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Politik

Pilgerreise zu Gandhis 150. Geburtstag

Antje Stiebitz
2. Oktober 2019

Die indische Regierungspartei feiert den 150. Geburtstag von Mahatma Gandhi, dem "Vater der Nation", mit einer politischen Pilgerreise. Kritiker halten es aber für fragwürdig, dass sich Premier Modi auf Gandhi beruft.

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Indien Premierminister Narendra Modi
Narendra Modi beim Gedenken an Mahatma Gandhi Bild: Getty Images/AFP/P. Singh

Der Pazifist Mahatma Gandhi kam vor 150 Jahren am 2. Oktober auf die Welt. Seine gewaltlose Rebellion gegen die englische Kolonialmacht machte den Unabhängigkeitskampf Indiens weltweit bekannt. Der Asket gilt als Vater der indischen Nation. Fotografien von ihm mit geschorenem Kopf, Nickelbrille und dem in ein Tuch gehüllten dünnen Körper gehören zu den bekanntesten Porträts des 20. Jahrhunderts.

Ministerpräsident Narendra Modi (Artikelbild) hat die Parlamentsmitglieder seiner Bharatiya Janata-Partei (BJP) dazu aufgefordert, in ihren Wahlkreisen eine 15tägige Wanderung zu Ehren Gandhis zu unternehmen. Die Pilgerreise ist Teil der Kampagne "Gandhi Sankalp Yatra" (deutsch etwa: Marsch zu Ehren Gandhis), mit der die BJP in rund dreihunderttausend indischen Dörfern auftreten will. An der Gedenkstätte Raj Ghat in Neu-Delhi am Westufer des Flusses Yamuna, wo am 31. Januar 1948 Gandhis Leichnam eingeäschert wurde, soll es an diesem Dienstag offiziell losgehen.

Ideal der Sauberkeit

Mahatma Gandhi
Gandhi 1931 in London zu Gesprächen über eine Verfassungsreform in Britisch-Indien.Bild: Getty Images/Central Press

Modis BJP hat sich schon seit längerem Gandhis Ideal der Sauberkeit auf die Fahnen geschrieben. Gandhi betrachtete Sauberkeit als Grundlage für die physische Gesundheit, da er wusste, dass Verschmutzung und Krankheit zusammenhängen. Er soll einmal gesagt haben, dass Sauberkeit wichtiger als die Unabhängigkeit sei. Er forderte von jedem Einzelnen, seinen Schmutz selbst wegzuräumen und nicht die Dienste der als "unberührbar" herabgewürdigten Kaste der Dalit in Anspruch zu nehmen. An Gandhis Geburtstag im Jahr 2014 rief Modi die "Mission Sauberes Indien" ins Leben. Das Ziel: Jede Familie in Indien sollte Zugang zu einer Toilette, sauberem Trinkwasser und einem System zur Müllbeseitigung bekommen. Bis zu Gandhis 150. Geburtstag in diesem Jahr sollten die Ziele erreicht sein. Vor allem auf dem Gebiet der Versorgung mit Toiletten kann die Regierung Fortschritte vorwiesen, was unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation WHO bestätigt wird.

Praxis der BJP von Gandhis anderen Idealen weit entfernt

150. Todestag von Mahatma Gandhi
Gandhi-Statue in seinem Geburtsort PorbandarBild: Antje Stiebitz

Mit der aktuellen Kampagne will die BJP weitere Elemente der Lehre Gandhis propagieren. BJP-Präsident Amit Shah erklärte: "Die BJP verpflichtet sich, die Ideale und Prinzipien Gandhis umzusetzen. Wir müssen jeden Haushalt mit Gandhis Botschaft von Sauberkeit, Gewaltlosigkeit, 'Swadeshi' (d. h. Produktion von notwendigen Gütern im eigenen Land - Red.), Selbstbestimmung und Einfachheit erreichen." Auch Umweltbewusstsein und die Behebung sozialer Missstände stehen auf der Agenda.

Der Journalist Jitendra Choubey steht der Kampagne kritisch gegenüber: "Die BJP will mit ihrer politischen Kampagne die Botschaft der Gewaltlosigkeit vermitteln, da die Partei und ihre Anhänger in der Öffentlichkeit inzwischen oft mit Gewalt assoziiert werden.  Entweder nutzen sie Bapu (Vater- Red. ) jetzt dazu, ihr Verhalten zu ändern, oder sie heucheln."

Tatsächlich propagierte die BJP bislang ein einheitliches Hindutum, dass es den rund 300 Millionen Angehörigen religiöser Minderheiten Indiens oft schwer macht. Mahatma Gandhi hingegen, erklärt der Soziologe Satish Deshpande, habe eine sehr offene religiöse Haltung vertreten: "Gandhi hat Religion als etwas Universales begriffen. Sein Hindu-Sein hat ihn nie davon abgehalten an alle Religionen zu glauben und von allen etwas zu lernen. Einen orthodoxen oder radikalen Hinduismus hat er immer abgelehnt."

Verehrung als Heiliger

Mahatma Gandhi wurde im Bundesstaat Gujarat in der Kleinstadt Porbandar geboren. Sein Geburtshaus wurde in eine Gedenkstätte verwandelt, in den Kirti Mandir. Was wörtlich "Tempel des Ruhms" bedeutet. Im Innenhof des Museums befindet sich ein Pavillon mit zwei Ganzporträts von  Mahatma Gandhi und seiner Ehefrau Kasturba. Zu ihren Füßen liegt eine Handvoll frischer Blumen. Wird Gandhi hier wie ein Gott verehrt? Puja Esammani, eine Angestellte der Gedenkstätte, antwortet: "Viele Menschen wollten ihn wegen seiner guten Taten zu einem Gott machen. Aber Gandhi wollte nie, dass die Menschen ihn als solchen betrachten."

Die Ärztin Surekha Sha aus Porbandar
Ärztin Surekha Sha aus Gandhis Geburtsort Porbandar: "Für viele ist Gandhi ein Gott" Bild: Antje Stiebitz

Die Ärztin Surekha Sha lebt sein 35 Jahren in Porbandar. Ihr Großvater war im Freiheitskampf aktiv, deshalb beschäftigt sie sich bis heute mit dem Wirken Gandhis. Gandhi werde durchaus als Gott verehrt, erklärt sie, als ein Avatar. In der indischen Philosophie nehme Gott immer wieder weltliche Formen an. "Nach dem göttlichen Avatar Ram kam Buddha. Und nach Buddha Gandhi. Daran glauben manche Menschen. Zumindest war er aber ein großer Heiliger."  Der Ehrentitel Gandhis, "Mahatma", bedeutet soviel wie "große Seele". Das sei die wörtliche Übersetzung, erklärt der Soziologe. "Aber für die Leute bedeutet das: Jemand, der Anbetung verdient. Ein Mensch, aber der Verehrung würdig."

Eingangstor zur Gedenkstätte für Gandhi in Porbandar
Das Eingangstor zur Gedenkstätte an Gandhis Geburtsort erinnert an seine Spinnrad-Kampagne als Teil der nationalen Selbstversorgung Bild: Antje Stiebitz

Ablehnung Gandhis durch radikale Hindus

Auch Premierminister Narendra Modi hat sich immer als Anhänger Mahatma Gandhis dargestellt. Allerdings klaffen die Ideen Gandhis und der Kader-Organisation RSS, die Mutterorganisation der BJP, weit auseinander. Vor allem was ihre Haltung gegenüber den Muslimen im Land betrifft. Der Soziologe Satish Despande erklärt: "Gandhi wollte, dass sich die Mehrheitsgesellschaft der Hindus gastfreundlich zeigt und den Minderheiten erlaubt, sich sicher zu fühlen. Dafür war er auch bereit viel aufzugeben." Denn Gandhi wollte, dass Muhammad Ali Jinnah, der Präsident der indischen Muslim-Liga, erster Ministerpräsident des unabhängigen Indiens wird. Bekanntlich kam es anders, Indien wurde geteilt und Jinnah der erste Regierungschef Pakistans. Mit seiner Haltung zog Gandhi den Hass rechtsextremer Hindus auf sich. Nathuram Godse, ein Hindu-Nationalist aus dem Umfeld des RSS, tötete Mahatma Gandhi am 30. Januar 1948 mit drei Schüssen.

Mit dem Todestag Mahatma Gandhis, Ende Januar 2020, findet auch die "Gandhi Sankalp Yatra"-Kampagne ihr Ende. Bis dahin sollen die Parlamentsmitglieder und die Führung der BJP  ihren rund 150 Kilometer langen Fußmarsch absolviert haben. Kost und Logis nehmen die prominenten Pilger unterwegs in den Dörfern ein. Wer vorzeitig abbricht, muss einen Stellvertreter benennen, der die Reise für ihn beendet.