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"Ein Etappensieg würde mein Leben verändern"

11. Juli 2019

Der Eritreer Natnael Berhane ist der einzige schwarze Fahrer der Tour de France 2019. Im DW-Interview spricht er über seinen steinigen Weg dorthin und darüber wie er helfen will, den Radsport in Afrika zu entwickeln.

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Frankreich Tour de France 2019 Natnael Berhane NEU
An der Mauer von Geraardsbergen: Natnael Berhane während seiner Attacke auf der 1. EtappeBild: Getty Images/AFP/J. Pachoud

Wir treffen Natnael Berhane in seinem Teamhotel, das etwas abseits des Tour de France-Trubels liegt. Sein Zeitplan ist eigentlich ziemlich eng getaktet, doch zwischen Massage und Abendessen nimmt er sich dann aber doch viel Zeit für ein Gespräch. Man spürt, dass es ihm wichtig ist, auf die erschwerten Bedingungen für afrikanische Radrennfahrer hinzuweisen. Als das Mikrofon aus ist, traut sich der Eritreer sogar, auf ein Ungleichgewicht hinzuweisen: Afrikanische Fahrer seien meist schlechter bezahlt als ihre europäischen Kollegen, sagt Berhane. Oft zahlten die Teams den afrikanischen Athleten nur den Mindestlohn (in der WorldTour sind das rund 30.000 Euro pro Jahr für Jungprofis und etwa 38.000 für erfahrenere Profis), berichtet er, will aber keine Beispiele nennen. Mit einem Etappensieg bei der Tour de France möchte Berhane die Situation afrikanischer Radsportler verbessern. In diesem Jahr sind mit ihm und den beiden Südafrikanern Daryl Impey (Mitchelton-Scott) sowie Reinardt Janse van Rensburg (Dimension Data) nur drei Afrikaner am Start.

DW: Natnael Berhane, Sie fahren aktuell im größten Radrennen der Welt. Ist es das Ende eines langen Weges oder erst der Anfang?

Natnael Berhane: Das ist jetzt meine zweite Tour de France. Ich möchte noch häufiger an der Tour teilnehmen. Aber vor allem möchte ich dieses Jahr gute Resultate erzielen. Mein Traum ist ein Etappensieg.

Wie könnten Sie diesen Traum erreichen?

Frankreich Tour de France 2019 Natnael Berhane
Natnael Berhane ist einer von nur drei afrikanischen Fahrern bei der diesjährigen Tour de FranceBild: picture-alliance/Pro Shots/G. Deswijzen

Mal sehen. Natürlich muss ich in Ausreißergruppen gehen und versuchen, einen richtig guten Tag zu erwischen. Hoffentlich wird das für mich funktionieren. Aber natürlich ist es schwer, eine Etappe der Tour de France zu gewinnen. Wenn man also eine gewinnen kann, ist dies eine große Sache. Ich nehme die Tour Tag für Tag und Etappe für Etappe. Man muss immer sehen, wie sich das Rennen entwickelt, wie viele Fahrer unser Team noch im Rennen hat und welche Möglichkeiten es gibt.

Was würde ein Etappensieg für Sie bedeuten?

Ein Etappensieg würde mein Leben verändern. Er würde mir Türen öffnen und Chancen geben. Aber nicht nur für mich wäre es ein Erfolg. Ich glaube, mit einem Etappensieg durch mich würden sich auch die Chancen erhöhen, dass weitere afrikanische Fahrer einen Profivertrag erhalten. Ich bin sicher: Mein Sieg wäre eine große Inspiration für alle afrikanischen Fahrer. Ich möchte mehr afrikanische Talente für den Radsport begeistern.

Spüren Sie Unterstützung aus Ihrem Heimatland Eritrea?

Als ich bei den nationalen Meisterschaften von Eritrea gefahren bin [Berhane gewann den Titel Ende Juni, Anm. d. Red.], war die Unterstützung riesig. Als am Tag darauf bekannt wurde, dass ich für die Tour de France nominiert wurde, sind alle ausgerastet. Ich habe einen ganzen Tag lang Interviews gegeben. Die Freude meiner Fans hat mich sehr motiviert. Ich war übrigens überrascht, wie stark die anderen Fahrer in Eritrea gefahren sind. Ich hoffe, dass sie es auch nach Europa schaffen. Ich bin mir sicher, dass sich viele der afrikanischen Talente besser entwickeln könnten, wenn sie einen Platz im Profi-Peloton erhalten würden. 

Was bedeutet Radsport für Sie?

Radsport ist mein Leben. Ich habe das Radfahren schon geliebt, als ich jung war und liebe es noch heute. Gute Ergebnisse motivieren mich, bringen mich dazu, noch härter zu arbeiten. Aber es gibt noch mehr in meinem Leben, was mich motiviert: Vor zwei Monaten wurde mein Sohn geboren. Es ist sehr schön, ein Kind in meinem Leben zu haben. Ich genieße es sehr, ihn zu sehen.

Wie sind Sie zum Radsport gekommen?

Als ich vier oder fünf Jahre alt war, fing ich an, das Fahrradfahren zu lernen - auf einem ganz kleinen Fahrrad. Als ich älter wurde, habe ich mit dem Mountainbiken angefangen, so wie viele Radsportler in Eritrea. Ich bin dann immer regelmäßiger gefahren und 2005 erstmals bei einem Rennen gestartet. Meine Eltern mochten das Radfahren gar nicht, besonders meine Mutter war dagegen. Wir haben uns deswegen oft gestritten, weil sie Angst hatte, ich könnte stürzen und dass ich die Schule verlassen und nur ans Radfahren denken könnte.

War das der Fall?

(Lacht) Ich hatte tatsächlich nur noch Radsport im Kopf. Ich habe meine ersten Medaillen gewonnen, aber meine Eltern wussten nichts davon. Erst als ich kurz davor war, die regionale Mountainbike-Meisterschaftsserie zu gewinnen, habe ich es meinen Eltern erzählt. Meine Mutter war wütend auf mich und sagte mir, dass ich nie wieder Rennen fahren sollte. Aber der Rest meiner Familie hat sie zum Glück überzeugt. Nach und nach unterstützte mich meine Familie und half mir, ein Rennrad zu kaufen. 

Wie sind Sie nach Europa gekommen?

Gabun Tropicale Amissa Bongo 2014 Natnael Berhane
Sieg auf afrikanischem Boden: Bei der Tropicale Amissa Bongo in Gabun gewann Berhane 2014Bild: Getty Images/AFP/S. Rogers

Ich bin zunächst bei Rennen in Afrika gestartet, in Eritrea, Ruanda und Gabun. 2011 habe ich dann einen Platz im Centre Mondial du Cyclisme in Aigle bekommen [das Radsport-Ausbildungszentrum des Weltverbands UCI, Anmerkung der Redaktion]. In Europa war alles anders für mich. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Schnee gesehen. Ich sagte mir: "Was ist denn hier los?" (lacht) Meine erste Trainingsfahrt in Europa fand im Regen statt, das war neu für mich, jedoch auch nicht einfach, denn mein Zuhause war weit weg. Unter dem Strich war es aber ein Glücksfall, zwei Jahre dort im Zentrum fahren zu dürfen. Dort habe ich mich weiterentwickelt und den Sprung zu den Profis geschafft.

Der afrikanische Radsport schien in den letzten Jahren auf dem Vormarsch zu sein. Jetzt ist der Aufschwung ins Stocken geraten. Bei der diesjährigen Tour de France fahren nur drei Afrikaner. Was ist passiert?

Das afrikanische Team Dimension Data hat in den Vorjahren normalerweise mehrere Fahrer aus Afrika nominiert. Nicht nur für die Tour de France, sondern auch bei anderen großen Rennen. Wir afrikanischen Fahrer sind dort auf einem guten Niveau gefahren, aber jetzt hat sich die Strategie des Teams offenbar geändert. In diesem Jahr hat mit Reinardt Janse van Rensburg nur ein Fahrer aus Afrika einen Startplatz bei der Tour bekommen. Ich denke, Dimension Data sollte mehr afrikanischen Fahrern die Chance geben, bei der Tour zu glänzen. 

Wann sehen wir den ersten afrikanischen Tour-Sieger?

Ich denke in ein paar Jahren. Egan Bernal ist eine Inspiration. Er kommt aus Kolumbien, hat es in ein großes Team geschafft und hat eine unglaubliche Kraft. Er kann die Tour de France gewinnen, schon in diesem Jahr. Und vielleicht schafft es in ein paar Jahren jemand wie er aus Afrika nach ganz oben.

Natnael Berhane wurde 1991 in Asmara, der Hauptstadt Eritreas, geboren. Er wurde 2011 und 2012 Afrikameister und schaffte es 2013 ins Profigeschäft. Seit Anfang des Jahres fährt er für das französische Cofidis-Team und absolviert aktuell seine zweite Tour de France.