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Saddam und seine Wärter

Bernd Piringer30. Juni 2005

In seinem Tagebuch, aus dem das Männermagazin GQ nun Auszüge veröffentlicht, berichtet der Soldat Sean O’Shea über das Leben Saddam Husseins als Gefängnis-Insasse. Um einen Folterskandal handelt es sich diesmal nicht.

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Im Gegenteil: Die Soldaten, die Saddam bewachen, scheinen vergleichsweise friedliche Charaktere zu sein. O’Shea selber ist irischer Katholik, die Gebetskarte des heiligen Michael auf der Innenseite des Helms, ein anderer arbeitete, bevor er einberufen wurde, als Koch. Das persönliche Verhältnis, das die jungen Männer mit diesem ganz besondern Bewohner des Hochsicherheitstrakts verbindet, überrascht, und die scheinbar harmlose Schrulligkeit des ehemaligen Despoten verstört.

In den Mittelpunkt des Berichts stellte das Magazin die Hin- und Hergerissenheit der jugendlichen Bewacher zwischen Abscheu und Zuneigung für den 68-jährigen Ex-Präsidenten. Das mag mit der generellen Linie des Blatts zu tun haben: Zwischen Wein- und Mode-Tipps treten die jungen Männer als Botschafter eines gefühlvolleren Männlichkeitsideals auf. Der 22-jährige Koch, Korporal Reese, hatte vor der Abreise in den Irak seinen Freunden noch prahlend angekündigt, Saddam, so er ihn denn treffen sollte, ins Essen zu spucken. Dass er dies nun nicht getan hat, sei o.k. und schade weder seiner Männlichkeit noch seinem Seelenheil - so die implizite Botschaft des Artikels.

"Man muss Ehefrauen gelegentlich züchtigen"

Hussein scheint, den Angaben der Soldaten zu Folge, in der Tat eine erstaunlich vielschichtige Persönlichkeit zu sein: Der Ex-Diktator leide unter einem Reinheitswahn, berichtet einer der Wächter. Sein Tablett wie auch das Plastikbesteck wische er vor jeder Mahlzeit ab. Nach jeder Berührung wasche er sich die Hände, jedoch unauffällig, um sein Gegenüber nicht zu beleidigen. Ob er versucht, das Blut abzuwaschen, wie Shakespeares Lady Macbeth? Und die Tatsache, dass er Fisch und Hühnchen isst, nicht jedoch Rind, hat sie etwas zu bedeuten? Tut er Busse? Und fünf Mal am Tag, heißt es, soll er beten. Vielleicht also wirklich ein Fall von Wandlung und innerer Einsicht?

Für seine Wächter mache er Kaffee und bewundere ihre Tätowierungen, berichten diese. Einmal habe er versucht, ihnen eine Uhr im Wert von 1000 Dollar zu schenken, die ihm seine Töchter aus dem jordanischen Exil schickten. Auch soll er ihnen väterliche Ratschläge für den Umgang mit dem anderen Geschlecht gegeben haben: "Du musst eine gute Frau finden. Nicht zu schlau und nicht zu dumm. Nicht zu alt und nicht zu jung.“ Auch dass man Ehefrauen gelegentlich züchtigen müsse (und dass man dabei nicht zu zimperlich vorgehen dürfe), gehört mit zu dem Fundus an Ratschlägen, die er den jungen Männern mit auf den Weg gibt.

Hausrezept gegen Muskelkater

Der gleiche Mann, der einen schier unglaublichen Chauvinismus an den Tag legt, gesteht nun dem Katholiken O’Shea, dass er in seinem Leben nur zwei mal verliebt gewesen sei. Der gleiche Mann, der einen von Ost und West gebilligten Angriffskrieg gegen Iran führte, der Gasangriffe auf kurdische Dörfer befahl und die sadistischen Orgien seiner Söhne duldete, möchte nun dem jungen Leutnant Costello mit einem Hausrezept gegen Muskelkater helfen. Und er habe sogar den Wunsch geäußert, sich mit George W. zu versöhnen. Ein wenig wie ein Mafia-Boss aus der Phantasie eines Hollywood-Drehbuchschreibers kommt er einem vor - die patriarchalische Güte und Großzügigkeit ist scheinbar unvereinbar mit dem, was denen angetan wird, die nicht zum Clan gehören: "Die Kuwaitis sind ein Haufen Hunde“, so belehrt er seine Wärter.

Man wäre nicht überrascht ihn im neuen Film von Scorcese in einer Villa in Palermo mit seinen Söhnen Hof halten zu sehen. Hat er schon immer, unvorhersehbar zwischen Güte und Grausamkeit schwankend, ein Phantasiereich regiert, oder hat ihn erst die Ausradierung seines Regimes durch die technische Übermacht Amerika gebrochen? Es sieht zumindest ganz so aus, als hätte er schon seit jeher in einer archaischen Welt voller Männerfreundschaften und Männerfeindschaften, voller Vasallen und Königsmorde gelebt, wo man seine Getreuen beschenkt und seine Feinde vernichtet, weil man es eben so macht.