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Auf der Suche nach der verlorenen Akustik

15. April 2020

Die berühmte Kathedrale von Paris hatte einen einzigartigen Klang. Forscher wollen ihn wiederherstellen. Zum Jahrestag des Großbrandes veranstalten sie ein Konzert in der virtuellen Notre-Dame.

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Paris - Nach dem Brand in Notre Dame
Bild: picture-alliance/AP/C. Petit Tesson

Noch ist die Kathedrale weit davon entfernt, wieder für Gläubige oder für Touristen zu öffnen. Frühestens im Jahr 2024 soll sie wieder betretbar sein. Doch auch dieser Termin ist nicht sicher. Seit dem Corona-Lockdown ruhen sämtliche Bauarbeiten an Notre-Dame.

Der Großbrand am 15. April 2019 zerstörte nicht nur einen Großteil des Dachs und des Vierungsturms aus dem 19. Jahrhundert, sondern auch die einzigartige Akustik von Notre-Dame. Ohne Brian Katz, Forscher des renommierten Centre National de Recherches Scientifiques (CNRS) und der Sorbonne in Paris, wäre sie wohl für immer verloren. Und damit ein Stück Musikgeschichte. Denn der Klang von Notre-Dame zählt zum akustischen Kulturerbe Frankreichs. Im 12. Jahrhundert war die Kathedrale Geburtsort der mehrstimmigen Musik. Die sogenannte Schule von Notre-Dame fand damals Bewunderer in der ganzen Welt.

Notre-Dames Akustik wiederherstellen

Brian Katz gehört zu einem Team von Experten, die beim Wiederaufbau der Kathedrale beratend zur Seite stehen - neben einer großen Anzahl von Ingenieuren, Restauratoren, Kunsthistorikern, Architekten und Naturwissenschaftlern. Während sie über die Möglichkeiten des Wiederaufbaus der Kathedrale Notre-Dame debattieren, denkt Brian Katz über ihre "Stimme" nach.

Blick in die Kathedrale, in deren Dach noch immer ein Loch klafft.
Blick in die Kathedrale einen Tag nach dem BrandBild: Getty Images/AFP/L. Marin

Per Zufall entwickelte er bereits vor der Brandkatastrophe eine Methode, mit der er herausfand, wie die verschiedenen Materialien und Oberflächen im Innenraum von Notre-Dame den Schall absorbieren. "Wir haben ein akustisches 3D-Modell von Notre-Dame erstellt", sagt Katz im Interview mit der DW. Grundlage dafür bildet die Aufnahme eines Konzerts vor acht Jahren in der Kathedrale. "Das Pariser Konservatorium hat alles aus nächster Nähe aufgenommen. Es spielte ein großes Orchester, zwei Chöre und weitere Musiker. Sie waren in der Kathedrale verteilt. Mit dem Wissen, wo die Musiker standen, haben wir unser Modell gefüttert."

Katz hat diese Aufnahmen verarbeitet und zusammengeführt mit Klangaufnahmen, die ein Team seines Instituts Ende der 1980er Jahre durchführte, als eine Studie zur Installation einer neuen Orgel nötig war. "Unser Institut ist im Besitz der einzigen detaillierten akustischen Messungen der Kathedrale Notre." Schon allein in diesem kleinen Zeitraum - von rund 30 Jahren - stellte Katz fest, dass sich die Akustik in der Kathedrale verändert hat.

Gottesdienst in Notre Dame
Notre-Dame ist berühmt für ihre AkustikBild: Imago/R. Harding

Virtuelles Konzert zum Jahrestag der Brandkatastrophe

Das virtuelle Modell kann sogar dabei helfen, zu zeigen, wie die 1345 fertiggestellte Pariser Kathedrale vor ihren zahlreichen Umbauten geklungen hat. "Wir können die Veränderungen in der Akustik genauso vorhersagen, wie wir auch in die Vergangenheit blicken können."

Selbst kleinste Veränderungen wie eine Veränderung von Wandbehängen und Kunstwerken können die Akustik der Kathedrale beeinflussen. "Wenn beim Wiederaufbau zum Beispiel ein Gewölbe durch ein Flachdach ersetzt werden würde, dann können wir die Auswirkungen auf die Akustik demonstrieren", sagt Katz. Das Gleiche gelte für die Baumaterialien. Werden Steine durch Marmor oder Holz ausgetauscht, kann Katz vorhersagen, wie sich das auf den Klang im Innenraum auswirkt.

Brand hat Auswirkungen auf Akustik

Vor dem Brand betrug die Nachhallzeit in Notre-Dame etwa sechs bis acht Sekunden. Als Katz die Kathedrale nach dem Brand betrat, stellte er fest, dass die Nachhallzeit jetzt geringer ist. Was auch damit zu tun habe, dass es Löcher im Dach gibt und das Gestühl ausgeräumt wurde. Katz kann die Musik so klingen lassen, als ob sie in der intakten Notre Dame gespielt würde. Indem er diese Simulation anpasst, kann er auch aufzeigen, wie sich die während des Wiederaufbaus der Kirche getroffenen Entscheidungen auf den Klang von Notre Dame auswirken könnten. Oder er kann die Notre Dame von einst wieder auferstehen lassen und dokumentieren, wie frühere Renovierungen der Struktur den Klang der Kathedrale verändert haben.

Noch weiß Katz nicht, welche Akustik Notre-Dame in Zukunft haben wird. Er wird darauf auch keinen Einfluss nehmen, aber sein Modell kann dabei helfen, den Zustand vor dem Brand wiederherzustellen. Auf YouTube gibt der Forscher bereits einen kleinen Höreindruck der Akustik von 2013. Für den Jahrestag der Brandkatastrophe will er ein ganzes Konzert einstellen. Mit Smartphone und Kopfhörern können die User dann das Konzert hören und sich gleichzeitig durch die virtuelle Kathedrale bewegen. Das akustische Gedächtnis von Notre-Dame lebt somit auf jeden Fall weiter.

Autorin Sabine Oelze
Sabine Oelze Redakteurin und Autorin in der Kulturredaktion