gibt es durchaus militärische Erfolge. In Libyen dringt aber der IS weiter vor und hat dort angesichts der chaotischen Lage leichtes Spiel. Liegt in Libyen die größte Herausforderung?

Nein, die größte Herausforderung liegt in Syrien. Dort geht es um den Staat insgesamt. In Libyen ist man eigentlich schon einen Schritt weiter. Die Staatlichkeit von Libyen wird kaum infrage gestellt außer von den Leuten des "Islamischen Staates", die ihr eigenes Konzept haben. Der deutsche UN-Vermittler Martin Kobler bringt die Parteien zusammen. Natürlich existieren nach wie vor Freiräume, in die der "Islamische Staat" eindringen kann. Aber meine Vermutung ist, dass dort seine Tage gezählt sind und dass wir eher früher als später so etwas wie eine handlungsfähige Regierung haben werden. Das liegt in Syrien in weiter Ferne, und auch das Regime in Bagdad zeigt sich als nicht besonders stabil.

Kann man den IS überhaupt militärisch besiegen?

Man kann ihn nur militärisch besiegen. Sie können mit diesen Leuten nicht diskutieren. Die haben einen Islam, der absolut ausgrenzend ist - sowohl was die muslimische Bevölkerung in den von ihm beherrschten Ländern betrifft, als auch, was den Westen betrifft. Das heißt, eine militärische Lösung ist die einzige Lösung. Aber dann muss sie wirklich geschlossen kommen. Und da liegt das Problem. Jeder weiß, dass es zu einer militärischen Lösung kommen muss. Das wissen die Iraner, die Saudis, die Kurden, das weiß man im Westen. Aber es fehlt einfach der Wille, eine politische und militärische Koalition zu gründen, die stark genug wäre, diesen Spuk eines islamischen Gemeinwesens zu vernichten.

Udo Steinbach (Foto: DW)
Steinbach: Türkei und Russland müssten sich eindeutig positionieren.Bild: DW

Die deutsche Rolle hier ist verhältnismäßig bescheiden, zum Beispiel verglichen mit Frankreich. Ist sie ausreichend?

Ich vermute, dass die Deutschen ihren Anteil aufstocken werden. Aber bisher ist es gar nicht so schlecht gelaufen. Wir beteiligen uns an den Luftoperationen mit "Tornados" im Aufklärungsbereich. Und ich glaube, die Ausbildungsarbeit der deutschen Soldaten, insbesondere was die Kurden betrifft, hat einiges bewirkt. Auch die deutschen Waffenlieferungen haben eine gewisse Effizienzsteigerung gebracht. Aber, noch einmal, das alles ist nicht genug. Das ist halbherzig. Und vor allem mangelt es an Kooperation und Koordination.

Infografik IS Gebiete 31. März 2016 DEU

Die Koalition ist sehr breit: Sie umfasst westliche, aber auch islamische Staaten. Aber es fehlt zum Beispiel Russland. Gehört nicht Russland unbedingt dazu?

Russland gehört dazu, zumal Russland ja auch militärisch kämpft. Die Russen setzen sich im Kampf gegen den "Islamischen Staat" in Syrien ein, aber auch da wieder halbherzig. Zugleich bekämpfen sie die Opposition gegen Assad. Also, Russland muss ein Teil sein, aber es muss einen eindeutigen Standort beziehen. Das Gleiche gilt für ein anderes, ganz wichtiges Land, nämlich die Türkei. Bei der Türkei weiß man gar nicht, wo sie steht. Beteiligt sie sich am Kampf gegen den "Islamischen Staat"? Ist das kurdische Problem die Priorität? Auch hier haben wir eine Halbherzigkeit, die sich nach Lage der Dinge eigentlich keiner leisten kann, weil auch die Türkei, wie wir in den vergangenen Monaten gemerkt haben, vom "Islamischen Staat" bedroht ist.

Wie sollte die Strategie in Zukunft aussehen? Und welche Chance hat man, den IS so in die Schranken zu weisen, dass er keine Bedrohung mehr darstellt?

Ich glaube, dass das Problem der Koordinierung der militärischen und politischen Kräfte das Zentrale ist: zwischen Kurden, zwischen der irakischen Armee, die eine zentrale Rolle spielen muss, zwischen den Türken und auch den Iranern, die als eine einflussreiche schiitische Macht eine Rolle zu spielen haben. Der Westen, Europa, die Vereinigten Staaten, können keine militärisch ausschlaggebende Rolle spielen. Sie können militärisch unterstützen. Das Ausschlaggebende muss von den Regionalmächten kommen.

Udo Steinbach ist Nahostexperte und Professor für Islamwissenschaften. Er war früher langjähriger Leiter des Hamburger Orient-Instituts.

Das Gespräch führte Christoph Hasselbach.