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PolitikEuropa

Die EU muss Polen einen Riegel vorschieben

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
23. Oktober 2021

Der Streit mit Polen um die Rechtstaatlichkeit trifft die EU hart. Die Auftritte des polnischen Premiers sollen sie schwächen. Aber die demokratischen Grundlagen Europas sind kein Wunschkonzert, meint Barbara Wesel.

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Zwei Protestierende mit Plakaten und Fahnen vor einem Gebäude
Die Fronten zwischen Polen und der EU verhärten sich immer mehrBild: Omar Marques/Getty Images

Manche Beobachter meinten, der Auftritt des polnischen Regierungschefs in Brüssel beim Gipfeltreffen sei etwas weniger kriegerisch gewesen, als die vorangegangene Attacke gegen die EU im Europaparlament. Aber das sind wohl diplomatische Feinheiten. Mateusz Morawiecki kämpft weiter um das politische Prinzip, dass polnisches Recht je nach Wunsch und Laune der Regierung in Warschau über EU-Recht stehen solle

Die ganze polnische Argumentation, man habe nie zugestimmt so viel Souveränität an Europa abzugeben, wie der Europäische Gerichtshof für sich reklamiere, ist nach dem Muster von Fake News gestrickt. Schließlich hat Polen, wenn auch nach heftigem Gezerre, 2007 den Lissabon-Vertrag unterschrieben, der die Verhandlungsgrundlage der heutigen Union bildet. 

Zugegeben träumte der damalige Präsident Lech Kaczynski von einer anderen EU, einer reinen Wirtschaftsunion, die kaum mehr als eine Geldverteilungsmaschine zwischen Nationalstaaten sein sollte. Jetzt versucht sein Bruder Jaroslaw, PiS Parteichef und Strippenzieher in Warschau, an die alte Idee anzuknüpfen. Aber es gab damals und es gibt heute dafür keine Mehrheit in Europa. 

Also versucht die polnische Regierung, unterstützt vom Ungarn Viktor Orban in der Rolle des Westentaschen-Trump, von innen mit der Abrissbirne die europäischen Gemäuer einzureißen. Dabei geht es nicht darum, polnisches Recht gegen Übergriffe aus Brüssel zu verteidigen. In fast allen Alltagsbereichen, vom Strafrecht über Steuern, Gesundheit, Bildung oder öffentliche Verwaltung, sind die EU-Mitglieder so autonom wie eh und je. Das gilt für Polen wie für Italien oder Dänemark. 

Polen will einen anderen Staat

DW-Korrespondentin Barbara Wesel
Barbara Wesel ist DW-Korrespondentin in Brüssel

Nur wenn es um die demokratischen Grundsätze geht, kommt der Europäische Gerichtshof ins Spiel. Diese Fälle können sich etwa auf das Gleichheitsgebot für alle EU-Bürger beziehen, wie bei der LGBTQ-Gemeinde. Auch da hat der EuGH schon gegen Polen geurteilt. Oder es geht um den urdemokratischen Grundsatz, dass die Justiz frei und unabhängig sein muss. Der Streit mit Warschau um den systematischen Rauswurf unabhängiger Juristen und die Besetzung ihrer Posten mit Gefolgsleuten der PiS- Partei, läuft seit Jahren. 

Das Staatsgebilde, das die polnische Regierung anstrebt, soll erkennbar keine Demokratie nach europäischen Regeln mehr sein. Die Entwicklung weist auf eine Art gelenkte Herrschaft mit autokratischen Zügen. Auf dem Wege dahin wird üblicherweise erst die unabhängige Justiz abgeschafft, dann die freie Presse und schließlich die Zivilgesellschaft an die Wand gedrückt. Wahlen dienen am Ende nur noch zur Bestätigung der herrschenden Clique. Putins Russland zeigt, wie so etwas am Ende aussieht. 

Schon heute würde Polen einige der Aufnahmekriterien für die EU verfehlen. Und ein derart autoritäres Regime, wie es Kaczynski und Co. derzeit versuchen aufzubauen, hätte überhaupt keinen Platz mehr in der Union. Die anderen Mitgliedsländer haben einen schrecklichen Fehler gemacht als sie widerstandslos zuschauten, wie Orban anderen Osteuropäern die Blaupause dafür lieferte, wie man eine Demokratie zerlegt und sie durch eine autoritäre Kleptokraten-Herrschaft ersetzt.

Eine Infografik zur EU-Mitgliedschaft

Wehret der weiteren Zerstörung Europas

Im Falle Polen aber müssen die Europäer dieser Entwicklung endlich radikal ein Ende setzen. Das Land ist zu groß und strategisch zu wichtig. Als die Briten aus der EU ausstiegen, war das eine klare Sache. Sie kündigten die Mitgliedschaft und nach längerem Gewürge kam der Austritt.

Die Regierung in Warschau aber versucht die Festung jetzt von innen zu schleifen, und die spalterische Kraft dieser Aktion ist weit größer. Der Niederländer Mark Rutte und andere erkennen die Lage und verkünden das Ende der Geduld mit den polnischen Extratouren. Vielleicht muss die Methode Merkel, die auf endlosem Dialog noch mit den widerständigsten Mitgliedsländern basierte, jetzt mit ihr in den Ruhestand. Der Tscheche Andrej Babis wurde gerade abgewählt, Sloweniens Janez Jansa könnte ihm bald folgen – die neuen Autokratien in Osteuropa sind nicht unbedingt ein Erfolgsmodell. 

Wenn Polen nicht mehr nach den Regeln spielen will, bleibt dem Land der Austritt. Sonst muss man noch einmal über die alte Idee von Kerneuropa nachdenken und könnte Warschau dann in eine zweite Reihe assoziierter Staaten relegieren. 

Jedenfalls muss die EU den polnischen Angriff mit aller Macht abwehren und wenn sie dafür finanzielle Sanktionen einsetzt. Warum sollte auch ein deutscher oder niederländischer Steuerzahler die Alleinherrschaft von Jaroslaw Kaczynski finanzieren? Brüssel muss ihm einen Riegel vorschieben, jetzt. 

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