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PolitikAsien

Peking hofft auf stabile Verhältnisse in Afghanistan

13. September 2021

Peking setzt seinen Kurs der abwartend-kooperativen Haltung gegenüber den Taliban fort und setzt auf die Diplomatie der humanitären Hilfe.

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Afghanistan Chinas Außenminister Wang Yi führt Gespräche mit Taliban-Führung
Mullah Abdul Ghani Baradar zu Gesprächen bei Außenminister Wang Yi im JuliBild: Li Ran/XinHua/dpa/picture alliance

Peking hat der neuen afghanischen Regierung humanitäre Nothilfe und Impfstoffe im Wert von 200 Millionen Yuan, umgerechnet rund 26 Millionen Euro, zugesagt. Dass Peking grundsätzlich bereit ist, eine Taliban-Regierung zu unterstützen, hatte sich bereits bei einem Treffen hochrangiger Vertreter der Gruppe im Juli in der ostchinesischen Hafenstadt Tianjin angedeutet. Anders als noch beim ersten Besuch einer Taliban-Delegation im Jahr 2015 berichteten die chinesischen Staatsmedien dieses Mal umfassend über das Treffen.

Gesundheitshilfe aus China für Afghanistan
(Archiv) In der Corona-Pandemie hat China Hilfsgüter an Afghanistan geliefertBild: Pressestelle des Zweiten Vizepräsidenten Afghanistans

Außenminister Wang Yi wurde mit den Worten zitiert: "Afghanistan gehört dem afghanischen Volk, und seine Zukunft sollte in den Händen der eigenen Bevölkerung liegen. Das afghanische Volk hat jetzt eine wichtige Chance, nationale Stabilität und Entwicklung zu erreichen."

Charmeoffensive der Taliban

Damit war klar: China würde sich in die innenpolitische Entwicklung des Nachbarlandes nicht einmischen. Diese Haltung entspreche dem Pragmatismus und der ideologischen Flexibilität, die China außenpolitisch an den Tag lege, sagt Helena Legarda vom Berliner Merics-Institut für China-Studien. Zwar gebe es zwischen Peking und den Taliban klare ideologische und politische Differenzen, so dass man in Peking nicht unbedingt glücklich damit sei, dass die Taliban als Sieger aus der Krise hervorgegangen sind und nun das gesamte Land kontrollieren. "Aber jetzt, da sie die Macht haben, dürfte China bereit sein, mit den Taliban zusammenzuarbeiten", sagt Legarda.

Die Taliban ihrerseits setzten kurz nach der Machtübernahme eine Charmeoffensive Richtung Peking in Gang. "China ist unser wichtigster Partner und bedeutet für uns eine grundlegende und außergewöhnliche Chance, denn es ist bereit, zu investieren und unser Land neu aufzubauen", sagte ihr Sprecher Sabiullah Mudschahid der italienischen Tageszeitung "La Repubblica."

Afghanistan Hairatan Ankunft Cargo Zug aus China
Ankunft des ersten Güterzugs aus China in Afghanistan 2016Bild: DW/H. Safi

Tatsächlich haben die Taliban den Chinesen einiges zu bieten, von Sicherheitsgarantien bis zu Bodenschätzen. Dazu gehören neben klassischen Ressourcen wie Erdöl auch für die digitale Informationstechnologie so wichtige Rohstoffe wie Lithium und Kobalt. Ob daraus konkrete wirtschaftliche Aktivitäten erwachsen, bleibt abzuwarten. Bereits 2008 hat der chinesische Staatskonzern MCC Schürfrechte an der riesigen Kupfermine von Mes Ayanak  erworben, ohne dass sich bislang vor Ort viel getan hätte. Und aus der Förderung auf dem Ölfeld Amu Darya im Nordosten Afghanistans zieht sich Chinas staatlicher Ölkonzern CNPC bereits zurück, wie Reuters meldet.

Sicherheitsinteressen vor wirtschaftlichen Chancen

Chinas nationalistisches nach Übersee gerichtetes Sprachrohr "Global Times" ist dennoch optimistisch. Sobald die Sicherheitslage es erlaube, würden chinesische Unternehmen in das Land investieren, werde dort sowohl staatliches als auch privates chinesisches Kapital aktiv sein. "Viele der Nachbarländer Chinas haben enge Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu China aufgebaut, und Afghanistan wird auf lange Sicht keine Ausnahme sein."

Mindestens ebenso wichtig wie Rohstoffvorkommen, deren wirtschaftlich lohnende Ausbeutung unklar ist, sind für China die Stabilität innerhalb Afghanistans und die Sicherheit an der Grenze zu Xinjiang. Die dort ansässigen muslimischen Uiguren  werden seit fast zehn Jahren einer immer stärkeren Kampagne der Umerziehung, Überwachung und Repression unterworfen. Grund ist die Angst Pekings vor separatistischen und extremistischen Bestrebungen. Dass die Taliban den Uiguren keinerlei diplomatische Unterstützung oder gar Zuflucht auf afghanischem Territorium gewähren, hat für Peking oberste Priorität.

Karte Afghanistan und Nachbarländer DE
Afghanistans Nachbarn

Hinzu kommt das Interesse Pekings nach innerer Stabilität in Afghanistan. Peking hatte kurz nach der Machtübernahme der Taliban die Hoffnung auf eine "möglichst breite Schichten der Bevölkerung repräsentierende" Regierung geäußert, wie im übrigen auch westliche Regierungen. Tatsächlich umfasst dann die vergangene Woche vorgestellte Übergangsregierung  ausschließlich Taliban-Mitglieder; Angehöriger anderer ethnischer Gruppen als der Paschtunen wie auch Frauen bleiben außen vor. Wenn es dabei bleibt, könnte die Enttäuschung der Ausgeschlossenen zu einem Faktor der Instabilität werden. Peking hatte allerdings die Vorstellung der Regierung begrüßt: Damit ende eine "dreiwöchige Phase der Anarchie", so ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums.

Erst einmal abwarten

Die Regierung in Peking wird nach Einschätzung der Merics-Mitarbeiterin Helena Legarda vor allem abwarten. Sie werde beobachten, inwieweit die Taliban zum einen Frieden und Stabilität in Afghanistan wahren und zum anderen  die Interessen Chinas im Land und in der Region schützen können. "China wird sich zwar engagieren, aber ich gehe nicht davon aus, dass es sich übermäßig für die öffentliche Unterstützung der Taliban einsetzt. Über die angekündigte humanitäre Hilfe wird die Unterstützung erst einmal nicht hinausgehen."

China Peking Sprecher Außenministerium Geng Shuang
UN-Botschafter Geng Shuang: Indirekte Kritik an amerikanischer HaltungBild: picture-alliance/newscom/UPI Photo/S. Shaver

Immerhin hat Peking sich vergangene Woche ebenso wie Moskau für eine Freigabe der bislang auf Druck der USA eingefrorenen afghanischen Übersee-Devisen in Höhe von rund zehn Milliarden US-Dollar ausgesprochen. "Dieses Vermögen gehört Afghanistan und sollte für Afghanistan genutzt werden und nicht als Hebel für Drohungen und Druckausübung", sagte Chinas UN-Botschafter Geng Shuang.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika