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Ruf nach Corona-Notbremse wird lauter

20. März 2021

Erst vor zwei Wochen wurden in Deutschland einige Corona-Auflagen gelockert. Wegen steigender Infektionszahlen drohen nun aber wieder schärfere Regeln.

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Piktogramme in Deutschland
Ist die Notbremse der einzige Ausweg?Bild: picture alliance/Markus C. Hurek

Angesichts der steigenden Fallzahlen und des schleppenden Fortgangs der Impfkampagne haben Politiker und Ärztevertreter die Spitzen von Bund und Ländern aufgefordert, bei ihren Beratungen am Montag die Notbremse zu ziehen und die jüngsten Lockerungen zurückzunehmen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Weitere Öffnungen ergeben angesichts der erneut steigenden Infektionen keinen Sinn. Die Notbremse muss für alle gelten, und zwar konsequent."

Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans sagte mit Blick auf die Ministerpräsidentenkonferenz am Montag: "Es ist schon jetzt klar, dass es grundsätzlich bei den jetzigen Beschränkungen bleiben muss." Auch er rief nach der Notbremse. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer schloss weitere Lockerungen aus. "Die dritte Welle hat begonnen, da braucht man nicht drum herum zu reden", sagte der CDU-Politiker der Zeitung "Die Welt". "Die Welle, die sich gerade auftürmt, müssen wir brechen."

Regionale Lösung in Rheinland-Pfalz

Einen anderen Weg will die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer einschlagen. In ihrem Bundesland beginnt am Montag ein Modellversuch, der eine Öffnung der Außengastronomie trotz bundesweit steigender Corona-Infektionszahlen ermöglichen soll. Dabei kommt Rheinland-Pfalz zugute, dass dort die Sieben-Tage-Inzidenz bei 74 liegt. Ziel sei es, "dass die Menschen in den anstehenden Osterferien bei uns wandern und in einem Gartenlokal einkehren können, statt nach Mallorca zu fliegen", erklärte die SPD-Politikerin. Die Öffnung der Außengastronomie erfolge unter strengen Bedingungen. So müssten Besucher einen gültigen negativen Corona-Schnelltest vorweisen und die allgemeinen Schutzmaßnahmen beachten. Sollte die Sieben-Tage-Inzidenz über 100 klettern, werde jedoch die "Notbremse" gezogen, so Dreyer.

Rheinland-Pfalz Ministerpräsidentin Malu Dreyer
Sie setzt auf eine regionale Lösung: Ministerpräsidentin Malu Dreyer Bild: Thomas Frey/dpa/picture alliance

Dem Notbremsen-Mechanismus liegt ein konkreter Beschluss Merkels und der Länderchefs vom 3. März zugrunde: Steigt die Sieben-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen in einem Bundesland oder einer Region auf über 100, wird die Bremse gezogen. Dann müssen Lockerungen zurückgenommen und Kontakte wieder beschränkt werden.

Lage spitzt sich zu

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits am Freitagabend gefordert, von der Notbremse "Gebrauch zu machen". In vielen Regionen müsste die Notbremse längst gezogen werden, weil die Inzidenz über 100 gestiegen ist. Bundesweit stieg die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100. 000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) laut Robert-Koch-Institut (RKI) vom Samstag auf 99,9 – am Freitag lag sie noch bei 95,6.

Die Gesundheitsämter meldeten dem RKI innerhalb eines Tages 16.033 Corona-Neuinfektionen. Zudem gab 207 Todesfälle. Am Samstag vor einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 12.674 neue Infektionen und 239 Todesfälle registriert.

Ärztevertreter machen Druck

Der Forderung nach strengeren Corona-Auflagen schlossen sich auch Ärztevertreter an. Sie übten dabei Kritik an dem langsamen Verlauf der Impfkampagne. Die Chefin der Ärzteorganisation Marburger Bund, Susanne Johna, sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Es muss definitiv die vereinbarte Notbremse gezogen werden, da darf es keine Ausnahmen geben." Sie warnte vor einer dramatischen Zuspitzung der Corona-Lage. "Ich rechne ab Ostern mit einer noch kritischeren Lage als zum Jahreswechsel." Die Kapazitäten auf den Intensivstationen würden dann "rasant wegschmelzen".

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, kritisierte den Beschluss von Bund und Ländern, die Arztpraxen ab Anfang April zunächst nur mit wenigen Impfdosen zu beliefern. "Die Praxen dürfen nicht zur Resterampe werden, wenn bei den Impfzentren was übrig ist", sagte er der "Bild"-Zeitung.

Wo bleibt der Kurswechsel?

Nicht nur der Ruf nach der Notbremse wird lauter, auch der Ruf nach einem Kurswechsel – und nach neuen Ideen. So forderte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger von der Bundesregierung einen Strategiewechsel in der Corona-Politik. "Die sture Fixierung auf die Inzidenzen ist falsch", sagte Dulger der "Welt". Eine stärkere Öffnung des Wirtschaftslebens sei dringend nötig, "denn wir sind jetzt an einem Wendepunkt, wo vielen Betrieben die Puste ausgeht". Er fügte hinzu: "Diese perspektivlose Hinhaltepolitik macht viele Betriebe und Beschäftigte nur noch hilflos und wütend." Der Schlüssel liege im Impfen und Testen.

Deutschland | Arbeitgeberverband Gesamtmetall Präsident Rainer Dulger
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger will kreative Lösungen Bild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, beklagte in der "Augsburger Allgemeinen": "Ein Problem der Debatte und der aktuellen Politik besteht darin, dass nur in den Alternativen Öffnung versus Lockdown gedacht wird." Es fehle seit langer Zeit eine proaktivere Politik im Corona-Management.

Noch härter urteilt der Virologe Alexander Kekulé. Er sieht schwere Fehler von Politik und Wissenschaft bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie. "Deshalb kann der Corona-Gipfel nächste Woche nur wieder Beschränkungen beschließen und die Notbremse ziehen, die ja bereits auf dem Papier vorgesehen ist. Mir blutet dabei das Herz", sagte er der "Passauer Neuen Presse". "Wir sollten als intelligente und reiche Industrienation doch in der Lage sein, differenziertere Lösungen zu finden. Aber das ist nicht gelungen. Damit bleibt nur wieder ein pauschaler Lockdown. Die Bevölkerung muss noch einmal die Fehler der Politik ausbaden." Konkret sprach sich Kekulé dafür aus, zunächst nur einmal zu impfen. "Das reicht, damit können wir in kurzer Zeit das Sterben effektiv begrenzen. Damit wäre die Kurve der Inzidenz von der Sterblichkeit abgekoppelt."

kle/qu (afp, dpa)